Warum behauptet die FDP, die EU-Lieferkettenrichtlinie beträfe kleine und mittelständische Unternehmen?
Sehr geehrter Herr Dürr,
am 1. Februar hat Ihre Fraktion auf ihrer Facebook-Seite ihre Ablehnung des EU-Lieferkettengesetzes u. a. damit begründet, es sei "ein sehr teures Misstrauensvotum gegen die Wirtschaft – vor allem für kleine und mittelständische Unternehmen." (Quelle: https://www.facebook.com/fdpbt/posts/pfbid0k9YFDrrEB2coQwSYEpquenRAmofvvzGTFBRn8mFngPBKbkL1uJpU8feFE9WNPUL8l)
Tatsache ist jedoch, dass kleine und mittelständische Unternehmen (KMU) von dem Gesetz nicht betroffen wären. KMU haben weniger als 50 Mio. € Jahresumsatz, das EU-Lieferkettengesetz sollte erst ab 150 € Mio € Umsatz gelten, also dreimal so viel. Es beträfe deshalb nur die umsatzstärksten 0,12% der deutschen Unternehmen (ca. 4.200 von 3,4 Mio). Warum suggeriert ihre Fraktion trotzdem, es träfe KMU, also auch den Klempner um die Ecke?
Sehr geehrter Herr W.,
vielen Dank für Ihre Frage.
Der Anwendungsbereich der Richtlinie ging weit über das für Unternehmen in Deutschland ab 1.000 Beschäftigte geltende Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz hinaus - konkret für Unternehmen ab 500 Mitarbeitern (150 Mio. Euro weltweiter Umsatz) und Unternehmen aus Risikosektoren ab 250 Mitarbeitern (40 Mio. Euro weltweiter Umsatz, davon 20 Mio. Euro im Risikosektor). Damit träfe die Richtlinie explizit den industriellen Mittelstand in Deutschland. Unternehmen sollen nicht nur für ihre direkten Zulieferer, zu denen eine Vertragsbeziehung besteht, sondern für die gesamte Wertschöpfungskette Verantwortung übernehmen. Ein solcher Anwendungsbereich ist besonders bei komplexen Produkten völlig realitätsfern. Die Richtlinie hätte die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft bedroht, da neben Bußgeldern auch erstmals explizite Haftungsregelungen hinzukämen und umweltrechtliche Anforderungen erheblich verschärft würden.
Mit der Umsetzung der Richtlinie kämen außerdem zusätzliche Bürokratiekosten von ca. 100 Mio. Euro pro Jahr auf Unternehmen in Deutschland zu. Gerade die Mittelständler wären von dieser Bürokratie überproportional betroffen. Anders als Großunternehmen haben sie oft keine Kapazitäten, um die komplizierten Regelungen und Berichtspflichten umzusetzen. Statt teurer und aufwändiger Audits sollten sie in wirtschaftlich schwierigen Zeiten lieber in die Zukunft investieren können. Aufgrund des fehlenden KMU-Schutzes wäre zudem zu befürchten, dass auch Unternehmen unter der Bürokratie leiden würden, die gar nicht direkt erfasst sind, weil Vorgaben entlang der Lieferbeziehungen weitergereicht werden können.
Wir haben uns aktiv in den Verhandlungsprozess eingebracht und eigene Verbesserungsvorschläge vorgeschlagen. Denn wir setzen uns in Deutschland, Europa und der Welt für Freiheit, den Schutz der Menschenrechte, Wohlstand und eine starke Wirtschaft ein. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen Politik und Wirtschaft Hand in Hand arbeiten. Unsere Bedenken waren lange bekannt und schriftlich hinterlegt - und wir waren damit in Europa keineswegs allein. 14 EU-Länder und damit mehr als die Hälfte der Mitgliedsstaaten - darunter Frankreich, Italien und Schweden - haben dem Richtlinienentwurf in dieser Form nicht zugestimmt. Das war auch richtig so, denn Umweltstandards und Menschenrechte in anderen Teilen der Welt werden nicht gestärkt, wenn in Europa Aktenordner mit komplizierten Dokumentationen gefüllt werden.
Mit freundlichen Grüßen
Ihr
Christian Dürr