Frage an Claudius Lieven von Thomas W. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Lieven,
seit sechs Jahren muss Hamburg nun schon unter dem CDU-Senat leiden: Städtische Einrichtungen werden verscherbelt, das Hochschulgesetz auf den Stand von 1950 zurückgesetzt, der Stadt ein neues Schulgesetz aufgezwungen und ein Strafvollzugsgesetz durchgesetzt, dass ignoriert, dass man schon seit 30 Jahren weiß, dass bloßes Wegschließen vielleicht eine gekonnte Fortführung der Ideologie des Richter gnadenlos ist, aber sicher weder den Straftätern, noch der Bevölkerung hilft.
Bis jetzt war ich mir sicher, dass die GAL in einer Koalition mit der SPD all die gesellschaftlichen Rückschritte der letzten Jahre wieder rückgänig machen wird. Doch ein Artikel im Abendblatt erschütterte mich: Dass die GAL auf Bezirksebene mit der CDU bereits koaliert ist mir - leider - bewusst, aber die Aussage, dass die GAL eine Koalition mit der CDU auch auf Stadtebene eingehen würde "wenn es sonst zu einer großen Koalition" kommen sollte, hat mich entsetzt. Wie kann die GAL - nur um an Macht zu gelangen - denjenigen unterstützen, der damals sich von Schill zum Bürgermeister hat krönen lassen? Eine große Koalition ist sicherlich keine gute Lösung für die Stadt - aber was glaubt die GAL gegenüber der CDU durchsetzen zu können? Studiengebühren abschaffen? Das Strafvollzugsgesetz ändern? Statt Prestigeprojekte für die obersten 10 000 der Stadt wieder mehr Geld in soziale Einrichtungen zu investieren? Ich glaube kaum...
Daher meine Bitte und Frage zu gleich: Bitte lassen Sie sich nicht zu einem reinen Beust-Wahlclub machen. Würden Sie solch eine Koalition unterstützen?
Mit freundlichen Grüßen
Thomas Weigelt
Sehr geehrter Herr Weigelt,
mich bewegt diese Frage ähnlich wie sie. Wir haben als Grüne in den letzten Jahren bei vielen Kürzungen, Verschärfungen usw. die der CDU Senat betrieben hat dagegen gehalten. Unser oberstes Ziel ist es diesen Senat abzulösen und dafür zu sorgen, dass Ole von Beust nicht Bürgermeister bleibt. Das ist eigentlich nur mit Rot-Grün möglich. Dennoch müssen wir auch über einen Wahlausgang nachdenken, bei dem es zwar gelingt die absolute Mehrheit der CDU zu brechen, es aber trotzdem für Rot-Grün nicht reicht.
Ich muss für mich persönlich sagen, dass ich Überlegungen zu einer Rot-Rot-Grünen Koalition oder Kooperation sehr skeptisch gegenüber stehe. Das wenige, was ich von der alten PDS in Hamburg kennergelernt habe, hat nicht dazu geführt, dass ich dies für eine realistische Option halte. Von der WASG war auch wenig zu sehen. Wie die neue Partei sich für die Bürgerschaft personell und inhaltlich aufstellen wird beginnt sich erst abzuzeichnen. Ich habe aber den Eindruck, dass die Partei ihre Rolle zunächst eher in der Opposition suchen will, wenn sie den Einzug in die Bürgerschaft schaffen sollte.
Die Ampelkonstellation ist bei allen teilnehmenden Parteien einigermaßen unbeliebt und es sieht momentan zum Glück nicht danach aus, als würde es FDP in die Bürgerschaft schaffen. Bleiben Schwarz-Rot und Schwarz-Grün als mögliche Konstellationen. Die SPD koaliert in Deutschland mit allen anderen Parteien, mit der FDP bis vor kurzem in Rheinland-Pfalz, der CDU und der PDS (jetzt Linkspartei) und den Grünen. Die Grünen koalierten bisher nur auf Landesebene nur mit der SPD. Dies ist auf die Dauer strategisch eine zu eingeengte Position, einmal weil Mehrheiten allein SPD in den nächsten Jahren mutmaßlich eher selten erreichbar sein werden, zum anderen weil die Grünen dadurch von einem einzigen Partner abhängig sind, was in der Vergangenheit nicht die beste Position für Koalitionsverhandlungen etc. gewesen ist. Insofern ist es schon rational auch über die Option Schwarz-Grün nachzudenken. Betrachtete man die Hamburger Situation näher, muss man feststellen, dass man es mit einer SPD zu tun hat, die meines Erachtens nach leider immer noch viel von der Erstarrung ihrer letzten Regierungsjahre mit sich trägt, personell und inhaltlich nicht sehr überzeugend dasteht und erhebliche interne Spannungen aufweist.
Die CDU in Hamburg hat in den letzten Jahren versucht sich in Teilen ein moderneres Profil und Themen wie Integration, Umwelt- und Klimaschutz aufgegriffen. Insgesamt sind die inhaltlichen Schnittmengen mit der SPD nach wie vor größer, aber das Ergebnis fällt nicht mehr so eindeutig aus wie vor 10 Jahren. Sollte es einen Wahlausgang geben, aus dem die CDU als stärkste Partei hervorginge und sie Sondierungsgespräche mit der SPD und der GAL führen wollte wäre die GAL schlecht beraten diese einfach abzulehnen. Die Perspektive einer großen Koalition wäre für Hamburg meines Erachten nach kein Fortschritt, ich würde auch nicht damit rechnen, dass die SPD in den von ihnen angesprochenen Politikfeldern vieles zurückdrehen würde. Letztlich käme es für die GAL sehr darauf an was mit der CDU vereinbar wäre. Wir haben in den letzten Jahren viel Energie in die Entwicklung möglichst nachhaltiger grüner und praxistauglicher politischer Projekte für Hamburg gesteckt. Vieles davon könne sie unter www.hamburg-kreativestadt.de finden. Wenn wir in eine Verhandlungssituation kommen sollten werde ich mich dafür einsetzen, dass die Anforderungen hoch sind und viel grüne Politik möglich wird. Dazu gehört für mich insbesondere eine Politik für ein sozial gerechteres Hamburg, wie wir es in dem letzten Parteitagsbeschluss unter dem Titel "Hamburg hält zusammen" ( http://www.hamburg.gruene-partei.de/cms/default/dokbin/182/182073.beschluss_hamburg_haelt_zusammen_gruene.pdf ) formuliert haben. Daneben gehört für mich die ökologische Stadtentwicklung zu den Kernzielen, ohne die nichts geht. Wie gesagt, erstes Ziel ist und bleibt Rot-Grün, ich hoffe dass sie uns dabei unterstützen.
Mit freundlichen Grüßen
Claudius Lieven MdHB