Frage an Daniela Kolbe von Rabert von D. bezüglich Wirtschaft
Sehr geehrte Frau Kolbe,
ich habe eine Frage an Sie in Ihrer Rolle als Vorsitzende der Enquetekommission "Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität".
Gemäß des Gesetzes zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft von 1967 gilt Wirtschaftswachstum bei uns als Staatsziel. In der Operationalisierung dieses Ziels wird von einem erstrebenswerten Wachstum von 3% bis 4% je Jahr ausgegangen.
Ich gehe davon aus, dass Sie als Diplomphysikerin rechnen können: Bei 3% Wirtschaftswachstum je Jahr würde sich der Ausstoß unserer Wirtschaftsleistung ca. alle 23 bis 24 Jahre verdoppeln müssen. Bis zum Anfang des kommenden Jahrhunderts würden wir in Deutschland 16mal soviel produzieren müssen wie heute, z.B statt 6 Millionen dann ca. 100 Millionen Autos. Und würde dieses Wachstumsziel für die ganze Welt gelten (wobei das durchschnittliche jährliche Wirtschaftswachstum der Welt seit Ende des 2. Weltkriegs meines Wissens sogar bei etwa 4,7% liegt), dann würde unser Planet im Jahr 2100 etwa 5 Milliarden Autos produzieren. Und im Jahr danach nochmal ein paar mehr. Autos sind hier nur ein Beispiel: Dies gilt für alle Waren und Dienstleistungen, die in Deutschland und in der Welt her- oder bereitgestellt werden.
Es ist offensichtlich, dass diese Wachstumsmaxime schon relativ schnell unmöglich wird. Wir haben weder die Rohstoffe für eine derartige Produktion, noch den Markt. Andererseits ist Wachstum eine zwingende Voraussetzung für das funktionieren des herrschenden Wirtschaftssystems.
Können Sie kurz darlegen, wie Sie dieses Problem auflösen wollen? Was ist die Alternative zu Wachstum, wenn eine wachsende Weltbevölkerung mit Arbeit versorgt und das Geld erwirtschaftet werden soll, mit dem die Zinsen auf unser Schuldgeld bezahlt werden müssen? Haben Sie eine Idee, wie unser Wirtschaftssystem ohne Wachstum funktionieren soll, oder gehen Sie davon aus, dass unsere Wirtschaft noch jahrhundertelang weiter so wachsen soll wie im vergangenen Jahrhundert?
Rabert von Dahrenhorst
Sehr geehrter Herr von Dahrenhorst,
vielen Dank für Ihre Frage. Selbstverständlich ließe sich unter den von Ihnen gestellten Annahmen (3% jährliches Wachstum) die Verdopplung des Ausstoßes der Wirtschaftsleistung exakt berechnen: Log1,032=23,45. Die Volkswirtschaft würde also in weniger als 23 ½ Jahren doppelt so groß sein.
Jedoch stößt die einfache Berechnung hier schon an ihre Grenzen. Denn das BIP misst ja nicht nur den quantitativen Ausstoß, sondern den Gesamtwert aller Waren und Dienstleistungen in einer Volkswirtschaft. Das heißt, selbst wenn es eine Verdopplung der Wirtschaftsleistung in 23,45 Jahren gäbe (was ich persönlich für unwahrscheinlich halte, die Zeitreihen deuten eher auf einen linear gleichbleibenden, aber nicht mehr exponentiellen Bestandszuwachs hin, der sich in einem langsamer wachsenden BIP pro Kopf niederschlägt), würde das nicht automatisch bedeuten, dass dann doppelt so viele Autos produziert würden. Vielmehr könnten auch ebenso viele oder weniger, jedoch hochwertigere Autos produziert werden.
Jedoch teile ich die von Ihnen geäußerte Skepsis ob der Tragfähigkeit eines weiterhin überall rasanten Wirtschaftswachstum. Insbesondere bezüglich des globalen Umweltraums, der die Ressourcen, aber auch die Senken des Ökosystems umfasst, stoßen wir an unsere Belastungsgrenzen. Die Verringerung des Ressourcenverbrauchs wird zudem durch Rebound-Effekte erschwert, also Konstellationen, in denen Effizienzgewinne durch die entstehende Verbilligung vermehrten Verbrauch verursachen, der in vielen Fällen sogar zu einem Anstieg des Ressourcenverbrauchs führt.
Deshalb wird Wachstum in Zukunft stärker selektiv sein müssen, hinsichtlich des Wo und des Was. Das heißt einerseits, dass sich Wachstum geographisch stärker auf die später industrialisierten Länder, d.h. Schwellen- und Entwicklungsländer konzentrieren wird müssen. Und andererseits, dass wir auch hier vor Ort die Wachstumsförderung auf bestimmte ökologisch und sozial verträglich wachsende Sektoren konzentrieren sollten. Die absolute Entkopplung von Wohlstand und Ressourcenverbrauch ist dabei unabdingbar.
Neben selektivem Wachstum halte ich in Zeiten sehr langsam steigenden oder stagnierenden Pro-Kopf-Wachstums eine neue Arbeitszeitpolitik für sinnvoll, die eine Umverteilung der Arbeitszeit über den Lebenszyklus und gerade auch zwischen den Geschlechtern bewirkt. Außerdem sollte der Abbau der Einkommens- und Vermögensungleichheit in der Primär- und Sekundärverteilung wieder politisch ernsthaft verfolgt werden. Denn viele Studien zeigen uns, dass die Verteilung in einer Gesellschaft für die Lebenszufriedenheit der Menschen und den sozialen Zusammenhalt von größerer Bedeutung ist als der Zuwachs des Gesamteinkommens.
Insofern gibt es auch in Zukunft genug Möglichkeiten für eine dynamische und wohlstandsfördernde Ökonomie, ohne dass wir 100 Millionen Autos jährlich in Deutschland bauen müssen.
Mit freundlichen Grüßen,
Daniela Kolbe