Frage an Daniela Kolbe von Anke L. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrte Frau Kolbe,
wenn ich auch "nur" im benachbarten Wahlkreis (Nordsachsen) wohne, interessiert mich doch Ihre Meinung als SPD-Politikerin zum aktuell "wieder angestoßenen" Thema Integration sowie auch Meinungsfreiheit.
Thilo Sarazzin soll nun laut Medien (z. B. die ZEIT) tatsächlich durch ein Verfahren aus der Partei ausgeschlossen werden. Andererseits vermelden die Medien auch, dass laut einer Umfrage ca. 90 % der SPD-Basis gegen diesen Parteiausschluss ist.
Meine Frage: Was denken Sie, wie steht es tatsächlich mit unserer (öffentlichen) Meinungsfreiheit? Wenn Sarazzins Äußerungen für das Ansehen der Bundesbank und der SPD untragbar sind, welche Rolle spielen dann rechtsextreme Parteien in deutschen Landtagen für das Ansehen des Landes bzw. der Gesellschaft oder die Politik?
Meiner Meinung nach ist Integration ein Geben und Nehmen. Der Migrant muss sich um den Erwerb der Sprache und um ein legales Arbeitsverhältnis bemühen, von dem er unabhängig vom Staat seinen Lebensunterhalt bestreiten kann - das fordern eine Reihe von EU-Staaten. Die Gesellschaft muss sich um mehr Akzeptanz und Toleranz bemühen; der Staat (und auch die Wirtschaft) vorhandene Qualifikationen besser anerkennen, ggf. Zusatzausbildungen anbieten und die Wirtschaft muss faire, gleiche Löhne (Qualifkation, Arbeitsleistung, Berufserfahrung) zahlen. Dann hätten Überschriften wie "Billiglöhne vernichten qualifizierte Jobs" auf Dauer keine Nahrung mehr.
Sehr geehrte Frau Kolbe,
für Ihre Bemühung um Beantwortung meiner Frage wäre ich Ihnen ausdrücklich dankbar!
Mit freundlichen Grüßen
A. Lehmann
Sehr geehrte Frau Lehmann,
mit ihrer Fragestellung schneiden sie die drei Themenfelder der Meinungsfreiheit in unserer Demokratie, die Frage nach einem Parteiausschlussverfahren Sarazzins und meine Position zur Integrationspolitik an.
Integration ist eine Daueraufgabe, nicht nur der Politik, sondern ganz konkret vor Ort im Zusammenleben. Hierzu gehört das Aufeinander zugehen von Seiten der Mehrheits- und der Minderheitsgesellschaft. Dazu gehört, dass sich die Menschen mit Migrationshintergrund die hier leben, einbringen und die Mehrheitsgesellschaft ebenso Verantwortung übernimmt.
Am Beispiel der von der SPD eingeführten Integrationskurse zeigt sich die beiderseitige Verantwortung: der Staat bietet Neuzugewanderten einen Kursplatz an und die Eingewanderten sind verpflichtet daran teilzunehmen.
Meinungsfreiheit ist ein Grundrecht von dem Thilo Sarazzin mit der Veröffentlichung und der Vermarktung seines Buches Gebrauch gemacht hat. Zur Meinungsfreiheit gehört aber auch, dass Menschen wie ich, die seine publizierte Meinung als menschenverachtend und unerträgliche gesellschaftliche Hetze empfinden dies ebenso äußern dürfen.
Die Frage des SPD Parteiausschlußverfahrens, dass aus SPD Gliederungen angestrengt wurde, ist vornehmlich auf dem juristischen Feld angesiedelt. Sarazzins Menschenbild, wonach „Menschen genetisch disponiert sind und bestimmte Verhaltensweisen sich nicht etwa kulturell vererben, sondern genetisch, biologisch“ ist Kern der Begründung für einen Ausschluss. Der Ausgang des Verfahrens ist offen.
Ich freue mich wenn die SPD bei ihrer Position bleibt und sich von rassistischen und menschenverachtenden Äußerungen distanziert und sie nicht duldet.
Mit freundlichen Grüßen
Daniela Kolbe