Frage an Christian Fender von Hans U. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Trifft es zu, dass Sie Abtreibung (egal im welchem Monat der Schwangerschaft) als Mord ansehen?
Mit freundlichen Grüßen
Unger
Sehr geehrter Herr Unger,
ja es trifft zu, dass solche Aussagen auf meinem Blog zu finden sind.
Diese Blogeinträge entstanden im Vorfeld der Demonstration von http://marsch-fuer-das-leben.de/[../../jump.htm?goto=http%3A%2F%2Fmarsch-fuer-das-leben.de%2F], welcher genau einen Tag vor der Bundestagswahl im September 2009 statt fand. Es gab da diese Pressemitteilung von den Grünen Berlin[ http://christianfender.files.wordpress.com/2009/09/entscheidungsfreiheit-statt-bekehrungswahn.odt ], die ich als sehr hetzerisch und unsachlich empfand und entgegen der Grünen Linie Sachen auch mal auszudifferenzieren. In diesem polarisiertem Klima, in dem auch Linke Gruppen, mit denen ich bei vielen anderen Themen sehr sympathisiere, dazu aufriefen die Kreuze in die Spree zu werfen, kommentierte ich die Sache auch sehr heftig hier[ http://wp.me/prPPh-8l ] auf meinem Blog.
Obwohl ich wusste, dass das langfristig negative Konsequenzen für mich bei den Grünen haben wird, wie mensch ja auch an dieser Frage hier sieht, nahm ich mein Demonstrationsrecht wahr. An diesem Tag nahm ich sowohl an dem Trauermarsch als auch an der Gegenveranstaltung, die sich ja auch gegen Homophobie in der Kirche wandte teil. An dem Tag trug ich ein T-Shirt gegen Homophobie, um mich somit auch von den entsprechenden Leuten auf dem Trauermarsch abzugrenzen.
Im Übrigen möchte ich sagen, dass ich auf der anderen Seite, bspw. als ich damals alleine mit zwei Katholikinnen in der Fraktion tätig war, heftigst angegangen wurde, wenn ich mal das Thema Kirche und Homophobie in einem Zusammenhang erwähnte.
Auf dem Trauermarsch unterhielt ich mich sehr lange mit einem schwulen Mann, der auch lange mit sich gerungen hat, ob er an dieser Demo teilnehmen wird und einem Arzt, der sich wirklich nicht ideologisch sondern äußerst differenziert äußerte.
Unter Zeitdruck und emotional aufgeladen durch das polarisierte Klima versuchte ich dann meine Position in diesem Blogeintrag[ http://wp.me/prPPh-70 ] darzustellen. Über die Qualität kann gestritten werden, es ist aber auch nur ein Blogeintrag mit einer Meinung und kein wissenschaftlicher oder offizieller grüner Artikel.
Ich neige auf meinem Blog auch gerne mal zu Zuspitzungen, um Aufmerksamkeit zu provozieren. Was mir ja mit dem Artikel wohl sehr gelungen ist, weil ich, auch noch nach zwei Jahren und trotz über 250 Blogeinträgen, immer noch vor allem mit diesen Aussagen verbunden werde. Wenn Sie sich aber meine Blogeinträge von damals ansehen, sehen sie, dass ich mich dort differenzierter ausdrücke. Anders die Kommentatorin[ http://christianfender.wordpress.com/2009/09/23/gibt-tage-da-kann-ich-die-grunen-net-ausstehen/#comment-1146 ], die mir hier einen Übertritt zur NPD empfiehlt.
Ich möchte an dieser Stelle versuchen, ein paar Worte zu meiner Position bei einem überaus komplexen Thema anzubieten, aber vorab möchte ich noch (auch mit Einbindung meiner Mutter) ein paar Sätze zu meiner Entstehungsgeschichte schreiben, die ich in meiner Biografie nicht erwähnt habe. Auch wenn es sehr privat ist, sehe ich es jetzt als sinnvoll an, um auch Akzeptanz für meine Perspektive zu diesem Thema zu schaffen.
Meine Mutter studierte in Moskau und lernte dort einen Afghanen kennen. Es kam zu einer Situationsdynamik, die weder im Bereich des Zwangs noch im Bereich der sexuellen Selbstbestimmung lag, die letztendlich zu meiner Entstehung führte. Die erste Reaktion des Vaters auf das Kind war: „Lass es abtreiben, meine Ehre steht auf dem Spiel“ Viel schlimmer jedoch war die Reaktion des Arztes in der Kleinstadt, in der meine Mutter damals lebte, und der die Schwangerschaft feststellte. Er redete solange auf meine Mutter ein, bis sie sich bereit erklärte, das Kind abtreiben zu lassen. Der Hintergrund war, dass ein Auslandsstudium (Karriere) als wichtiger bewertet wurde als ein noch ungeborener Mensch.
Als meine Mutter merkte, dass er sie nicht eher gehen ließ, ehe sie nicht einverstanden war, nahm sie den Überweisungsschein für die Abtreibung und ging. Die Situation war wirklich nicht einfach, denn sie musste das Studium abbrechen und hatte erst einmal keine Perspektive und auch keine Unterstützung seitens der Familie. Dennoch entschied sie sich gegen eine Abtreibung und zog mich alleine in der DDR auf. Dafür möchte ich an dieser Stelle noch einmal Danke sagen und dass ich stolz und froh bin über diese Entscheidung.
Ja, ich bin auf einer Werteebene dafür, dass die Zahl der Abtreibungen reduziert wird. An keiner Stelle setze ich mich im Übrigen für eine Kriminalisierung von Frauen oder Abtreibungsärzt_innen ein oder will irgendwelche Gesetze verschärfen, denn mir ist bewusst, wie kompliziert und komplex die Situationen werdender Mütter sein können.
Aber ich will mich für eine Gesellschaft einsetzen, in der die Menschen gerne Kinder bekommen, in der von allen Seiten ein kinderfreundliches Klima und eine entsprechende Infrastruktur vorhanden sind. Es darf keine ökonomischen und sozialen Zwänge geben, die dazu führen, sich gegen ein Kind zu entscheiden und auch Menschen in persönlichen Beziehungs- und Familienkrisen müssen auf allen Ebenen unterstützt werden, um sich tatsächlich frei für oder gegen ein Kind entscheiden zu können.
Es geht darum, die Anzahl ungewollter Schwangerschaften gerade bei sehr jungen Frauen präventiv abzubauen. Das fängt bei frühzeitiger und unverkrampfter Sexualaufklärung in der Schule an. Das sexuelle Selbstbestimmungsrecht und der Zugang zu Verhütungsmitteln müssen gefördert und ausgebaut werden, bspw. auch mit Kondomautomaten an Oberschulen. Das alles gilt auch für Kinder und Jugendliche von streng religiösen Eltern!
Und es geht darum, wenn es zu einer Schwangerschaft kommt (insbesondere bei Minderjährigen), Alternativen zur Abtreibung (Adoption, Pflegefamilie auch für minderjährige Mütter und Kind, Hilfen zur Erziehung, Betreuung, …) anzubieten und jungen Müttern ebenso Perspektiven zu geben, wie den Vätern, die genderbedingt oft noch eine ganz andere Perspektive auf die Situation haben. Menschen sollten nicht vor die Wahl zwischen Kind oder berufliche Karriere gestellt werden müssen, sondern es muss gesellschaftlich gemeinsam gedacht werden.
Ich persönlich finde die Parolen der anderen Seite „mein Bauch gehört mir“ halt sehr unsachlich, weil es sich hier nun mal um ein (zumindest potentielles) Leben (im juristischen Sinne) handelt. Um ein Embryo, dass sich nicht wehren kann und von dem wir nie wissen werden, was es alles erlebt hätte. Aber auf der anderen Seite können meine zugespitzte Bemerkungen kontraproduktiv gewesen sein und ich möchte mich dafür entschuldigen, wenn sich jemand dadurch verletzt fühlt(e). Nahezu keiner Frau, die so etwas durchgemacht hat, ist es leicht gefallen.
Bitte akzeptieren sie meine Meinung und lassen sie uns gemeinsam an einer besseren Gesellschaft arbeiten.
Mit freundlichen Grüßen,
Christian Fender
PS: http://www.gruene-bundestag.de/cms/termine/dok/386/386765.tierschutz_konsequent_umsetzen.html