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Christoph de Vries
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Frage von Daniela S. •

Frage an Christoph de Vries von Daniela S. bezüglich Gesundheit

Sehr geehrter Herr de Vries,
führende Aerosolforscher fordern in einem offenen Brief (http://docs.dpaq.de/17532-offener_brief_aerosolwissenschaftler.pdf), der Ihnen sicherlich bekannt ist, einen Kurswechsel bei den Pandemiemaßnahmen. Ansteckungen im Freien finden kaum statt - zu gering ist dort die Viruslast. Deswegen sind Einschränkungen der Bewegungsfreiheit nicht nur unsinnig, sondern sogar kontraproduktiv- weil (coronakonforme) Treffwillige in private Räume gezwungen werden.
Wieso forciert dann die Bundesregierung in der geplanten Anpassung des Infektionsschutzgesetzes eine nächtliche Ausgangssperre, entgegen jeglicher wissenschaftlicher Evidenz? Mit anderen Worten: welchen epidemiologischen Nutzen soll eine bundesweite nächtliche Ausgangssperre haben?
Es drängt sich schon sehr der Eindruck auf, dass die geplanten Maßnahme nur als gewollte Repression dienen soll, die keinen nachweisbaren Nutzen in Bezug auf das Infektionsgeschehen darstellt. Ich halte diese Ignoranz gesicherter wissenschaftlicher Fakten doppelt gefährlich: zum einen für die drohende Ausbreitung des Coronavirus, zum anderen sehe ich die Akzeptanz der Coronamaßnahmen schwinden.

Daher appeliere ich eindringlich an Sie als Mitglied der Regierungsfraktion, den geplanten Änderungen des Infektionsschutzgesetzes, insbesondere einer bundesweiten Ausgangssperre, nicht zuzustimmen.

Freundliche Grüße
Daniela Schröder

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Antwort von
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Sehr geehrte Frau Schröder,

ich kann Ihre Sorge verstehen und bedanke mich für Ihre Anfrage.
Ich habe einige kritische Nachrichten zur 4. Novelle des Infektionsschutzgesetzes erhalten und habe selbst gegenüber dem Kanzleramt und der Fraktionsspitze im Vorwege meine Bedenken hinsichtlich des ursprünglichen Gesetzentwurfes ausführlich dargelegt. Dennoch habe ich dem Gesetzentwurf am Mittwoch nach intensiver Abwägung letztlich zugestimmt. Meine Zustimmung hat im Wesentlichen drei Gründe, die am Ende ausschlaggebend waren:

1. Wir müssen jetzt handeln. Nicht nur die Inzidenzwerte sind hoch, sondern die intensivmedizinischen Kapazitäten sind angespannt. Es besteht die Gefahr, dass sie in den nächsten Wochen überfordert werden und wir Erkrankte nicht mehr angemessen versorgen können. Dies kann ich nicht guten Gewissen einfach hinnehmen.

2. In der jetzigen angespannten Lage brauchen wir bundesweit eine einheitliche Anwendung und Durchsetzung der vereinbarten Regelungen. Die Bundesnotbremse ist vor allem deshalb zustande gekommen, weil einige Ministerpräsidenten trotz stetig steigender Infektionszahlen die Beschlüsse der MPK ignoriert oder nach jeweils eigenem Ermessen unterschiedlich angewendet haben. Dies ist nicht nur mit Blick auf den Gesundheitsschutz problematisch, sondern es untergräbt auch die Akzeptanz der Maßnahmen bei den Bürgern. Wichtig ist, die Bundesnotbremse greift erst ab einer Inzidenz von 100, also wenn es ein erhebliches Infektionsgeschehen gibt.

3. Den ursprünglichen Gesetzentwurf hätte ich sehr wahrscheinlich ablehnen müssen. Aber die Koalitionsfraktionen haben an einigen Stellen nachgebessert, die auch mir wichtig waren: die Ausgangsbeschränkungen wurden entschärft, der Einzelhandel kann mit click & meet bis zu einer Inzidenz von 150 mit tagesaktuellem Negativtest öffnen und es gibt einige Erleichterungen bei Außensport und bei Zoobesuchen. Wichtig war mir, dass Testpflichten von Unternehmen für ihre Mitarbeiter aufgenommen bzw. konkretisiert wurden.

Kritisch sehe ich unverändert die Fixierung auf Inzidenzwerte. Hier wäre aus meiner Sicht auch eine Berücksichtigung der Auslastung der intensivmedizinischen Kapazitäten angezeigt gewesen. Nur eine hohe Auslastung in Verbindung mit hohen Inzidenzen (wie wir sie derzeit ohne Zweifel haben) rechtfertigt die gravierenden Grundrechtseingriffe. Diese Haltung ist gestützt durch die Aussagen namhafter Wissenschaftler und Institutionen. Es sind bei weiterem Impffortschritt auch hohe Inzidenzen möglich, die aber mit wenigen schweren Krankheitsverläufen einhergehen und nicht zur Überforderung der intensivmedizinischen Kapazitäten führen. In diesem Fall halte ich die Eingriffe nicht in diesem Maße für gerechtfertigt.

Zudem hätte ich mir dort Öffnungsperspektiven gewünscht, wo nur wenige Infektionen geschehen, nämlich bei Außengastronomie und Außensport, aber auch beim Tourismus in Ferienwohnungen und Hotels, wenn dort keine gemeinsamen Mahlzeiten eingenommen werden. Auf der anderen Seite hätte man bei Test- und Maskenpflichten am Arbeitsplatz und bei privaten Zusammenkünften in geschlossenen Räumen durchaus ausweiten können. Das hätte dem tatsächlichen Infektionsgeschehen mehr Rechnung getragen und einigen gebeutelten Branchen endlich eine Perspektive gegeben. Auch ich hatte Bedenken hinsichtlich der Ausgangsbeschränkungen. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass nahezu alle Staaten in Europa mit starkem Infektionsgeschehen Ausgangssperren verhängt haben, um die die Infektionen zu reduzieren. Hamburg hat Ausgangsbeschränkungen bereits mit Wirkung am Karfreitag erlassen. Ich war damals sehr kritisch. Inzwischen muss man aber feststellen, dass Hamburg das einzige Bundesland ist, in dem die Inzidenzwerte seit mehr als einer Woche stark zurückgingen, während sie überall sonst teilweise stark stiegen. Insofern gibt es offenkundig doch einen Zusammenhang.

Die Geltung der Maßnahmen bis längstens zum 30. Juni sehe ich kritisch. Hier hätte ich mir eine engere zeitliche Begrenzung und Verlängerung im Bedarfsfall durch das Parlament gewünscht. Nötig ist in jedem Fall, dass wir besonders betroffenen Branchen noch umfangreicher helfen. Gerade größeren mittelständischen Unternehmen, die vor der Pandemie gesund waren, wird nicht ausreichend geholfen. Grund sind unter anderem beihilferechtliche Begrenzungen der EU. Deshalb ist vor allem die Veränderung der EU-Beihilferegelungen zwingend erforderlich.
Schließlich müssen vollständig Geimpfte bald ihre Grundrechte zurückerhalten und von den Beschränkungen ausgenommen werden, weil den Studien zufolge nicht mehr infektiös sind. Ich hoffe, dass dies mit der zunehmenden Anzahl der Geimpften praktisch umgesetzt wird.

Vor dem Hintergrund dieser vorgenannten Bedenken habe ich eine persönliche Erklärung zur Abstimmung abgegeben, deren Wortlaut hier nachzulesen ist:

https://www.bundestag.de/dokumente/protokolle/plenarprotokolle im Protokoll der 223. Sitzung ab Seite 28365.

Mit freundlichen Grüßen
Christoph de Vries

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