Frage an Claudius Moseler von Cornelia B. bezüglich Wissenschaft, Forschung und Technologie
Hallo, Herr Dr. Moseler
Der UN-Sonderbeauftragte hat es noch mal deutlich gemacht: Deutschland hat ein ernstes Problem in Sachen Bildung und Bildungsgerechtigkeit. Wie wollen Sie und Ihre Partei gewährleisten, dass Schüler unterschiedlichster sozialer Herkunft und Begabungen gleichermaßen gefördert werden? Dass die schwachen Schüler nicht über- und die starken Schüler nicht unterfordert sind?
Wie stehen Sie zur Lernmittelfreiheit? Gerade in Zeiten von Hartz IV und zunehmender Ausweitung der Schere zwischen Arm und Reich ist sie meiner Meinung nach eine Grundvoraussetzung, um Diskriminierung von Kindern armer Eltern zu vermeiden und Chancengleichheit herzustellen.
Vielen Dank für Ihre Antwort.
Sehr geehrte Frau Baudisch,
vielen Dank für Ihr Interesse. Gerne möchte ich Ihre Fragen wie folgt beantworten:
zu 1) Grundlage des bildungspolitischen
Konzeptes der ödp ist das Bestreben, jedes Kind und jeden Schüler seinen Begabungen entsprechend bestmöglich zu fördern. Das verstehen >wir< unter Chancengleichheit. Im Gegensatz zur Politik der etablierten Parteien ist es z.B. nicht unser Ziel, den Ausstoß an Abiturienten und Studierten um jeden Preis zu erhöhen. Die moderne Dienstleistungsgesellschaft benötigt nicht nur Theoretiker und Studierte, sondern vor allem auch Menschen, die praktisch denken und in vielen Bereichen zupacken können. Für den Einzelnen ist es wesentlich natürlicher und für das Gemeinwohl effektiver, die persönlichen Stärken individuell auszubauen.
Zunächst einmal sieht unser Konzept einen ergänzenden Deutschunterricht in Kindergarten und Grundschule vor, um nicht zuletzt in sozial schlechter gestellten Schichten die wichtige sprachliche Grundlage sicherzustellen. Das letzte Kindergartenjahr sollte verpflichtend sein, um die Sozialisation der Kinder schon vor Schulbeginn zu fördern. Dies dient auch der Integration von Kindern aus anderen Sprach- und Kulturbereichen. Selbsverständlich muss der Kindergarten auch ein Angebot bereithalten, um über das übliche Maß hinausgehende Interessen von Kindern zu fördern. Grundsätzlich soll der Kindergarten aber noch spielerisch funktionieren, d.h. nicht zu einer Vorschule getrimmt werden.
Während der gesamten Schulzeit setzen wir auf gezielte Förderung lernschwacher Kinder durch zusätzliche Maßnahmen außerhalb des regulären Unterrichts, d.h., dass Einzelne bei erheblichen Defiziten stundenweise aus dem Klassenverband herausgenommen werden können, um Sie im Defizitbereich durch zusätzliche Tutoren in Kleinstgruppen zu fördern. Parallel dazu muss es Zusatzangebote für überdurchschnittlich Begabte geben. Diese sollten im Rahmen einer inneren Differenzierung des Unterrichts auch an anspruchvollen selbstgewählten Projekten arbeiten. Diese innere Differenzierung gelingt umso besser, je mehr man Zusatzkräfte in den Unterricht einzubinden - dies müssen keine voll ausgebildeten Lehrkräfte sein; sie unterstützen die Lehrkraft und haben möglicherweise eine Ausbildung im sozialen Bereich.
Wir meinen, dass die Entscheidung über die weiterführende Schule erst am Ende der 6. Klasse getroffen werden sollte. Dies erlaubt eine wesentlich adäquatere Beurteilung durch mehrere Lehrkräfte und auf der Grundlage der Erfahrung mit einem größeren Fächerspektrum. Zugleich muß auch danach die Durchlässigkeit zwischen den Schultypen erhöht werden. Bei der Abiturdauer sollen die Schüler in der Oberstufe wählen, ob Sie (die ohnehin modulare Oberstufe) in 12, 12,5 oder 13 Jahren durchlaufen wollen - je nach persönlichem Können und persönlicher Leistungsbereitschaft.
Weiterhin meinen wir, dass es nicht zielführend ist, die Hauptschule zu verdammen und abzuschaffen. Sie muss vielmehr zu einer attraktiven Alternative für praktisch veranlagte Schüler umgestaltet werden. Denn diese werden an Realschule und Gymnasium durch zuviel Theorie überfordert. Daher wollen wir eine moderne Hauptschule schaffen, die besonders praxisorientiert unterrichtet, z.B. durch Projektunterricht und häufige, ausgedehnte Praktika, neuartige Unterrichtsinhalte vermittelt. So z.B. in Ökologie, technisch-kreatives Grundwissen, soziales Verhalten, Gesundheit, Umgang mit Geld. Hier soll man in kleinen Lerngruppen arbeiten. Zusätzliche Tutoren für jede Gruppe werden eingesetzt, um auch Kinder aus schwierigen sozialen Verhältnissen zu fördern, und durch einen noch intensiveren Kontakt zu den regionalen Betrieben Zukunftsperspektiven eröffnet, die die anderen Schultypen so nicht bieten können. Die moderne Hauptschule muss neue Qualitäten entwickeln, die in unserer Gesellschaft anerkannt werden. Diese Hauptschule wird ihren Schülern eine Zukunftsperspektive bieten können und daher nicht mehr als "Restschule" gelten.
In Rheinland-Pfalz gibt es eine Lehrmittelfreiheit für solche Kinder, deren Eltern ein zu geringes Einkommen haben. Diese funktioniert so, daß den Eltern auf Antrag Büchergutscheine ausgehändigt werden. Die Gutscheine sind natürlich so zu bemessen, daß sie für den Erwerb der notwendigen Unterrichtsmittel auch wirklich ausreichen.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Claudius Moseler