Frage an Cem Özdemir von Günter S. bezüglich Umwelt
Sehr geehrter Herr Özdemir,
warum erklärt keiner uns Bürgern was das Abschalten der Kohlekraftwerke, das zerstören der Automobilindustrie mit Nachfolgeunternehmen fürs Weltklima bedeutet?
Wenn ich auf einer Weltkarte Deutschland suche, muss ich wissen wo es sich befindet. Wenn demnächst die Weltbevölkerung auf 8 Milliarden steigt hat Deutschland mit 80 Millionen Einwohnern 1% der Weltbevölkerung. Rechtfertigt der theoretische Deutsche Beitrag zum Klimawandel den massiven Verlust von Arbeitsplätzen, die Energieautonomität - und den Frieden in Deutschland zu riskieren?
Mit freundlichen Grüßen,
G. S.
Sehr geehrter Herr Steffan,
vielen Dank für Ihre Frage.
Meine Antwort würde ich gerne in zwei Teile aufteilen. Zum einen lese ich aus Ihrer Fragestellung die These heraus, dass ein Mehr an Klimaschutz irgendwie automatisch zulasten der Automobilindustrie und der darin Beschäftigen führen würden. Dieser These möchte ich gleich zu Beginn widersprechen. Aus meiner Sicht ist das Gegenteil der Fall und unsere Automobilwirtschaft dafür ein gutes Beispiel:
Mit jährlichen Exportquoten von rund 75 Prozent ist die Automobilwirtschaft in Deutschland enorm abhängig von den internationalen Märkten. China gibt als größter Automarkt die Trends vor und steuert gezielt in Richtung Elektromobilität. Großbritannien, Frankreich und Spanien haben angekündigt, sich ab 2040 vom fossilen Verbrenner zu verabschieden. Irland, Dänemark und die Niederlande bereits zehn Jahre früher. Norwegen will sogar schon 2025 so weit sein. Mit dem Pariser Klimaabkommen gibt es dafür auch einen klimapolitischen Rahmen. Das Abkommen bedeutet, dass der Verkehr in Deutschland bis 2050 nahezu klimaneutral sein muss.
Ich will, dass wir auch in Zukunft Autos in Deutschland produzieren. Unsere Autos bleiben aber nur dann Exportschlager, wenn wir die richtigen Rahmenbedingungen schaffen, damit sich klimafreundliche Antriebe auch hier durchsetzen. Die Bundesregierung unterstützt bisher jedoch diejenigen, die am liebsten einen Schutzzaun um den fossilen Verbrennungsmotor ziehen wollen. Doch wenn die Erfolgsgeschichte weitergeschrieben werden soll, dann ist wieder Erfindergeist gefragt: ein „German Can Do“ statt „German Angst“
Ich bin überzeugt, nur wenn wir Wirtschaft und Umwelt erfolgreich zusammenbringen erhalten wir Arbeitsplätze langfristig. Auch dazu möchte ich Ihnen gerne ein Beispiel geben: Noch im Jahr 2017 haben europäische (!) Autohersteller in China sieben Mal mehr in E-Mobilität investiert als in Europa. Im vergangenen Jahr wurden in Europa bereits 60 Mrd. Euro investiert – immerhin 19 mal so viel wie im Jahr 2018. Das sichert Arbeitsplätze an unseren Standorten. Treiber für den Investitionshochlauf sind vor allem ambitionierte Klimaschutzvorgaben wie die CO2-Flottengrenwerte auf EU-Ebene.
Neben der wirtschaftlichen Dimension bezieht sich Ihre Fragestellung auch auf die Tatsache, dass Deutschland nur 1% der Weltbevölkerung stellt. Das stimmt natürlich. Aber zum einen ist Deutschland immerhin für 2% der globalen Klimagasemissionen verantwortlich und befindet sich damit bezogen auf die absoluten Emissionen der Industriestaaten in der „Spitzengruppe“ der Staaten mit den höchsten Treibhausgasemissionen. Pro Kopf werden in Deutschland jährlich circa 9,6 Tonnen CO2 ausgestoßen und damit sind die Emissionen pro Kopf fast doppelt so hoch wie der weltweite Durchschnitt zum von 4,8 Tonnen pro Kopf. Und in Sachen Gerechtigkeit müsste man wohl der Vollständigkeit halber noch hinzufügen, dass wir in Deutschland auch schon viel länger höhere CO2-Emissionen haben als andere Staaten, der Vergleich der absoluten Werte pro Land allein führt daher nicht gerade weit. Im Pariser Klimaabkommen haben sich 2015 zudem alle Staaten der Erde vertraglich dazu verpflichtet, die globale Erderhitzung auf deutlich unter 2 Grad zu begrenzen und die Treibhausgasemissionen bis 2050 auf netto null zu senken. Das gelingt nur, wenn jedes Land seinen Beitrag leistet. Nicht - wie Sie sagen – nur theoretisch, sondern ganz praktisch.
Nicht zuletzt weist die weltweite Verpflichtung zum Klimaschutz auch darauf hin, dass der Markt für Klimatechnologien und klimafreundliches Wirtschaften weiter anwachsen wird. Deutschland ist hier bereits sehr gut aufgestellt und kann auch hier – ökonomisch wie ökologisch - erfolgreich sein. Diesen Trumpf für den Wettbewerbsstandort Deutschland möchte ich nicht aufgeben durch Verwässerungen oder Nachlassen bei unseren Klimaschutzambitionen.
Beste Grüße
Cem Özdemir