Frage an Christa P. Meist von Wilfried M. bezüglich Recht
Sehr geehrte Frau Meist,
gesetzt den Fall, die Linke hätte eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag.
Würde sie dann Teile des Grundgesetzes verändern wollen?
Welche Teile wären das gegebenenfalls?
Mit freundlichen Grüßen
W. Meißner
Sehr geehrter Herr Meißner,
Ihre Anfrage kann ich nur persönlich beantworten, da ich von unserer Seite momentan keine klare Beschlusslage dafür kenne, welche unserer Ziele evt. nur bei Änderungen des Grundgesetzes verwirklicht d.h. rechtlich sauber umgesetzt werden können und welche auch allein durch Veränderung bestehender Gesetze und/oder der sog. Verfassungswirklichkeit.
In Art. 6 würde ich dem Recht der Kinder auf Fürsorge, Erziehung, freie Entfaltung ein eigenes Gewicht geben, das - falls dieses von den Eltern nicht gewährleistet werden kann - gegenüber dem Staat einklagbar ist. (z.T. berücksichtigt im Jugendhilfegesetz)
Bei der Staatsangehörigkeit (Art. 116) würde ich im GG eine klare Aussage dahingehend verankern, dass jeder der innerhalb des Staatsgebietes geboren wird unabhängig von der Herkunft der Eltern, die deutsche Staatsbürgerschaft erwirbt, sie aber selbstverständlich als Erwachsener aufgeben kann. Das Abstammungsprinzip würde ich gänzlich aufgeben.
Dies hätte Folgen für Art.8,9 und 11. Versammlungsfreiheit, Vereinigungsfreiheit und Freizügigkeit, alle Grundrechte sind für alle Einwohner, gleich welcher Herkunft zu gewährleisten. Die notwendigen Einschränkungen durch das Strafrecht und evt. andere Artikel des Grundgesetzes sind m. E. völlig ausreichend.
Die Einschränkungen des Asylrechts, die vor einigen Jahren in Art. 16 vorgenommen wurden, würde ich rückgängig machen und dazu den Begriff der Verfolgung über das Politische hinaus ausdehnen auf organisierte Handlungen gegenüber Menschengruppen, die den Grund- und Menschenrechten zuwider laufen (z.B. Flucht von Frauen vor Beschneidungszwang).
Zur Umsetzung der von uns gewünschten, erweiterten Möglichkeiten direkter Demokratie wäre evt. Art. 20 durch einen Katalog von Sachbereichen zu ergänzen, zu dem Volksabstimmungen zwingend sind. (z.B. Ratifizierung internationaler Abkommen, EU-Verfassung etc.)
Art. 139 würde ich als explizites "Antifaschismus-Gebot" fassen. (Für mich sehr wichtig, weil er von deutschen Verwaltungsrichtern sehr gerne "überlesen" wird.)
Gesundheitswesen, die Versorgung mit Wasser- und Energie, das Angebot an öffentlichen Transport- und Kommunikationsmitteln dürfen ebenso wie die Bildung nicht den Marktgesetzen überlassen werden. Dieser Katalog von Aufgaben der Daseinsvorsorge ist möglicherweise unvollständig, ob er angesichts von Art. 14 und 83 - 91 b Verfassungsrang haben muss, ist aber diskussionsbedürftig.
Das sind Punkte, die mir jetzt so gegenwärtig sind. Da das Grundgesetz enormen Gestaltungsraum lässt - und ich möchte, dass das so bleibt - sind unsere Ziele und Forderungen grundsätzlich im Rahmen des Grundgesetzes umsetzbar. Nicht jedes berechtigte Anliegen bedarf m.E. des Verfassungsranges, sondern meistens ist eine entsprechende Gestaltung der Gesetze ausreichend.
Mit freundlichen Grüßen
Christa P. Meist