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Bodo Ramelow
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Frage von Helene M. •

Frage an Bodo Ramelow von Helene M. bezüglich Bildung und Erziehung

Sehr geehrter Herr Ramelow,

Sie sind religionspolitischer Sprecher in der Bundestagsfraktion. Heißt das, dass Sie die Stellung der Kirchen stärken wollen, wenn Sie Ministerpräsident sind und damit in die Fußstapfen von Herrn Althaus treten?

Helene Mayer

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Sehr geehrte Frau Mayer,

haben Sie vielen Dank für Ihre gestrige Frage.

Für mein persönliches Leben spielt Glauben tatsächlich eine wichtige Rolle. Im Unterschied zu Herrn Althaus versuche ich nicht, meine religiösen Überzeugungen anderen aufzudrängen oder gar politische Programme daraus zu stricken. Ich will keine Wiederkehr der religiösen Macht über die weltliche, keine Vorherrschaft einer Religion über andere, keine Wertung, welcher Gott der richtige ist. Jahrhunderte lang hat das zu unzähligen Opfern geführt - ob auf Scheiterhaufen oder bei Pogromen -, hat zu Flucht, Vertreibung und Unterdrückung geführt. Das gibt es leider auch heute noch wie z.B. in Indien gegen Christen, im Nahen Osten alle gegen alle, in Nordirland Katholiken und Protestanten und so weiter! Das müsste endlich für alle Zeiten ein Ende haben, hier wie in allen Teilen der Welt. Hier hat mich der Patriarch von Jerusalem sehr beeindruckt mit seinen Worten, Religion darf nie Teil des Problems, sondern muss immer Teil der Lösung sein! Er führte weiter aus, wir müssten lernen, mit den Augen des anderen zu sehen! Welch große Worte mitten im Nahen Osten. Welch eine wegweisende Betrachtung. Ein weiser Mann, der mich mit diesen Worten tief in der Seele berührt hat. Ich stehe für den Dialog. Den Dialog zwischen Protestanten und Katholiken, zwischen Christen, Juden und Moslems, zwischen großen und kleinen Religionsgemeinschaften. Und ich stehe vor allem auch für den Dialog zwischen religiösen Menschen und solchen, die sich als agnostisch oder atheistisch verstehen. Für mich ist der Grundgesetz-Artikel 4 entscheidend, der die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses als Verfassungsgrundsatz festschreibt. Dies gilt besonders in einem Land mit fast 80 % Nichtgläubigen und sich keiner Kirche zugehörig fühlenden Menschen (Atheisten) und einer Partei, in der diese Anzahl noch erheblich größer sein dürfte.

Mir geht es nicht darum, Menschen in Thüringen oder in meiner Partei, die weder an Gott noch an eine außerweltliche Transzendenz glauben, vom Gegenteil zu überzeugen. Mir geht es darum, allen zu ihrem grundgesetzlich verbrieften Recht zu verhelfen. So, wie die einen alles Recht der Welt haben, an nichts, an die Gemeinschaft, an den Sozialismus oder Humanismus zu glauben, haben andere alles Recht der Welt, an den einen oder anderen Gott zu glauben. Immer vorausgesetzt, sie akzeptieren das jeweilige Recht des anderen.

Aber wir sollten die nächsten neun Jahre in Thüringen nutzen, um die großen Ereignisse der Lutherdekade vorzubereiten. Die Lutherdekade bietet eine große Chance, alle zum Dialog einzuladen. Augustinerkloster, Wartburg, Stotternheim sind Wegmarken einer großen Reform gewesen, die Wegbereiter auch der Aufklärung wurde. Hieran können, ja sollten wir anknüpfen.

Die einzigen Anschauungen, denen diese Toleranz nicht gebührt, solche mit menschenfeindlichem Charakter - Nationalsozialismus, Faschismus und Antisemitismus - sind ebenso inakzeptabel wie Rassismus, Sexismus und Homophobie.

Insofern ist es für mich selbstverständlich den - privaten - Katholizismus von Dieter Althaus zu respektieren. Schwieriger wird es mit seiner versuchten Einladung an Kreationisten wie Siegfried Scherer, die sich v.a. durch Engstirnigkeit und Intoleranz auszeichnen.

Um meiner Überzeugung Ausdruck zu verleihen, dass es in jeder Menschen zugewandten Religion und Weltanschauung einen gemeinsamen, substantiellen Kern der Weisheit und Humanität gibt, trete ich für einen gleichberechtigten Dialog aller Glaubensgemeinschaften und der übergroßen Mehrheit der sich als nicht religiös verstehenden Thüringerinnen und Thüringer ein.

Auf diesen gemeinsamen Kern müssen wir uns konzentrieren, um die Probleme der Menschen gemeinsam bewältigen zu können. Anstatt Fronten brauchen wir Brücken angesichts des Elends, das die globalisierte Marktwirtschaft auch vor Ort verursacht. Wir brauchen ein neues, ganz anderes Wirtschaften für das Leben, das Mensch und Natur als Geschenk zur Verantwortung begreift, ein Wirtschaften, das den vorhandenen Reichtum endlich so verteilt, dass nicht mehr alle fünf Sekunden ein Kind an Hunger auf dieser reichen Erde stirbt. Wir - gläubige und nichtgläubige Menschen - müssen Gewalt und Rüstung eine endgültige Absage erteilen. Wir brauchen eine viel größere Wachsamkeit gegen Antisemitismus und Ausländerfeindlichkeit, eine neue Asylpolitik mit einem Bleiberecht für die Verfolgten dieser Erde. Es geht nicht mehr nur um Reparaturen des derzeitigen politisch-wirtschaftlichen Systems. Das ganze Programm der Kapitalvermehrung und Wachstumsideologie hat keine Zukunft. Dem real existierenden Kapitalismus mit seinem sich immer weiter drehenden Rad der Leistungsforderung und des Erfolgsprofites ist dringend und schnellstens in die Speichen zu greifen. Hier finden wir als gläubige Christen, überzeugte Sozialisten, engagierte Humanisten zusammen, hier können wir gemeinsam handeln und daran arbeiten, die Welt im Sinne einer größeren Menschlichkeit zu verbessern.

Mit freundlichen Grüßen
Bodo Ramelow

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