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Cem Özdemir
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Frage von Fritz K. •

Frage an Cem Özdemir von Fritz K.

Sehr geehrter Herr Özdemir,

ich habe Ihr Statement cvor der Abstimmung in den Medien gesehen ( Teufel mit Teufel austreiben... ) - ich frage mich wieso Sie sich bei der Abstimmung ENTHALTEN haben. Warum Haben Sie nicht klar mit NEIN gesteimmt ?

Über eine kurze Erklärung würde ich mich freuen.

MfG
F.Klein

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Klein,

die Gründe für meine Entscheidung habe ich in einer persönlichen Erklärung zur Abstimmung zusammengefasst:

1. Die Terroranschläge in Paris am 13. November 2015 waren ein Angriff auf unsere freiheitliche Ordnung in Europa. Ziel der Attacke waren unsere europäischen Grundwerte der Demokratie, der Achtung der Menschenwürde, der Wahrung der Menschenrechte und des pluralistischen Zusammenlebens in gegenseitigem Respekt. Die verheerenden Anschläge in Paris galten eben nicht allein Frankreich, sondern richten sich gegen das liberale Europa.

2. Präsident Hollande hat sich mit der Bitte um Beistand bewusst nicht an die NATO gewandt, sondern an die Solidarität der Europäischen Union appelliert. Unsere grünen Freunde in Frankreich haben dem Einsatz in Syrien größtenteils zugestimmt. Wer jetzt Frankreich die erbetene militärische Unterstützung verweigert, läuft Gefahr, die gegenseitige Solidarität - den Kernbestand der europäischen Idee - noch weiter zu unterhöhlen, als es ohnehin schon der Fall ist. Die EU sieht sich momentan Fliehkräften ausgesetzt, welche ein Zusammenrücken wichtiger denn je machen. Dazu zählen das Erstarken rechtspopulistischer Strömungen und Parteien, die Folgen der Finanzkrise in Griechenland, die Diskussionen um Abspaltungen von der EU, das Wiedererstarken von Nationalismen und das Ringen um gemeinsame Antworten in der Flüchtlingspolitik. Die Solidarität mit Frankreich, unserem engsten Partner in Europa, steht daher für uns außer Frage. Eine deutsche Verweigerung gibt der französischen Rechten außerdem das Argument an die Hand, nicht die ungeliebte EU, sondern das "partnerschaftliche" Russland stehe der Nation bei. Die Propaganda des Kremls wird daraus einen Vorteil zu ziehen wissen. Der Zusammenhalt innerhalb Europas ist daher der wichtige Grund, warum Paris uns jetzt an seiner Seite braucht. Daher halten wir es grundsätzlich für richtig, dem Gesuch unserer französischen Freunde nachzukommen und sie im Kampf gegen den sogenannten Islamischen Staat bzw. Daesch auch militärisch zu unterstützen.

3. Das Argument, man dürfe in Syrien keinen Krieg führen, verstellt den Blick auf eine unbequeme Realität: der Krieg ist in Syrien seit Jahren blutige Wirklichkeit. Der Krieg in Syrien ist ausgebrochen, weil Assad mit brutaler Gewalt gegen große Teile der Bevölkerung vorging, die sich gegen seine despotische Herrschaft auflehnten. Zehntausende sind verhaftet, verschwunden oder gefoltert worden. Als es für dieses verbrecherische Regime immer enger wurde, kamen der Iran, die Hisbollah und die russische militärische Aufrüstung Assad zu Hilfe. Der IS kämpfte sich in Gebiete vor, die die Freie Syrische Armee erobert hatte. Assads Armee bekämpfte nicht den IS, sondern überzog die eigene Bevölkerung mit chemischen Waffen und Fassbomben. Wir dürfen nicht ausblenden, dass vier Jahre später der brutale Konflikt Assads gegen die eigene Bevölkerung weiter tobt und der völkerrechtswidrige Einsatz von Fassbomben grausame Alltäglichkeit ist. Assad hat den weit überwiegenden Teil der mehr als 220 000 Toten zu verantworten. Er ist auch verantwortlich für den übergroßen Teil der syrischen Flüchtlinge.

4. Der Terror, die menschenverachtende Ideologie und die enorme Gewalt, die von Daesch ausgeht, erfordern zweifelsfrei ein entschiedenes Vorgehen der Staatengemeinschaft. Ohne einen politischen Transformationsprozess in Syrien und einer inklusiven irakischen Regierung wird man Daesch nicht besiegen können. Wir müssen aber auch bereit sein, uns auch militärischen Mitteln nicht zu verschließen, um durch ein territoriales Zurückdrängen von Daesch Raum für eine politische Lösung zu schaffen. Allein durch Einschränkung der ausländischen Finanzströme und des Ölhandels mit dem IS lässt sich der Terror nicht austrocknen. Die wichtigste (Finanz-)Ressource des IS ist die unter seiner Kontrolle stehende Bevölkerung und seine Fähigkeit, Tausende Dschihadisten aus aller Welt anzuziehen, zu trainieren und in den Kampf zu schicken. Diese Ressourcen wird man nur einschränken können, wenn man dem IS wieder Territorium abringt.

5. Zugleich wird in Syrien ein Konflikt zwischen benachbarten Mächten ausgetragen. Der Iran will Assad als Verbündeten an der Macht halten. Saudi-Arabien und Katar wollen eine Vormachtstellung des Iran in Syrien verhindern und unterstützen die Rebellen. Sie haben aus demselben Grund aber auch lange den IS gestützt. Die Türkei hat ihrerseits ein zumindest undurchsichtiges Verhältnis zum IS und bekämpft die einzige erfolgreiche Kraft, die vermocht hat, den IS zurückzudrängen - die kurdischen Kämpfer.

6. Das erklärte Ziel Russlands ist es, Assad an der Macht zu halten. Bisher haben die russischen Luftangriffe den Rebellen und kaum dem IS gegolten. Sie waren und sind mit hohen Verlusten in der Zivilbevölkerung verbunden und haben die Flüchtlingskrise verschärft. Die Entscheidung von Präsident Putin, mit der Luftwaffe und Spezialeinheiten am Boden in den Krieg einzugreifen, hat das Assad-Regime aus der Defensive geholt. Gleichzeitig hat die Stationierung hochmoderner russischer Flugabwehrsysteme (S 300 und S 400) das Kräfteverhältnis massiv zugunsten russischer Konditionen verschoben.

7. Daher: Die Ziele der militärischen Allianz gegen ISIS sind widersprüchlich. Die zweifelhafte Rolle Russlands im Syrienkonflikt verstärkt die Befürchtung, dass der Einsatz der Bundeswehr in Syrien zu einer militärischen Kooperation mit der Armee Assads führen könnte. Weder das Mandat noch die Äußerungen der Bundesregierung legen offen, ob, wie und unter welchen Bedingungen eine militärische Zusammenarbeit mit Russland erfolgen soll. Es ist nicht klar, ob die Türkei und Russland sich mit den westlichen Alliierten darauf verständigt haben, ausschließlich gegen den IS und nicht gegen die Freie Syrische Armee und andere unabhängige Rebellengruppen vorzugehen. Insbesondere schließt das Mandat eine Kooperation mit der Regierung des syrischen Staatspräsidenten Baschar al-Assad nicht aus. Die widersprüchlichen Aussagen der Bundesregierung dazu im Vorfeld der Abstimmung haben unsere dahingehenden Sorgen noch verstärkt. Sowohl der französische Außenminister als auch die deutsche Verteidigungsministerin sprechen von der Assad-Armee als möglichem Partner im Kampf am Boden. Damit steigt die Wahrscheinlichkeit, dass diese Intervention ein bipolares Machtsystem herbeiführen wird: auf der einen Seite der IS und auf der anderen Seite ein gestärktes Assad-Regime. Die Freie Syrische Armee, so heterogen sie auch ist, droht zerrieben zu werden, wenn sie weiterhin das Ziel der Truppen Assads bleibt. Das wird große Teile der sunnitischen Milizen dem IS in die Arme treiben. Der IS würde damit faktisch gestärkt. Die Kurden drohen, zwischen die Mühlsteine zu geraten. Dabei muss aus unserer Sicht auch klar sein – eine Kooperation mit Moskau darf nicht auf Kosten der Ukraine geschehen.

8. Alle diese offenen Fragen müssten vor einer Einsatzentscheidung geklärt sein. Sonst wird ein Einsatz beschlossen, bei dem die Teilnehmer der Koalition möglicherweise entgegengesetzte Ziele verfolgen und in der Konsequenz den IS nicht zurückdrängen, sondern stärken.

Bisher steht bei dieser Entscheidung demgemäß nur die Alternative zwischen schlecht und schlechter zur Wahl. Leider hat die Bundesregierung auf diese gestellten Fragen keine Antwort gegeben, um zu einer sachgerechten Entscheidung kommen zu können. So bleibt nur die Wahl zwischen Enthaltung und Nein. Eine Ablehnung allerdings würde das dringend notwenige unverbrüchliche Bündnis zwischen Frankreich und Deutschland in Frage stellen. Eine Enthaltung - auch wenn sie angesichts des Gewichts der Entscheidung ungewöhnlich sein mag - kann dem politischen Dilemma Ausdruck verleihen: "Ja", weil der IS auch militärisch bekämpft werden muss und das deutsch-französische Bündnis der elementare Kern der europäischen Union bleiben muss. "Nein", weil die politischen Rahmenbedingungen dieses Einsatzes in fundamentalen Fragen bisher ungeklärt geblieben sind.

Mit freundlichen Grüßen
Cem Özdemir

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