Frage an Daniela Kolbe von Jens K. bezüglich Bildung und Erziehung
Guten Abend,
wir leben in Niedersachsen und unser 8jähriger Sohn besucht die 2. Klasse einer Grundschule im Landkreis Northeim, die zu meiner Überraschung einen hervorragenden Ruf genießt. Wir zogen vor zwei Jahren aus Göttingen weg, weil die Grundschule in deren Einzugsgebiet wir lebten (Egelsbergschule) fest in albanisch - russisch - türkischer Hand ist und der Karatekurs für ABC - Schützen einfach unerläßlich ist. Übrigens sind die Wurzeln meiner Familie von Kasachstan bis England zu finden, so daß mich wirklich Sorge und keine tumbe Ausländerfeindlichkeit antreibt.
Auch die nun hiesige Grundschule hat, obwohl hoch gelobt, ein katastrophales Niveau. Für die Lehrer fällt hier nach der 4. Stunde der Hammer um 11.45 Uhr. Es gibt in Niedersachsen keine verpflichtende Lehrerfortbildung, es gibt keine geregelte - bzw. funktionierende Qualitätskontrolle des Unterrichtes, es gibt keine verbindlichen Lehrpläne und weitere diverse Defizite, die ich ihnen auf Wunsch beschreiben und nachweisen kann. An dem beschämenden Bildungsniveau Niedersachsens kann ich nicht wirklich etwas ändern. Ich habe aber sehr wahrscheinlich die Möglichkeit beruflich in die Nähe Dresdens zu wechseln. Die dortige Grundschule hat ein erheblich höheres Niveau und ist frei von den aufgezählten Mängeln. PISA zeigt die sächsischen Grundschulen auf dem 1. Platz. Das Grundgesetz garantiert aber meinem Sohn in Niedersachsen die gleichen Bildungschancen, wie für Kinder in Sachsen, Bayern oder BW. Wer ist nun rechtlich und finanziell haftbar, wenn auf Grund der Bildungsmisere in Südniedersachsen mein Sohn in Sachsen Nachhilfeunterricht benötigt, oder sogar ein Jahr wiederholen muß, oder der Zugang zum Gymnasium erschwert oder unmöglich ist?
Im Niedersächsischen Grundschulnivau gehört mein Sohn zu den sehr guten Schülern. Ich konnte mich persönlich davon überzeugen, daß dies in Sachsen bestenfalls Mittelmaß sein wird.
Mit freundlichen Grüßen
Jens Kutschmann
Sehr geehrter Herr Kutschmann,
da ich mir als sächsische Abgeordnete kein qualifiziertes Urteil über die Qualität der Grundschulen in Niedersachsen bilden kann, möchte ich gern mich gern stärker auf den Aspekt Ihrer Frage konzentrieren, der sich mit dem Bildungsföderalismus beschäftigt. Tatsächlich ist der Kultusbereich einer der Kernkompetenzen der Bundesländer. Der Föderalismus in der Schulpolitik stützt sich auf die Annahme, dass dezentralere Entscheidungen über Schulstrukturen, Lernformen und -inhalte etc. sowohl bürgernäher seien als auch den verschiedenen regionalen Traditionen besser Rechnung trügen. Dieser grundsätzlich richtige Gedanke hat aber zu einem zunehmenden Auseinanderdriften der Entwicklungen in den Bereichen Schule und Hochschule geführt, die Eltern, Schüler/-innen und Lehrer oft vor babylonische Verwirrungen stellen. Die von Ihnen beschriebenen Qualitätsunterschiede sind ein Aspekt, andere betreffen natürlich die Anerkennung von Leistungen, die Lehrpläne, die Ausbildung von Lehrer/-innen usw.. Gerade in einer Gesellschaft, in der die Menschen zunehmend beruflich mobil sind (und sein sollen!), wird so aus der Wohltat Plage.
Die SPD hat diese Mangel erkannt und setzt sich für weitergehende Kooperationen im Schulbereich ein. Sie will im Grundgesetz die Voraussetzungen für einen kooperativen Bildungsföderalismus schaffen. Leider ist insbesondere auf Seiten der Union aber die Idee des Wettbewerbsföderalismus derart verankert, dass die immer unterschiedlicher werdenden Regelungen (und Leistungen) der Bundesländer im Bildungsbereich für die CDU/CSU kein Problem darstellen, sondern geradezu bezweckt sind. Deswegen hat sich die Union auch vehement dafür eingesetzt, dass im Rahmen der Föderalismusreform ein Kooperationsverbot in der Bildungspolitik ins Grundgesetz geschrieben wird; eine Regel, die so widersinnig ist, dass selbst die CDU-Bundesbildungsministerin Schavan sie mittlerweile kritisiert. Sollte dieser Erkenntnisfortschritt sich in der Union verbreiten, steigen auch die Chancen für eine Verfassungsreform als Voraussetzung für eine verbesserte Vergleichbarkeit unter den Bundesländern im Schulbereich. Damit sollte auch die Realität unseres Bildungssystems wieder stärker der grundgesetzlich garantierten Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse entsprechen, die sie zurecht einfordern.
Sollten Sie tatsächlich ach Dresden ziehen, heiße ich Sie herzlich willkommen im Freistaat Sachsen. Ich wünsche Ihnen beruflich und für Ihre Familie alles Gute!
Mit freundlichen Grüßen,
Daniela Kolbe