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Cem Özdemir
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Frage von Karl S. •

Frage an Cem Özdemir von Karl S. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen

Hallo Herr Özdemir,

Betr. Marco W.

Vor einiger Zeit sagten Sie: "Die Türkei ist keine Bananenrepublik". Offensichtlich ist dies allerdings doch der Fall! Oder wie sehen Sie heute diesen Fall?

MfG
Karl Seebode.

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Antwort von
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Sehr geehrter Herr Seebode,

ich danke Ihnen für Ihre Frage.

Tatsächlich bin ich immer noch der Meinung, dass die Türkei keine Bananenrepublik ist - ebenso wenig etwa wie Polen oder die USA.

Zugleich möchte ich Sie auch daran erinnern, dass ich Teile der türkischen Justiz in der Vergangenheit mit deutlichen Worten kritisiert habe, etwa wenn es um die Einschränkung der Meinungsfreiheit, die Behandlung religiöser Minderheiten oder die Rolle des Militärs ging. Es geht also keineswegs darum, die Türkei "grundsätzlich" zu verteidigen oder "grundsätzlich" zu kritisieren. Solche ideologischen Grundsätzlichkeiten untergraben die Glaubwürdigkeit der Politik und entsprechen nicht meiner politischen Kultur. Vielmehr muss Kritik berechtigt sein, dann ist sie auch glaubwürdig. Zwar müssen Politiker durchaus auch einmal (an der Grenze des Populismus) scharf formulieren dürfen - damit hat man Marco W. aber ganz sicher keinen Gefallen getan.

Es ist nicht Aufgabe von Politikern, die Schuld oder Unschuld von Marco W. zu bewerten, das ist Aufgabe der Justiz. In diesem Zusammenhang habe ich darauf hingewiesen, dass die türkische Justiz ihr in diesem Fall relevantes Strafrecht nach europäischem Vorbild reformiert hat. Der Vorsitzende des Deutschen Richterbundes hat deutlich darauf hingewiesen, dass in Deutschland "im Prinzip nichts anderes gelten würde", der Fall also vergleichbar behandelt würde. Sie können dieses Interview nachlesen:

http://www.spiegel.de/panorama/justiz/0,1518,491644,00.html

Auch dieses Gespräch beleuchtet den Fall:

http://www.stern.de/politik/deutschland/:Fall-Marco-W.-T%FCrkei/591897.html

Ich möchte außerdem darauf hinweisen, dass ich mich mit Äußerungen zu diesem Fall nach seinem Bekanntwerden zurückgehalten habe, da mir bewusst war, dass aus dem Ausland aufgebauter politischer Druck auf eine Justiz grundsätzlich kontraproduktiv ist. Sie können sich vorstellen, dass auch die deutsche Justiz über entsprechenden Druck nicht erfreut wäre und auf ihre Unabhängigkeit verweisen würde. Erst nachdem dieser Druck immer offensichtlicher wurde, habe ich in einem Kommentar für die Sächsische Zeitung darauf hingewiesen, dass der öffentliche Druck und so manche populistische Äußerung Marco W. eher schadet denn hilft. Darauf haben im Übrigen erst kürzlich auch die Anwälte von Marco W. ausdrücklich hingewiesen. Sie können meinen genannten Kommentar hier nachlesen:

http://www.sz-online.de/nachrichten/artikel.asp?id=1535910

Die Kritik des Anwalts an der Einmischung der Politik finden Sie hier:

http://www.focus.de/panorama/welt/antalya_aid_131912.html

Ich möchte noch einmal darauf hinweisen, dass die Türkei in diesem konkreten Fall nach einhelliger Meinung auch von Rechtsexperten Gesetze anwendet, die europäischem Standard entsprechen. Dazu zählt übrigens auch die Untersuchungshaft bei möglicher Fluchtgefahr. Ferner würde sich der Fall vermutlich anders gestalten, wenn die Mutter des Mädchens ihre Anzeige zurückziehen würde - das tut sie jedoch ausdrücklich nicht; sie verlangt damit eine juristische Klärung des Vorwurfs. Ich bitte Sie, dies bei Ihrer Einschätzung der Vorgehensweise der türkischen Justiz zu berücksichtigen.

Nichtsdestotrotz stellt sich die Frage, ob die Dauer der Untersuchungshaft verhältnismäßig ist. Tatsächlich bezweifle ich das, aber auch hier verweise ich nochmals auf die Einschätzung von Rechtsexperten bei einem vergleichbaren Fall in Deutschland. Ferner muss die Türkei die Haftbedingungen in den Gefängnissen verbessern (wie auch einige EU-Mitgliedstaaten), ebenso muss das Land das Jugendstraftrecht (weiter)entwickeln.

Ich werde die Reformen und die Annäherung der Türkei an die EU im Rahmen meines Mandats im Europäischen Parlament auch weiterhin kritisch begleiten. Die Türkei hat noch einen weiten Weg vor sich, auf die Meinungsfreiheit und die damit zusammenhängende Reform des Artikels 301 habe ich bereits hingewiesen. Eine Türkei, die sich Europa, unsere demokratischen und menschenrechtlichen Standards zum Vorbild nimmt, ist im Interesse Deutschlands und der Europäischen Union.

Mit freundlichen Grüßen

Cem Özdemir

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