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Bodo Ramelow
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Frage von Andreas R. •

Frage an Bodo Ramelow von Andreas R. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Mit Verwunderung habe ich ihr Interview in der Südthüringer Zeitung zur Kenntnis nehmen müssen, wo Sie um die Betitelung der DDR als "Unrechtstaat" doch ziemlich herumeiern, um es etwas salopp auszudrücken. Was hinderte Sie denn konkret daran, die DDR als Unrechtstaat zu bezeichnen, auch wenns Sie damit einen juristisch nicht haltbaren Begriff verwenden? Andere haben damit (zurecht) weit weniger Probleme.

Dass die DDR ein souveräner Staat in der Völkergemeinschaft war, von den Olympischen Spielen bis hin zu allen internationalen Gremien, ist doch eher nur eine Spitzfindigkeit, die auf ziemlich viele Diktaturen zutrifft. Aussagekraft dabei liegt nahe Null, der Verharmlosungsfaktor aber in meinen Augen bedenklich hoch!

Die DDR als eher "ganz normalen Staat" hinstellen zu wollen, der dann "nur ein paar Fehler" hatte, ist einfach empörend, wenn man schon mal in Hohenschönhausen war. Hier muss doch auch mal Klartext gesagt werden dürfen, auch wenn es keine juristisch haltbarer Begriff wäre.

Ich bitte diesbezüglich um etwas Aufklärung. Auch, da die Debatte dann auch von entsprechenden Medien entsprechend aufbereitet wurden.

Danke und Gruss.

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Antwort von
DIE LINKE

Sehr geehrter Herr Rumpke,

ich danke Ihnen für Ihre Frage, denn Sie gibt mir die Möglichkeit auch hier noch einmal in aller Deutlichkeit darzustellen, dass ich die Toten an der innerdeutschen Grenze nicht leugne, sondern die Geschehnisse nachdrücklich verurteile. Jeder Tote war einer zu viel und kein Einziger war durch irgendeinen Grund zu rechtfertigen. Die Tötungen können auch nicht mit in der DDR geltendem Recht begründet werden. Im Originalinterview mit der Südthüringer Zeitung habe ich auf die Umstände der Teilung hingewiesen und erläutert, dass die deutsche Teilung durch die Alliierten erfolgte. So entstand eine Grenze mitten in Europa, die zugleich Nahtstelle zwischen den Blocksystemen war, in einer Zeit, die wir als „Kalten Krieg“ bezeichnen. Das Grenzregime, mit dem die DDR diese Grenze aufrüstete wurde mit der fortschreitenden Entwicklung des Kalten Krieges immer brutaler, auch weil die DDR und die Sowjetunion sich einem „Systemwettkampf“ ausgesetzt sahen. Gleichzeitig verließen aus den unterschiedlichsten Gründen immer mehr Menschen die DDR. Schließlich kam die verhängnisvolle Fehlentscheidung, die Grenze hermetisch abzuriegeln.

Dass der Versuch, sein Menschenrecht auf freie Selbstbestimmung und freie Wohnortwahl auszuüben, seit dieser Entscheidung an dieser Grenze häufig und zwingend tödlich endete, ist unbestritten. Dies deutlich auszusprechen versteht sich aus meinem Selbstverständnis und aus Respekt vor den Toten sowie deren Angehörigen. Im Interview habe ich nur über die Frage gesprochen, ob es einen verschriftlichten Schießbefehl gab. Bei der Debatte über meine Äußerung scheint es nun aber nur um Worte und nicht mehr um Inhalte zu gehen – leider. Ich sagte, dass es nach dem bisherigen Kenntnisstand keinen schriftlichen Befehl gab, die Flüchtenden zu töten und dass dieser Umstand sogar in seiner Konsequenz noch schlimmer war. Veröffentlicht wird aber nun über mich der Eindruck ich sei ein „Schießbefehl-Leugner“,das Gegenteil wollte ich aber aussagen.

Es begann mit der systematischen Verunsicherung der einfachen Soldaten an der Grenze, was letztendlich zur tödlichen Tragödie führte. Das geschah schon bei der täglichen „Vergatterung“. Die Einteilung der Posten wurde täglich neu gemacht, nie durften zwei zusammen länger den Postenweg gehen oder so etwas wie menschliche Nähe entwickeln. Der andere könnte ja "rüber" machen und was dann? Dieser Druck und die Angst vor dem "Versagen" führten zu einer tödlichen Falle an der Grenze. Dazu kamen dann noch Übergriffe aus dem Westen, der Abbau von Selbstschussanlagen und das Zeigen dieser „Trophäen“ im bundesdeutschen Fernsehen. Dies führte zu einem permanenten psychischen Druck, der ständig auf den Grenzsoldaten lastete. Durch diese Rituale zur psychologischen Aufrüstung bei der Grenztruppe wird klar, wie sehr dies alles verinnerlicht war. Deshalb ist die Suche nach einem Stück Papier leider so sinnlos. Die Konstruktion der Grenze und der personelle Einsatz verbunden mit der Vergatterung führten zu viel Schlimmerem, nämlich zwingend tödlicheren Ergebnissen. Die Tötung war einkalkuliert und musste gar nicht explizit befohlen werden. Ich finde das in der Wirkung sogar noch schrecklicher. Der Flüchtende war immer das Opfer aber der Grenzsoldat wurde so zum Täter und häufig auch zum Opfer. Die wirklich Verantwortlichen saßen woanders und waren fein raus –das sind typische Merkmale einer Diktatur.

Meine Partei hat sich zu ihrer Wurzel in der SED und der damit verbundenen Verantwortung für dieses schreiende Unrecht bekannt. (Das steht übrigens auch in dem Interview aber es ist natürlich nicht so spektakulär wie "Unrechtstaatsleugner". Unsere Konsequenz ist, dass wir als Linke soziale Rechte nicht ohne Freiheitsrechte akzeptieren können. Soziale Sicherheit und Freiheit können nur zusammen gehen oder gar nicht.

Damit dieser Text nicht noch länger wird, verzichte ich auf Ausführungen zu anderen DDR eigenen Systemfehlern wie der politischen Strafjustiz, den nicht vorhandenen Verwaltungsgerichten (um gegen Behördenwillkür rechtlich vorgehen zu können – die Partei hatte ja immer Recht), dem MfS mit seinen IMs, den Stasi-Gefängnissen, zur „Nationalen Front“ oder den Blockparteien. Das alles stabilisierte die DDR und beinhaltete auch die systematischen Menschenrechtsverletzungen. Wenn ich an dieser Stelle nicht weiter darauf eingehe, dann soll dies bitte nicht als Leugnung verstanden werden, sondern nur darauf verweisen, dass dies zur DDR-Bewertung dazu gehören muss.

Soweit die gefälschte Überschrift und die damit verbundene Umdeutung meines Interviews in der STZ zu Verletzungen bei DDR-Opfern oder deren Angehörigen geführt haben, muss ich dafür um Entschuldigung und um Vergebung bitten. Ich will und wollte weder Opfer verhöhnen noch das schreiende Unrecht in der DDR verleugnen. Ich wollte differenziert und ehrlich antworten und nicht – wie nun behauptet wird – Wahltaktisch. Aber eine differenzierte Aufarbeitung bleibt notwendig, um diese Periode des Kalten Krieges in West und Ost bearbeiten zu können.

Mit freundlichen Grüßen
Bodo Ramelow

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