Dagmar Schmidt, MdB (2017)
Dagmar Schmidt
SPD
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Frage von Reiner R. •

Warum stellt Bundeskanzler Scholz nicht sofort die Vertrauensfrage und verschiebt diese auf den 15. Januar 2025?

Dagmar Schmidt, MdB (2017)
Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr R.

haben Sie vielen Dank für Ihre Nachricht. Der Bundeskanzler hat in seiner Ansprache nach der Entlassung des Bundesfinanzministers seine Beweggründe für den von ihm genannten Fahrplan für Neuwahlen dargelegt. 

Mittlerweile konnte nach Gesprächen mit dem Bundespräsidenten eine Einigung für den Wahltermin und die Vertrauensfrage gefunden werden und die Bundestagswahl wird in Ende Februar stattfinden. Seit dem 16. Dezember 2024 ist der Weg für die Neuwahlen frei. Dennoch möchte ich noch einmal erklären, weshalb die Bundestagswahl nicht so weit vorgezogen werden konnte, auch wenn die Union (allen voran Friedrich Merz) mit ihrer populistischen Forderung nach unmittelbaren Neuwahlen selbst wieder zurückrudern musste.

Eine Bundestagswahl macht man nicht eben auf die Schnelle. Sie kann nicht über Nacht organisiert werden und von ihr hängt viel ab. Einer der wichtigsten Gründe liegt darin, dass bestimmte Gesetze noch in diesem Jahr verabschiedet werden müssen. Dazu zählt der Ausgleich der kalten Progression, damit alle Bürgerinnen und Bürger mehr Geld von ihrem Bruttogehalt haben. Und es geht auch darum, den Beitragssatz für die soziale Pflegeversicherung anzuheben. Auch hier muss noch in diesem Jahr eine Entscheidung gefällt werden. Es geht dabei um diejenigen Bürgerinnen und Bürger, die auf die Leistungen aus der Pflegeversicherung angewiesen sind. Sie sollten nicht für die politischen Fehler der FDP und CDU/CSU bezahlen müssen, weil ihnen die Parteipolitik näher ist als die Verantwortung, die sie für die Bürgerinnen und Bürger tragen. 

Und auch in anderen Fragen wie der Umsetzung des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems, der Unterstützung für die Ukraine und den Maßnahmen für unsere Wirtschaft, wäre Spielraum zur Verhandlung gewesen. Auch hier hat sich Friedrich Merz anders entschieden und sich der punktuellen Zusammenarbeit verweigert. 

Und bei all den Rufen nach Neuwahlen und Vertrauensfragen, sollte nicht außer Acht gelassen werden, dass eine Bundestagswahl gut vorbereitet werden muss. Angenommen, der Bundeskanzler hätte – wie von der Opposition vorgeschlagen – am 13. November die Vertrauensfrage gestellt. Was hätte das für den Wahltermin und die Vorbereitung der Wahlen bedeutet? Auf die Vertrauensfrage am 13.11.2024 wäre die Entscheidung des Bundespräsidenten gefolgt, den Deutschen Bundestag aufzulösen. Laut Grundgesetz hätte er bis 4.12.2024 Zeit gehabt, eine Entscheidung zu treffen. Somit ergibt sich als spätester Wahltermin Sonntag, 02.02.2025 (evtl. sogar früher, wenn der Bundespräsident schneller entscheidet). Bei einer Wahl am 02.02.2025 müsste die Briefwahl am 22.12.2024 beginnen, womit die Stimmzettel auch bis dahin fertig sein müssen. Der Druck von Wahlzetteln dauert in der Regel etwa zwei Wochen, einschließlich der Verteilung an alle Wahlämter im ganzen Land. Der Start des Drucks von Stimmzetteln muss also am 08.12.2024 beginnen. Das setzt aber voraus, dass die Wahlämter bis dahin alle Kandidaturen und Protokolle von Nominierungkonferenzen aller Parteien und Wählervereinigungen geprüft haben müssten, Daten und Namen erfasst und auf Richtigkeit geprüft haben. Unterstellt man, dass das nur eine Woche dauert, (normalerweise dauert das mindestens vier Wochen) müssten alle Nominierungkonferenzen bis Ende November erledigt sein, einschließlich der Listenaufstellungen durch die Parteien. Selbst Friedrich Merz war zum Zeitpunkt seiner populistischen Forderung nach unmittelbaren Neuwahlen in seinem Wahlkreis in Nordrhein-Westfalen noch nicht als Bundestagskandidat aufgestellt!

Die Bundeswahlleiterin hat sich zu einem frühen Wahltermin geäußert und macht Bedenken für ein derart schnelles Vorgehen geltend und wird dabei auch von ihren Kolleginnen und Kollegen aus den Ländern unterstützt (https://www.spiegel.de/politik/deutschland/bundeswahlleiterin-warnt-vor-unabwaegbaren-risiken-bei-einer-neuwahl-im-januar-a-7840f2b8-1de6-4bd0-b320-fbce39d505c2 und https://www.rbb24.de/politik/beitrag/2024/11/neuwahl-bundeswahlleiterin-brand-landeswahlleiter-broechler.html). Kleine Parteien könnten benachteiligt werden, Wahlvorstände und Wahlhelfer müssen benannt und ausreichend geschult werden, logistische Hürden sind zu nehmen. Wenn Sie sich erinnern, haben wir genau eine solche Situation bei den Bundestagswahlen in Berlin 2021 erlebt, in deren Konsequenz die Bundestagswahl dort noch einmal wiederholt werden musste. Dieses Mal droht uns das in einem deutlich größeren Rahmen! 

Unsere Demokratie steht jeden Tag unter Beschuss. Insbesondere von rechter Seite wird das demokratische System immer wieder infrage gestellt und bei Briefwahlergebnissen wird seit einigen Jahren von Betrug gesprochen (https://www.dw.com/de/faktencheck-das-steckt-hinter-dem-briefwahlbetrugs-vorwurf/a-70346701 und https://www.tagesschau.de/faktenfinder/kontext/wahlbetrug-wahlmanipulation-100.html). Für alle wahlberechtigten Bürgerinnen und Bürger ist eine Wahl – gleich ob im Bund, den Ländern oder Kommunen –, die wichtigste Beteiligungsmöglichkeit innerhalb unserer Demokratie. Sie ist besonders und musste in Deutschland mehrfach erkämpft werden. Entsprechend sollten wir mit diesem Privileg umgehen. 

Auch Politikwissenschaftler sehen in einem schnellen Wahlkampf die Gefahr, dass in sich populistisch überbietenden Forderungen besonders die staatstragenden und demokratischen Parteien aufreiben, während die extremen Randparteien aus der Situation Kapital schlagen könnten – mit ernsten Konsequenzen für eine spätere Regierungsbildung (https://www.deutschlandfunkkultur.de/wie-die-union-auf-den-ampelbruch-reagieren-sollte-dlf-kultur-33915a0c-100.html).

Zudem ist vielfach das Argument vorgetragen worden, eine schnellere Neuwahl würde auch schneller eine neue Regierungskoalition mit stabilen Mehrheiten schaffen. Dieses Argument überzeugt indes nicht, da wir heute nicht die Wahlergebnisse der kommenden Wahl vorhersehen können und auch nicht die Dauer der Sondierungs- und Koalitionsgespräche. Im schlimmsten Fall dauert die Regierungsbildung trotz eines früheren Wahltermins deutlich länger. Es ist damit nicht klar, ob Ende April 2025 dann eine neue Bundesregierung die Geschäfte aufnehmen kann. 

Es braucht vielmehr einen geordneten Prozess, der organisatorisch gut vorbereitete Wahlen garantiert, bei der es keine Pannen im Wahlablauf gibt. Die Parteien hätten in dieser Zeit die Möglichkeit, ihr eigenes Profil für den Wahlkampf zu schärfen und in den Wettbewerb der Ideen für Morgen einzutreten. 

Mit der erzielten Einigung über den jetzt Ende Februar anvisierten Termin, können wir jedoch in ein geordnetes und geregeltes Verfahren eintreten, ohne befürchten zu müssen, diese Wahl organisatorisch nicht gut vorbereitet zu haben.

Mit freundlichen Grüßen 

Ihre 

Dagmar Schmidt, MdB

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