Unter anderem in der Süddeutsche Zeitung wird über "Abgeordnete wollen offenbar Antrag über AfD-Verbotsverfahren einbringen" berichtet. Würden Sie einem solchen Antrag zustimmen?
Sehr geehrte Frau F.,
in den letzten Tagen erhalte ich eine Vielzahl an Emails und Briefe in Zusammenhang mit der Diskussion über ein AfD-Verbotsverfahren. Stil und Rhetorik vieler AfD-Abgeordneter im Bundestag sind in hohem Maße verstörend und jenseits üblicher parlamentarischer Gepflogenheiten. Gleichwohl müssen wir als CDU/CSU-Bundestagsfraktion akzeptieren, dass die AfD derzeit von knapp jedem fünften Wähler unterstützt wird, bei Landtagswahlen in Ostdeutschland sogar von mehr als einem Viertel der Wählerinnen und Wähler. Es gibt Haltungen, die auch ich vehement ablehne und dennoch entspricht es unserem demokratischen Denken, andere Meinungen zuzulassen, solange sie sich auf dem Boden des Grundgesetzes bewegen.
In der Fraktionssitzung am 15. Oktober 2024 haben wir ausführlich und sachlich über den avisierten Gruppenantrag zu einem möglichen AfD-Verbotsverfahren diskutiert. Dabei haben die Mitglieder der Fraktion die Rechtslage sowie den politischen Kontext fundiert und ausführlich abgewogen. Wir haben uns die Entscheidung nicht leicht gemacht.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist eine Partei dann verfassungswidrig, wenn sie nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf abzielt, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen, zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden. Dazu müssen konkrete Anhaltspunkte bestehen, dass ein Erreichen der von der Partei verfolgten verfassungsfeindlichen Ziele nicht völlig aussichtslos erscheint.
Zum jetzigen Zeitpunkt halte ich ein Verbotsverfahren gegen die AfD juristisch in hohem Maße für risikoreich und politisch für kontraproduktiv. Nach Einschätzung unserer Justitiare wäre ein solcher Antrag nicht erfolgversprechend und ich weiß, dass diese Einschätzung auch in Sicherheitskreisen geteilt wird. Ich möchte Ihnen die ausschlaggebenden Argumente erläutern.
1. Die vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Voraussetzungen für ein Parteiverbot sind mit Blick auf die AfD – zumindest derzeit – nicht erfüllt. Zwar führt das Bundesamt für Verfassungsschutz die AfD als rechtsextremistischen Verdachtsfall. Eine Einstufung als „Verdachtsfall“ ist aber nicht gleichzusetzen mit den (erheblich höheren) Anforderungen, die das Bundesverfassungsgericht an das Verbot einer politischen Partei stellt. Wir müssen also davon ausgehen, dass die Voraussetzungen für ein Parteiverbot (noch) nicht erfüllt sind und die Verfassungsschutzämter nicht über hinreichendes Beweismaterial für ein Verbotsverfahren verfügen.
2. Das Verfahren zum Verbot einer politischen Partei dauert mehrere Jahre. Bei der NPD hat es vier Jahre gedauert. Selbst für den unwahrscheinlichen Fall eines erfolgreichen Verbotsantrags könnte sich die AfD noch an der nächsten Bundestagswahl beteiligen und sich dabei als vermeintliche „Märtyrer“ inszenieren. Das wäre absolut nicht in meinem Interesse. Die Landtagswahlen in drei Ost-Bundesländern haben gezeigt, wie die AfD ihre Opferrolle schon jetzt zelebriert und ohne Inhalte Wahlen gewinnt.
3. Dem Gruppenantrag fehlt die erforderliche Tatsachengrundlage in Form einer umfassenden Materialsammlung. Eine solche könnte nur durch das Bundesamt für Verfassungsschutz und die Landesämter für Verfassungsschutz erstellt werden - erst auf einer solchen Grundlage kann eine fundierte Entscheidung getroffen werden.
4. Überdies verlangt das Bundesverfassungsgericht, vor Einleitung eines Verbotsverfahrens „strikte Staatsfreiheit“ gegenüber der betroffenen Partei herzustellen. Das bedeutet: Die Begründung eines Verbotsantrages darf nicht auf Beweismaterialien gestützt werden, deren Entstehung zumindest teilweise auf das Wirken von V-Leuten oder Verdeckten Ermittlern zurückzuführen ist. Eine entsprechende Garantie vermag nur die Bundesregierung respektive die Landesregierungen zu geben. Sie allein vermögen deshalb einen überzeugenden Beweisantrag zu erarbeiten. Die Folge bei Einleitung eines Verbotsverfahrens wäre dann im Übrigen, dass alle Quellen abgezogen werden müssten, so dass unsere Sicherheitsbehörden in dieser Zeit keinen tiefen Einblick mehr in Aktivitäten und Verbindungen der AfD aus menschlichen Quellen hätten.
5. Wir dürfen davon ausgehen, dass ein Antrag zu einer Gegenklage der AfD führen würde. Das Scheitern des Verbotsantrags würde im Umkehrschluss ein verfassungsgerichtliches „Gütesiegel“ einer verfassungsgemäßen Partei darstellen. Dieses Risiko halten wir als Union für nicht vertretbar.
Aus meiner Sicht ist es ein Trugschluss zu glauben, die Zustimmung zur AfD ließe sich „wegverbieten“. Ich bin sehr dankbar in einer Demokratie leben zu dürfen, wo Meinungsfreiheit ein hohes Gut ist. Es liegt an uns die drängenden politischen Probleme Deutschlands zu lösen, um dem Frust in der Bevölkerung entgegenzutreten. Es ist unübersehbar, dass das Erstarken der AfD auch mit Fehlern und Versäumnissen der etablierten Parteien zu tun hat. Allein mit der Diskussion über das Heizungsgesetz hat die Ampel Millionen Bürger verunsichert und die Zustimmungswerte zur AfD haben sich in dieser Zeit demoskopisch nahezu verdoppelt. Und wie in anderen europäischen Staaten auch, ist es ganz offensichtlich, dass sich die große Mehrheit der Bürger eine echte Asylwende, also eine strikte und dauerhafte Begrenzung der Migration wünscht. Keine Symptombehandlung, sondern Ursachenbekämpfung muss das Ziel sein. Deshalb ist meine Position und die der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, dass wir die AfD inhaltlich stellen müssen. Auch Altbundespräsident Joachim Gauck bringt es der Tage auf den Punkt: Ein Verbotsverfahren würde „noch mehr Wut und noch mehr Radikalität erzeugen – und das wäre politisch schädlich“. Diese Sicht teile ich.
Mit freundlichen Grüßen
Christoph de Vries