Frage an Cem Özdemir von Fabian M. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Özdemir,
nach einem in verschiedenen Medien veröffentlichten Papier ("Technische Ansätze gegen Online-Copyright-Verletzungen versucht") scheint der Internationale Verband der Musikindustrie (IFPI) bei EU-Parlamentariern für eine stärkere Kontrolle des Internets zu werben.
Um Raubkopien und Urheberrechtsverletzungen zu unterbinden seien insbesondere Netz-Provider stärker in die Pflicht zu nehmen, wenn möglich auf einer gesetzlichen Grundlage.
Konkret seien Protokoll- und Internetsperren für aufällig gewordene Internetuser geplant, außerdem sollte die Verbindung zu bestimmten relevanten Internetseiten gänzlich gesperrt werden.
Sehr geehrter Herr Özdemir,
wie bewerten Sie diese Entwicklung?
Ist es Ihrer Meinung nach richtig bzw. notwendig, dass bürgerliche Freiheit zugunsten der Interesssen privater Unternehmen eingeschränkt wird (wie beispielsweise auf nationaler Ebene in Frankreich)?
Über eine Antwort freue ich mich,
mit freundlichem Gruß,
Fabian May
Sehr geehrter Herr May,
ich bedanke mich für Ihre Anfrage.
Ich stimme Ihnen zu, dass die Einschränkung bürgerlicher Freiheiten hinsichtlich der in der Informationsgesellschaft genutzten neuen Technologien in den letzten Jahren zugenommen hat. Dabei sind insbesondere konkrete datenschutzrechtliche Bedenken oftmals zugunsten abstrakter Sicherheitsforderungen ignoriert worden.
In Bezug auf die von Ihnen angesprochene stärkere Kontrolle aufgerufener Internetseiten durch die Internetprovider, muss ich feststellen, dass diese bereits durch die Umsetzung der sog. EU-Enforcement-Richtline (2004/48/EG) unterstützt wird - in unter datenschutzrechtlichen Gesichtspunkten bedenklicher Weise.
Zwar ist immer ein gerechter Ausgleich zwischen widerstreitenden Interessen nötig, man kann in diesem Fall den Inhabern eines Urheberrechts nicht den berechtigten Wunsch auf Wahrung ihrer Interessen absprechen. Trotzdem muss der Datenschutz gewahrt bleiben - insbesondere mit Hinblick auf das vom Verfassungsgericht formulierte Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationsrechtlicher Systeme. Entwicklungen wie es sie Frankreich mit der Einrichtung einer zentralen Aufsichtsbehörde gibt, finde ich daher sehr bedenklich.
Ohnehin sehe ich die momentane Entwicklung (Vorratsdatenspeicherung, Online-Durchsuchung etc.) sehr kritisch. Die Verfechter dieser Maßnahmen scheinen vom "Recht, in Ruhe gelassen zu werden" offenbar nicht viel zu halten. Die Grünen nehmen hierbei eine unmissverständliche Position ein. Der Staat mus die Grundrechte seiner Bürgerinnen und Bürger achten. Nicht etwa die Geltung der Freiheitsrechte muss begründet werden, sondern ihre Einschränkung.
Mit freundlichen Grüßen
Cem Özdemir