Wie stehen Sie zu einer atomaren Bewaffnung Deutschlands oder auch Europas im Hinblick auf ein infragestellen der nuklearen Teilhabe durch Trump?
Sehr geehrte Frau Jacob,
heutiger Kommentar auf ntv:
https://www.n-tv.de/politik/Nach-dem-Telefonat-von-Putin-und-Trump-platzt-in-Muenchen-vielleicht-die-naechste-sicherheitspolitische-Bombe-article25562118.html
Dass wir uns auf den nuklearen Schutzschild der USA nicht mehr hunterprozentig sicher werden verlassen können, ist mit der Wiederwahl Trumps klar.
Sind Sie als Grüne daher bereit, eine atomare Bewaffnung Europas oder auch Deutschlands alleine möglichst schnell voranzutreiben, damit wir uns selbst vor einem Nuklearschlag Russlands durch eigene Abschreckung schützen können?
Falls Sie als Grüne dazu nicht bereit sein sollten, wie würden Sie uns bei einer Regierungsbeteiligung vor einem nuklearen Erstschlag Russlands schützen, wenn wir die Ukraine weiter unterstützen würden?
Ich bin gespannt auf Ihre Antwort.

Sehr geehrter Herr B.,
vielen Dank für Ihre Frage zur atomaren Bewaffnung in Europa.
Die 61. Münchner Sicherheitskonferenz, die eben zu Ende gegangen ist, war eine Zäsur für Europa. US-Vizepräsident JD Vance hat in seiner Rede sehr klar gemacht, dass sich die USA aus der transatlantischen Wertegemeinschaft vorerst verabschieden. Was seit vielen Jahren diskutiert, aber meines Erachtens nicht wirklich von deutscher und europäischer Seite strategisch vorbereitet wurde, zeichnet sich jetzt ab: Nämlich dass die USA als verlässlicher Sicherheitsgarant im NATO-Bündnis ausfallen oder zumindest die Wahrscheinlichkeit gestiegen ist, dass Europa im Angriffsfall ggf. auf sich allein gestellt ist. Das ist eine sehr ernste sicherheits- und verteidigungspolitische Herausforderung für uns in Deutschland und für ganz Europa. Denn klar ist, dass wir immer noch sehr stark von US-amerikanischen militärischen Fähigkeiten und Gerät abhängig sind und sich dieser Umstand auch nicht von jetzt auf gleich ändern lässt.
Was aber klar ist: Europa muss spätestens jetzt neu über seine Sicherheit nachdenken, schnell gemeinsame europäische Rüstungsproduktion hochfahren, wofür wir eine gemeinsame industrielle Rüstungsbasis sowie eine gemeinsame europäische Verteidigungsfinanzierung brauchen. Die Ukraine muss verlässliche Sicherheitsgarantien von Europa bekommen und langfristig in die NATO aufgenommen werden. Außerdem führt kein Weg daran vorbei, die Ukraine viel stärker militärisch, finanziell und humanitär zu unterstützen.
Unsere Sicherheit in Europa wird weiterhin durch konventionelle Rüstungsgüter wie auch durch nukleare Abschreckung gewährleistet werden müssen. Denn solange Putins Russland mit seinen nuklearen Fähigkeiten droht und an Abrüstungsinitiativen offensichtlich nicht interessiert ist, ist die nukleare Teilhabe im Rahmen der NATO für Europa weiterhin essenziell. Wird die nukleare Teilhabe aber nun möglicherweise von der neuen US-Regierung in Frage gestellt, braucht Europa dringend eine neue strategische Ausrichtung seiner Verteidigung. Mit Frankreich und dem Vereinigten Königreich haben wir zwei Nuklearmächte in Europa, so dass es richtig ist, darüber zu diskutieren, wie eine gemeinsame europäische nukleare Abschreckung aussehen könnte. Aber es bleiben ja noch große Hürden bestehen, da schwer vorstellbar ist, dass Frankreich und Großbritannien ihre jeweiligen Atomwaffen tatsächlich unter eine gemeinsame europäische Kontrolle und Koordinierung stellen würden. Ich bin mir sicher, dass dieses Thema bereits in den nächsten Tagen und Wochen im Rahmen der EU-Verteidigungsminister*innen und auch in der NATO diskutiert werden wird.
Ich finde es an dieser Stelle aber auch wichtig, darauf hinzuweisen, dass die nukleare Abschreckung nur ein Teil der Verteidigungsstrategie ist. Abschreckung bedeutet ja im Grunde, die Kosten für den Gegner so in die Höhe zu treiben, dass er von einem sehr kostspieligen Hochrüsten seiner Verteidigungsfähigkeiten und einem möglichen Angriff absieht. Europa hat einen technologischen Vorsprung im ganzen Bereich der aufkommenden, neuen Militärtechnologien wie Drohnen und andere Güter, die durch kleine und mittlere Unternehmen deutlich kostengünstiger, in höherer Stückzahl, flexibler und schneller produziert und eingesetzt werden können. Hier sollte Europa meiner Meinung nach mehr investieren und eine gemeinsame europäische Anstrengung in diesem Bereich hochfahren. Denn das würde Russland unter Druck bringen und die Kosten für Russlands ohnehin schon sehr überdehnte Wirtschaft in die Höhe treiben.
Mir liegt Europas Sicherheit und Verteidigung sehr am Herzen. Deshalb werde ich mich im Bundestag in diesem Themengebiet auch dafür einsetzen, dass Europa jetzt schnell die Dringlichkeit der Lage erkennt, Differenzen unter den einzelnen Mitgliedstaaten zum Zweck der größeren Herausforderung unserer gemeinsamen Sicherheit beiseite legt und effektiv handlungsfähig wird.
Mit herzlichen Grüßen
Britta Jacob