Frage an Bodo Ramelow von Sofia H. bezüglich Gesundheit
Sehr geehrter Herr Ramelow,
immer wieder flammt die Diskussion um aktive und passive Sterbehilfe auf. Da ich selbst hin- und hergerissen bin zwischen dem Verständnis für todkranke Menschen und der Angst vor den gesellschaftlichen Auswirkungen einer Zulassung von aktiver Sterbehilfe, würde mich interessieren, wie Sie dazu stehen.
Mit freundlichen Grüßen
Sofia Hiller
Sehr geehrte Frau Hiller,
ich kann Ihr Hin- und Hergerisse-Sein sehr gut verstehen. Sie sprechen hier ein hoch belastetes Thema an, von dem auch ich finde, dass es nicht so pauschal beantwortet werden kann. Zum einen erinnert gerade die Beschäftigung mit der aktiven Sterbehilfe an die Euthanasiepolitik der Nazis, zum anderen kämpfen immer wieder Schwerstkranke um das Recht, ihrem unerträglichen Leiden selbstbestimmt ein Ende bereiten und dabei Hilfe in Anspruch nehmen zu dürfen, ohne die sie nicht in der Lage wären, diesen Schritt zu gehen. Gerade bei der Diskussion um die Präimplantationsdiagnostik und Gentechnik haben wir im Bundestag die Auseinandersetzung quer durch die Fraktionen (auch durch meine) erlebt, wie die Angst von Menschen mit Behinderungen, wieder als "unwertes Leben" aussortiert zu werden mit dem Anliegen genetisch belasteter Eltern rang, ein gesundes Kind auf die Welt bringen zu dürfen.
Neben den jeweils persönlichen Interessen liegen solchen Entscheidungen auch immer grundsätzliche ethische und gesellschaftspolitische Entscheidungen zu Grunde: In welcher Gesellschaft wollen wir leben? Wie gehen wir mit den Menschen um, die nicht den Verwertungskriterien einer durch ökonomisierten Gesellschaft entsprechen?
Bevor ich mich zu aktiver oder passiver Sterbehilfe äußern kann, müssen wir uns dem Umgang mit schwerkranken, mit alten und gebrechlichen Menschen, mit Tod und Sterben in unserer Gesellschaft zuwenden.
Die Zeiten, in denen Tod und Sterben ein natürlicher Teil des Lebens waren, allseits präsent, konkret gefürchtet, aber nicht als Thema aus dem Bewusstsein der Menschen verbannt, sind lange vorbei. Das hat - zusammen mit der kapitalistischen Verwertungslogik - dazu geführt, dass wir uns meist als hilflos erweisen, wenn wir mit todkranken Menschen konfrontiert sind. Die Tabuisierung von Tod und Sterben hat auch dazu geführt, dass der Umgang mit sterbenskranken Menschen sehr zu wünschen übrig lässt. Wenn wir uns die Zustände in den Altenheimen ansehen, sehen, mit wie wenig Personal Menschen gepflegt werden müssen, die sich nicht mehr selbst helfen können, wenn wir die Pflegeversicherungsdiskussion verfolgen, in der es meist um Kosten und Zahlen, aber nicht um die Würde der Menschen geht, müssen wir erst einmal über den Umgang mit alten und sterbenden Menschen reden und große Anstrengungen unternehmen, um ihre Situation zu verbessern.
Ich stehe für ein würdiges Leben im Alter und bei schwersten Krankheiten und Behinderungen, auch und gerade dann, wenn es von anderen abhängig ist und mit hohen Betreuungs- und Sachkosten verbunden ist. Wir müssen die Palliativmedizin stärken, um sterbenden Menschen unnötige Schmerzen zu ersparen. Wir brauchen den Ausbau von Palliativstationen und Hospizen, um Sterbende würdevoll in den Tod zu begleiten. Wir müssen Angehörige besser unterstützen, wenn sterbende Menschen ihren Tod zu Hause erwarten wollen. Und wir müssen das Thema Tod und Sterben enttabuisieren und uns damit auseinandersetzen, wie unser aller Lebensende aussehen soll, was die Gesellschaft leisten muss, um die Würde auch von gebrechlichen Menschen zu schützen.
Diese Diskussion ist mehr als überfällig und würde die Frage nach Sterbehilfe sicher in den Hintergrund schieben. Wer keine Angst davor haben muss, im Falle eines schweren Unfalles oder als alter Mensch unerträgliche Schmerzen erleiden oder unwürdig vor sich hinsiechen zu müssen, sehnt sich vielleicht weniger danach, beim Sterben geholfen zu bekommen. Würdevolles Leben und würdevolles Sterben gehören für mich untrennbar zusammen.
Mit freundlichen Grüßen
Bodo Ramelow