Dagmar Schmidt, MdB (2017)
Dagmar Schmidt
SPD
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Frage von Erwin H. •

Frage an Dagmar Schmidt von Erwin H. bezüglich Migration und Aufenthaltsrecht

Sehr geehrte Frau Schmidt,

menschenunwürdigste Umstände in Menschenlagern in Saudi-Arabien:

"...Es ist die Hölle, wir werden behandelt wie Tiere und jeden Tag geschlagen", berichtet ein junger Äthiopier. Einige Insassen hätten sich bereits umgebracht, die wenigen Toiletten seien mit Fäkalien überschwemmt, Trinkwasser gebe es kaum..."
https://www.sueddeutsche.de/politik/arbeitsmigration-saudi-arabien-afrika-1.5035155
Haben diese Menschen ein gleiches Recht auf ein menschenwürdiges Leben wie andere Menschen, z.B. wie die in den Lagern in Griechenland, die jetzt vom reichen Deutschland aufgenommen werden?

Warten nicht viele Flugzeuge der Lufthansa auf ihren Einsatz, darauf zu fliegen? Wann werden Sie das Notwendige tun und diese Menschen nach Deutschland holen? Ein erster Anfang und Tropfen auf den heißen Stein ist mit Moria auf Lesbos schon getan! Ein Report meldet aktuell 14,6 Millionen neue Binnenflüchtlinge weltweit, kennen Sie diesen? https://www.spiegel.de/politik/ausland/migration-report-meldet-14-6-millionen-neue-binnenfluechtlinge-weltweit-a-10a1a7df-6c92-4dc0-9d3e-7e3585ddde5d

Wie hoch gewichten Sie die Menschenwürde weltweit?

Huber

Dagmar Schmidt, MdB (2017)
Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr H.,

haben Sie vielen Dank für ihre Nachricht. Die Menschenwürde ist das höchste Gut überhaupt und so setzen sich die Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten im Deutschen Bundestag auch dafür ein, dass sie weltweit geachtet wird.

Die weltweite Entwicklung ist schwierig und unsere Einflussmöglichkeiten sind in einigen Ländern, wie beispielsweise Saudi-Arabien, sehr begrenzt. Deutschland hat im Juli während seines Vorsitzes des UN Sicherheitsrates mit der Resolution 2467 einen Meilenstein gesetzt. Diese Resolution soll dafür sorgen, dass sexuelle Gewalt in Konflikten bekämpft wird und Opferrechte gestärkt werden. Die Situation wird in Gesprächen mit saudischen Regierungsvertreten immer wieder angesprochen und wir verfolgen sie aufmerksam.

Die Zustände auf Lesbos und den anderen griechischen Inseln sind bereits seit langem katastrophal und unerträglich. Durch die verheerenden Brände im Flüchtlingscamp Moria hat sich die Lage nochmals massiv verschlechtert. Rund 13.000 Menschen haben nun auch noch ihr letztes Dach über dem Kopf verloren. Frauen, Männer und Kinder leben buchstäblich auf der Straße. Es handelt sich um eine humanitäre Katastrophe. Die schrecklichen Bilder und Schicksale der Menschen dort lassen selbstverständlich niemanden aus der SPD-Bundestagsfraktion kalt. In dieser unmittelbaren Not ist schnelles Handeln gefordert. Jetzt kommt es zunächst darauf an, den schutzbedürftigen Menschen vor Ort in enger Kooperation mit der griechischen Regierung sofort zu helfen, um diese menschenunwürdige Situation zu entschärfen. Die Menschen dort brauchen jetzt eine Unterkunft, grundlegende Verpflegung und medizinische Versorgung.

Wir helfen! Deutschland leistet umfangreiche Unterstützung. Bereits in der Nacht zum 11. September 2020 haben wir einen ersten THW-Konvoi auf den Weg nach Griechenland geschickt. Weitere sind gefolgt bzw. in Vorbereitung. Auch das DRK hilft bei den kurzfristigen Lieferungen von Sachmitteln. Zu unserer umfangreichen humanitären Hilfe vor Ort zählen etwa 1028 Zelte, 7000 Schlafsäcke, 1400 Feldbetten, 22 Sanitärcontainer, Decken und Schlafunterlagen. Es geht hier aber nicht um Zahlen, es geht um Menschen. Die Zustände in Griechenland müssen sich zwingend verbessern. Wir lassen nicht nach, bis wir menschenwürdige Bedingungen erreicht haben, die mit europäischem Recht und unseren Werten vereinbar sind.

Doch auch darüber hinaus müssen wir Griechenland noch stärker unterstützen und entlasten, indem wir geflüchtete Menschen von den Inseln in anderen europäischen Staaten aufnehmen. Deutschland hat sich hierbei in großem Maße engagiert und bei den anderen europäischen Mitgliedstaaten dafür geworben, geflüchtete Menschen aus Griechenland aufzunehmen. Das Ergebnis ist, dass sich bereits vor den Bränden in Moria in der europäischen Koalition der Menschlichkeit mittlerweile elf EU-Länder plus Norwegen und Serbien an der Aufnahme von Geflüchteten beteiligen. Deutschland hat die Aufnahme von knapp 1.000 Menschen, unbegleiteten Minderjährigen, behandlungsbedürftigen Kindern und ihrer Familien, zugesagt. In diesem Rahmen sind bislang 758 Geflüchtete aus Griechenland überstellt worden, 574 nach Deutschland, 184 in sechs weitere Länder. Der Prozess läuft leider nur sehr schleppend. Daran müssen wir arbeiten. Zudem hat die SPD sich dafür stark gemacht, in der aktuellen Situation nun nicht auf die schwerfällige Einigung zwischen mehreren europäischen Mitgliedstaaten zu warten, sondern unser zugesagtes Kontingent jetzt weiter zu erhöhen. Es ist gut, dass sich die Union auf unseren Druck hin endlich bewegt hat. Wir haben uns mit Erfolg dafür eingesetzt, dass unser Land einen eigenständigen Beitrag humanitärer Hilfe leistet und gleichzeitig die Solidarität der europäischen Gemeinschaft nicht aus der Pflicht entlässt. Wir nehmen nun weitere 150 Kinder und Jugendliche und 1.553 Menschen, hauptsächlich Kinder und ihre Familien, in einem eigenständigen Kontingent auf.

Damit nimmt Deutschland nun insgesamt ca. 2.750 Personen aus Griechenland auf und leistet einen wichtigen Beitrag zur spürbaren Entlastung der griechischen Inseln. Dies alles ist auf unsere Initiative und gegen den erheblichen Widerstand des Koalitionspartners zustande gekommen.

Doch damit ist es aus unserer Sicht nicht getan. Wir sehen unsere europäischen Partner weiter mit uns in der Verantwortung. Deshalb werben wir weiter um Unterstützung für die gemeinsame Initiative aufnahmebereiter europäischer Partnerländer. Auf eine europäische Lösung darf man nicht warten, man muss für sie arbeiten. Das tun wir und wollen uns auch weiterhin entsprechend unserer Kraft und Größe beteiligen. Die Aufnahmebereitschaft vieler Bundesländer und Kommunen in Deutschland gilt es jetzt zu nutzen. Diese haben sich bereit erklärt eine viel höhere Zahl an Geflüchteten aufnehmen zu können. Das Angebot sollten wir in vollem Umfang auch nutzen. Unser Ziel bleibt es, dass sich am Ende alle europäischen Mitgliedstaaten in diese Solidarität einbringen. Und wir brauchen eine dauerhafte Lösung und einen ständigen Hilfsmechanismus, sodass wir nicht bei jeder Notlage erst in schwerfällige Verhandlungen darüber treten müssen, wer wieviel Unterstützung leistet.

Für eine grundsätzliche Lösung brauchen wir eine Neuausrichtung der europäischen Flüchtlingspolitik und des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems. Als SPD-Bundestagsfraktion haben wir dazu vor der Sommerpause einen klaren Beschluss mit konkreten Umsetzungsvorschlägen verabschiedet. Wir müssen weg vom Prinzip der Zuständigkeit des Ersteinreisestaates und brauchen eine gerechte und solidarische Verteilung geflüchteter Menschen auf die einzelnen EU-Mitgliedstaaten. Nur so schaffen wir dauerhaft eine Entlastung der Staaten an den EU-Außengrenzen und somit auch insbesondere Griechenlands. Daran arbeiten wir auf EU-Ebene mit Hochdruck. Die EU-Kommission muss endlich ihre Vorschläge präsentieren und diese fortgesetzte Schande an unseren Außengrenzen beenden. Ein erster Schritt könnte, wie bereits im Frühjahr von uns vorgeschlagen, die Entwicklung eines Pilotmodells für ein gemeinsam betriebenes Asylzentrum unter europäischer Flagge auf den griechischen Inseln sein. Wir lassen nicht nach, bis in Europa europäisches Recht und europäische Werte auch überall durchgesetzt werden. Wir müssen unsere europäische Ratspräsidentschaft nutzen, um die Idee einer solidarischen europäischen Asylpolitik endlich gemeinsam in die Praxis umzusetzen.

Auch mich beschämt und entsetzt das gemeinschaftliche Versagen in Europa. Ich halte nichts von Symbolen, die zu keiner Verbesserung für die Menschen führen. Die SPD ist der Motor für reale Hilfen und Maßnahmen. Eine Zustimmung des Grünen-Antrages hätte die Situation der Flüchtlinge verschlechtert. Für die Flüchtlinge wäre nichts geschehen. Für den Antrag hätte es selbst bei der Zustimmung von der SPD keine Mehrheit im Bundestag gegeben. Außerdem hätte die Zustimmung der SPD für den Antrag das Ende der Koalition bedeutet – oder zu mindestens eine schwere Regierungskrise. Damit hätte die SPD kein Einfluss mehr die Flüchtlingspolitik.

Im Koalitionsvertrag haben sich die Fraktionen von CDU/CSU und SPD auf ein einheitliches Abstimmungsverhalten im Deutschen Bundestag verständigt. Das ist Grundlage jeder Koalition. Diese Tatsache wird von den Fraktionen der Opposition gerne dazu benutzt, um Fraktionen in einer Regierungskoalition vorzuführen. Ob das an dieser Stelle sachlich angebracht ist, muß jeder für sich selbst entscheiden.

Im Bundestag haben sich zwei Oppositionsparteien dazu entschlossen, über ihren Antrag jeweils namentlich abstimmen zu lassen. Dabei ist von vornherein klar, dass diese keine Mehrheit erhalten werden. Auch wenn wir mitstimmen würden, gibt es derzeit keine linke Mehrheit im Deutschen Bundestag. Wem das nicht gefällt, der muss mit seiner Wahlentscheidung bei der nächsten Bundestagswahl für andere Verhältnisse sorgen, die SPD stärken und somit Mehrheiten links der Mitte ermöglichen.

Wo Grüne Verantwortung tragen, wie beispielsweise in Österreich, sind sie nicht so durchsetzungsstark gegenüber ihrem Koalitionspartner, wie die SPD in Deutschland. Österreich hat bisher keinen einzigen Flüchtling aufgenommen.

Ich weiß, dies ist für die Bürgerinnen und Bürger nur sehr schwer nachvollziehbar, und auch uns Abgeordneten verlangt eine solche namentliche Abstimmung bei wichtigen Themen und vor allem auch bei humanitären Notlagen sehr viel ab. Zur Regierungsverantwortung in einer Demokratie gehört es aber eben auch, getroffene Vereinbarungen einzuhalten.

Unser Auftrag als Regierungsfraktion ist es nicht, symbolpolitischen Oppositionsanträgen zustimmen – was effektiv gar nichts verbessert –, sondern die Möglichkeiten zu nutzen, die uns als an der Regierung beteiligte Fraktion offenstehen und konkrete Lösungen zu entwickeln. Daran werden wir mit aller Kraft weiter arbeiten.

Mit freundlichen Grüßen

Dagmar Schmidt, MdB

 

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