Frage an Cem Özdemir von Eric R. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Özdemir
Daß Firmen in Deutschland von internationalen Investoren übernommen werden und "restrukturiert" werdern, sind wir seit Jahren schon gewohnt.
Seit einigen Tagen stellt sich mir die Situation aber deutlicher dar. Aktuell soll in Geislingen der Traditionsbetrieb WMF "verschlankt" werden. Das Vorgehen wird von den Renditeforderungen eines amerikanischen Investors zugehörig zu Blackstone vorangetrieben.
Die Firma Grohe erlitt ein ähnliches Schicksal. Und viele andere.
Dies ist durch unsere Gesetzgebung erst ermöglicht worden.
Zuvor wurde durch Frau Breuel in den neuen Bundesländern Tür und Tor für (hauptsächlich amerikanische) Investoren geöffnet und die dortige Wirtschaft vollends zerschlagen.
Aktuell steht Europa in Verhandlungen mit den USA (und Canada) über das TTIP. Die durchgesickerten Details sind mit Sicherheit auch Ihnen bekannt.
Sehr geehrter Herr Özdemir. Es stellt sich somit deutlich dar, daß in diesen Jahren seit 1990 Deutschland systematisch von Finanzinvestoren hauptsächlich aus dem angelsächsischen Raum als Melkkuh, bzw. Wirtstier mißbraucht wurde und dieser Mißstand noch weiter vorangetrieben werden soll. Alles in allem muß man zu der Schlußfolgerung gelangen, daß Deutschland ausgesaugt wird und die Wertschöpfung von angelsächsischen Finanzinvestoren abgeschöpft wird. Die Folgekosten werden den Deutschen in Form von Arbeitslosen, Streichungen öffentlicher Leistungen und Infrastruktur etc aufgezwungen.
Meine Frage ist: Stellt sich das Ihnen auch so dar und sehen sie Bedarf, dagegen eine Politik FÜR Deutschland und seine Bewohner voranzubringen?
Der Finanzinvestor Blackstone z.B. verfügt zur Zeit über das vierfache des Jahreshaushaltes Deutschlands als Anlagevermögen. Deutschland muß mit seiner Substanz dazu beitragen, dieser riesigen Geldmenge die gewünschte Rendite zu liefern.
Meine mathematische Ausbildung sagt mir, daß Deutschland dies nicht lange leisten kann, ohne ruiniert zu werden.
Vielen Dank für Ihre Antwort
Mit freundlichen Grüßen
Eric Raasch
Sehr geehrter Herr Raasch,
Sie haben mit einer Sache Recht: Wir brauchen eine neue Ordnung für die Finanzmärkte. Unsere Positionen zur Finanzpolitik finden Sie hier:
http://www.gruene-bundestag.de/themen/finanzen/gruene-finanzpolitik-im-bundestag_ID_309588.html
Allerdings teile ich nicht Ihre Haltung und Wortwahl. Ich sehe nicht, dass Deutschland „als Melkkuh bzw. Wirtstier mißbraucht“ wurde oder wird. Deutschland, seine Unternehmen und Investoren sind aktive Akteure in der globalen Wirtschaft. Sie profitieren von der Globalisierung und dem Zugang zu Märkten. Uns als Opfer gieriger anderer Länder und Finanzmarktinvestoren darzustellen, ist daneben und falsch.
Nichtsdestotrotz stehen wir vor der Aufgabe, einen sozial-ökologischen Ordnungsrahmen für unsere Wirtschaftsweise zu schaffen. Für Deutschland, aber letztlich auch in globaler Hinsicht (wenn wir etwa daran denken, dass wir Lieferketten transparenter machen müssen). Ich sehe hier die Politik in der Verantwortung. Sie muss den richtigen Rahmen schaffen und durchsetzen. Dann funktionieren Märkte (auch Finanzmärkte) so, dass sie dem Gemeinwohl dienen. Vermeintliche Ohnmacht darf hier nicht mit politischem Versagen verwechselt werden. Ich bin überzeugt, dass Politik hier vieles bewirken, ändern und verbessern kann.
Wir werden über diese Fragen auch auf unserem anstehenden Parteitag diskutieren. Er findet vom 20.-22. November in Halle statt. Zur Debatte steht ein umfassender Antrag zur Wirtschaftspolitik:
https://bdk.antragsgruen.de/39/motion/125
Mit freundlichen Grüßen
Cem Özdemir