Wie stehen Sie zur Frage der Videoüberwachung mit automatischer Gesichtserkennung? Werden Sie dagegen stimmen, wenn die Gesichtserkennung im Bundestag beschlossen werden soll?
Sehr geehrte Frau Bayram
der Versuch mit der Videoüberwachung mit Gesichtserkennung im Bahnhof Südkreuz hat sich als hochgradig fehlerhaft erweisen. Menschen wurden einem ständigen Überwachungsdruck ausgesetzt, bei Frauen, Kindern und Nicht-Weißen Menschen war die Fehlerquote besonders hoch. Unsere Freiheitsrechte werden eingeschränkt, Missbrauch ist nur schwer auszuschließen. Bevor, wie in einigen Städten in den USA die Gesichtserkennung verboten wird, sollten wir eine solche kostspielige & demokratiegefährdende Infrastruktur erst gar nicht aufbauen.
Guten Tag,
vielen Dank für ihre Frage, die ich gerne beantworte.
Ich lehne die Videoüberwachung unter dem Einsatz von Gesichtserkennungstechnologien (biometrische Erfassung) zu Überwachungszwecken entschieden ab. Das Recht auf Anonymität sowohl im öffentlichen Raum als auch im Internet ist zu gewährleisten. Deswegen habe ich bereits in der letzten Legislaturperiode den Antrag „Freiheit und Rechtsstaatlichkeit erhalten – Kein Einsatz biometrischer Gesichtserkennung in öffentlichen Räumen“ (Drucksache 19/16885) gemeinsam mit meiner Fraktion Bündnis 90/Die Grünen in den Deutschen Bundestag eingebracht.
Videoaufzeichnungen können bei Taten, die im öffentlichen Raum begangen werden, unter bestimmten Voraussetzungen dazu beitragen, Täter*innen zu identifizieren. Die aktuellen Systeme sind aber unausgereift und bieten keinen sicherheitspolitischen Mehrwert.
Sie weisen in ihrer Frage zu Recht auf die hohe Fehlerquoten von bisherigen Pilotverfahren hin. Ernstzunehmende Kritik kommt auch von Seiten von Netzaktivist*innen wie dem Chaos Computer Club. Die daraus resultierenden Fehlspeicherungen sind unzulässige Eingriffe in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung und sie verfestigen - wie sie ebenfalls richtig feststellen- gesellschaftlich ohnehin bestehende Diskriminierungen.
Darüber hinaus wird die Unschuldsvermutung als Grundsatz des Strafverfahrens in Frage gestellt, indem unterschiedslos alle Bürger*innen erfasst werden, egal ob auf sie ein Anfangsverdacht entfällt oder nicht. Das finde ich rechtspolitisch sehr bedenklich.
Gemeinsam mit SPD und FDP haben wir uns deswegen im Koalitionsvertrag darauf geeinigt, dass die flächendeckende Videoüberwachung und der Einsatz von biometrischer Erfassung abgelehnt wird.
Der Fall des US-Unternehmens „Clearview AI“ sowie Äußerungen aus den Reihen der CDU/CSU-Fraktion zeigen, dass ein gesetzgeberisches Untätigbleiben nicht ausreicht, um Grundrechts- und Verfahrensschutz weiterhin zu gewährleisten.
Für mich steht fest: Um auch in Zukunft zu verhindern, dass die Landes- oder Bundespolizeigesetze zukünftig mit Rechtsgrundlagen zur biometrischen Datenerfassung ausgestattet werden, bedarf es eines Gesetzes, das diese Techniken verbietet.
Herzliche Grüße,
Canan Bayram