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Carmen Wegge
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Frage von Franziska B. •

Warum haben Sie für die Wahlrechtsreform zur Verkleinerung des Bundestages gestimmt?

Hallo Frau Wegge,
warum haben Sie für die Wahlrechtsreform zur Verkleinerung des Bundestages gestimmt?

Es ist aus meiner Sicht nicht sehr demokratisch, wenn direkt gewählte Kandidaten nicht im Bundestag vertreten sind. Mit dem neuen Gesetz werden die Listenplätze der Parteien gestärkt und damit haben die oberen Parteifunktionäre mehr Einfluss.

Mit freundlichen Grüßen,

Franziska B.

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Sehr geehrte Frau B.,

herzlichen Dank für Ihre Frage zur Wahlrechtsreform.

Das derzeitige Wahlrecht führt durch Überhang- und Ausgleichsmandate zu einem unkontrollierbaren Anwachsen des Bundestags. Modellrechnungen kennen Szenarien mit über 900 Abgeordneten. Ausgangspunkt der stetigen Vergrößerung des Bundestags ist die Verknüpfung der Verhältniswahl mit einer vorgeschalteten Mehrheitswahl in den Wahlkreisen. Die Wahl in den Wahlkreisen ist vorgeschaltet, weil Wahlkreismandate in jedem Fall mit relativer Mehrheit der Erststimmen gewonnen werden. Da die Wahl nach ihrem Grundcharakter jedoch eine Verhältniswahl ist, werden die gewonnenen Wahlkreismandate einer Partei auf die nach Zweitstimmen gewonnenen Sitze dieser Partei angerechnet. Gewinnt eine Partei in einem Land mehr Wahlkreismandate, als die Partei nach Zweitstimmen Sitze für dieses Land errungen hat, entstehen Überhangmandate. Diese Überhangmandate verzerren das Zweitstimmenverhältnis der Parteien zueinander. Zur Wiederherstellung des Kräfteverhältnisses der Parteien müssen Überhangmandate durch Ausgleichsmandate bei anderen Parteien kompensiert werden. Diese Ausgleichsmandate erhöhen die Gesamtsitzzahl des Bundestags – abhängig vom Zweitstimmenanteil der Partei, bei der sie entstehen – erheblich. Das stetige Anwachsen des Bundestages schafft für die Arbeits- und Funktionsfähigkeit des Parlaments zahlreiche Probleme.

Zur Sicherstellung der verfassungsmäßigen Aufgabenerfüllung des Bundestags ist eine Wahlrechtsreform deshalb unumgänglich. Bisherige Versuche verfolgten mit einer möglichen Reduzierung der Zahl der Wahlkreise den Ansatz, die Zahl der Überhangmandate und die damit notwendigen Ausgleichsmandate dadurch zu senken, dass diese in aufgelösten Wahlkreisen erst gar nicht entstehen können. Dies erscheint jedoch unzureichend und löst das Problem nicht. Es soll deshalb bei den bisherigen 299 Wahlkreisen bleiben und die Größe des Bundestags anderweitig effektiv begrenzt werden.

Mit dem Erfordernis der Zweitstimmendeckung verhindern wir Überhang- und Ausgleichsmandate. Demzufolge sind Wahlkreiskandidierende einer Partei nur dann als Abgeordnete des Wahlkreises gewählt, wenn sie einen durch ihre Partei nach deren Zweitstimmenergebnis im betreffenden Land errungenen Sitz erhalten. Hierzu werden alle Wahlkreiskandidierenden einer Partei mit den meisten Erststimmen gereiht. Die Reihenfolge richtet sich nach dem prozentualen Anteil der Erststimmen in den Wahlkreisen, beginnend mit dem höchsten Erststimmenanteil. In dieser Reihenfolge werden die durch ihre Partei nach deren Zweitstimmenergebnis im betreffenden Land errungenen Sitze zunächst an die Wahlkreiskandidierenden vergeben. Sind mehr Sitze der Partei zu vergeben, als Wahlkreiskandidierende der Partei im Land erfolgreich waren, werden die verbleibenden Sitze an die Kandidierenden der Landesliste der Partei in der dort festgelegten Reihenfolge vergeben.

Haben mehr Kandidierende einer Partei in einem Land die meisten Wahlkreisstimmen errungen, als für die Partei Sitze im betreffenden Land zur Verfügung stehen, wird in Wahlkreisen, in denen Wahlkreiskandidierende nach dem Verfahren der Zweitstimmendeckung keinen Sitz erhalten konnten, kein*e direkt gewählte*r Abgeordnete*r bestimmt. Die Repräsentation der Wahlkreise bleibt aber auch in diesem Fall wahrscheinlich, weil typischerweise mehrere Abgeordnete aus einem Wahlkreis kommen, auch wenn diese nicht über die Wahlkreisstimme gewählt sind. Durch die Erhöhung der Regelgröße von 598 auf 630 Sitze erreichen wir, dass dies in möglichst wenigen Wahlkreisen vorkommt, also die Zahl der Nichtzuteilung von Wahlkreismandaten „ohne Zweitstimmendeckung“ geringer gehalten wird.

Es ist zulässig, dass Wahlkreise keine direkt gewählten Abgeordneten haben. Es gibt aus verfassungsrechtlicher Sicht keine institutionelle Garantie der ausnahmslosen Repräsentation aller Wahlkreise nach relativer Mehrheitswahl. Der Grundcharakter der Wahl ist eine Verhältniswahl. Dies wird auch im aktuellen Wahlrecht deutlich. Scheiden heute direkt gewählte Abgeordnete aus dem Bundestag aus, werden die frei gewordenen Sitze aus der jeweiligen Landesliste der Partei nachbesetzt. Hat die Partei im betreffenden Land Überhangmandate, werden die Sitze gar nicht nachbesetzt. Eine Ersatzwahl findet für Wahlkreisabgeordnete von Parteien mit zugelassener Landesliste also nicht statt. Dies hat in der Staatspraxis erhebliche Bedeutung, da es in jeder Wahlperiode mehrfach zum Ausscheiden von Abgeordneten kommt. In den vergangenen vier Wahlperioden sind allein zwischen 11 und 17 direkt gewählte Abgeordnete ausgeschieden, deren Sitze aus der Landesliste nachbesetzt wurden oder unbesetzt blieben. Dadurch war auch in den vergangenen Wahlperioden nach dem Ausscheiden der Gewählten ein erheblicher Anteil an Wahlkreisen nicht mehr mit direkt gewählten Abgeordneten besetzt (19. WP: 17 Wahlkreise, 18. WP: 17 Wahlkreise, 17: WP: 11 Wahlkreise, 16. WP: 12 Wahlkreise).

Mit freundlichen Grüßen

Carmen Wegge

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