Frage an Birgit Reinemund von Alexander Z. bezüglich Finanzen
Sehr geehrte Frau Dr. Reinemund,
ich danke für Ihre detaillierten, öffentlichen Erläuterungen auf meine Mail. Leider sind Sie jedoch auf keine meiner Fragen konkret eingegangen. Desweiteren finde ich es schade, dass sie aus meiner Mail eine "Aufforderung" lesen, "einem weiteren Rettungsschirm die Zustimmung zu verweigern". Vordergründig möchte ich vor allem verstehen, wofür oder wogegen unsere Repräsentanten abstimmen sollen.
Ich möchte die Gelegenheit nutzen, Ihnen meine Fragen zum ESM erneut zu stellen:
- kommt dieser Vertrag nicht letztlich der Abschaffung jeglicher fiskalischer Souveränität aller EURO-Länder gleich (vgl. Art. 8, 9, 10 des ESM-Vertrages)?
- schafft dieser Vertrag nicht letztlich ein nicht demokratisch bestimmtes, legitimiertes oder kontrolliertes Gremium. Besondere Gewichtung kommt dieser Frage dadurch zu, dass der Vertrag dem EFSF und seinen Mitgliedern vollumfängliche Immunität gewährt?
- kommt dieser Vertrag nicht der Entmachtung des Souveräns (des Volkes) gleich, bei gleichzeitigem Zugriff auf Steuern in unbestimmter Höhe durch den ESFS (vgl. Art. 10)?
- wie soll der Bürger vertrauen in eine Währung oder europäische Institutionen bekommen, wenn es eine Institution benötigt, die über Steuergelder frei verfügen kann, auf welche wir als Volk aber _genau_ keinen Einfluss haben?
- wieso hält es des Bundesregierung nicht für nötig, das Volk (Souverän) über diesen Vertrag und seine Folgen _umfassend_ aufzuklären (zu informieren)?
Eine weitere Frage, die mir sehr wichtig ist: Beabsichtigen Sie in Ihrem Wahlkreis eine Info-Veranstaltung *vor* Abstimmung?
Beabsichtigen Sie, diesem Vertrag zuzustimmen?
Vielen Dank!
A. Zschach
Sehr geehrter Herr Zschach,
wir wollen die aktuellen Staatsschuldenkrisen einiger Eurozonenländer mit dem Konzept eines Rettungsschirms kombiniert mit der Rückkehr zu stabilen Staatshaushalten lösen. Die Für und Wider bestehender Konzepte hierfür sind nicht immer leicht zu bewerten. Für die FDP-Fraktion ist jedoch der Maßstab jeder Entscheidung das Prinzip der Eigenverantwortung und die Notwendigkeit von Solidarität in Europa, besonders im Eurowährungsraum.
Wir werden uns daher immer für die Lösung einsetzen, die Hilfe zur Selbsthilfe ermöglicht, ohne den Helfer zu überfordern. Die Letztverantwortung für den Umgang mit der Krise muss beim betroffenen Staat bleiben. Die dort verantwortliche Regierung ist demokratisch gewählt und muss jede ihrer Maßnahmen vor den eigenen Bürgern rechtfertigen. Und nach diesem Prinzip funktioniert, so wie jetzt geplant, auch der ständige Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM). Ihre Kritik an der Finanzpolitik der Bundesregierung, insbesondere die Entscheidung zur Einrichtung des ESM ist aus folgenden Gründen nicht gerechtfertigt:
1. Deutschland haftet im ESM nur anteilig und begrenzt.
Das sog. nominale Gesamtvolumen des ESM beträgt 700 Mrd. Euro. Der ESM beruht auf einem Beschluss der Staats- und Regierungschefs der Eurogruppe vom März 2011. Die Höhe der Kapitalbasis wurde so gewählt, dass sie nach Meinung von Finanzexperten beim Eingreifen im Notfall hoch genug ist, um tatsächlich stabilisierend zu wirken. Von diesen 700 Mrd. Euro stellt der Europäische Stabilitätsmechanismus 500 Mrd. Euro - im Regelfall als Kredit - für die betroffenen Länder bereit. 200 Mrd. Euro sind eine „Übersicherung“, damit der ESM die höchste Bonitätsstufe (AAA) erhält und damit selbst im Einsatzfall zinsgünstige Mittel am Kapitalmarkt aufnehmen kann.
Um das Gesamtvolumen von 700 Mrd. Euro zu erreichen, leisten die Euro-Partner 80 Mrd. Euro an Bareinlagen, weitere 620 Mrd. Euro werden als abrufbares Kapital (Bürgschaften bzw. Garantien) bereitgestellt. Auf Deutschland entfällt damit ein Anteil von 168 Mrd. Euro an Garantien. Knapp 21,68 Mrd. Euro wird Deutschland bar einzahlen und zwar in den Jahren 2013 bis 2017 in fünf gleichen Teilbeträgen. Das macht jährlich 4,34 Mrd. Euro. Das entspricht rund 1,5 Prozent der jährlichen Einnahmen des Bundes.
2. Garantien bewirken nicht automatisch Zahlungspflichten - alle Hilfen unterliegen dem Einstimmigkeitsgebot und stehen unter Parlamentsvorbehalt.
Falsch ist die Darstellung, dass die Höhe des Grundkapitals unwiderrufliche und bedingungslose Zahlungspflichten auslöst. Die Risiken und Kosten des ESM bestimmen sich nicht nach dem Kapital, sondern nach den daraus gewährten Hilfszahlungen. Verluste entstehen nur, wenn Hilfen nicht zurückgezahlt werden können und endgültig abgeschrieben werden müssen. Dies soll aber gerade vermieden werden, in dem ein Expertengremium aus dem IWF, der EZB und der EU-Kommission vor jeder Hilfe eine Schuldentragfähigkeitsanalyse macht. Hilfen werden nur ausgezahlt, wenn die Rückzahlung auch zu erwarten ist. Auflagen sorgen dafür, dass der Haushalt mittel- und langfristig stabilisiert wird. In allen Fällen, bei denen Zweifel an der Schuldentragfähigkeit bestehen, bedarf es einer Beteiligung privater Gläubiger. Damit werden die Regeln der Marktwirtschaft und der Haftung für eingegangene Risiken für Ernstfälle sichergestellt. Die Risiken für den Steuerzahler werden nach menschlich möglichem Ermessen minimiert. Die Kosten für Deutschland könnten im Übrigen viel höher werden, wenn wir auf Hilfen und Solidarität verzichten, denn dann besteht das Risiko einer erneuten, unkontrollierten Finanz- und Wirtschaftskrise.
Automatismen gibt es nicht. Die Souveränität Deutschlands und die Kontrolle über den nationalen Haushalt bleibt gewahrt. Alle Entscheidungen über Hilfen stehen letztlich unter dem Vorbehalt einvernehmlicher Beschlüsse. Der deutsche ESM-Vertreter hat immer ein Vetorecht. Das Bundesverfassungsgericht hat am 7. September die Haltung der FDP-Fraktion bestätigt, dass jede Hilfe mit Risiken für den deutschen Steuerzahler dem Parlamentsvorbehalt unterliegen muss. Dies werden wir mit der Umsetzung des jetzigen Rettungsschirmes EFSF wie auch beim ESM sicherstellen. Damit wird jede Maßnahme zum Erhalt der Zahlungsfähigkeit eines anderen Eurozonenstaates unter den Vorbehalt deutscher Zustimmung und den Prüfvorbehalt des Souveräns in Deutschland gestellt, damit demokratisch legitimiert.
3. Immunität und Rechenschaftspflicht:
Richtig ist, dass der ESM zur Erfüllung seines Zweckes und seiner Bediensteten hinsichtlich ihrer in amtlicher Eigenschaft vorgenommenen Handlungen Immunität genießt. Falsch ist, dass so eine nicht zu kontrollierende Institution geschaffen wird.
Immunitäten oder Vorrechte für internationale Organisationen und deren Bedienstete sind eine anerkannte völkerrechtliche Praxis. Sinn und Zweck einer Immunitätsgewährung ist es, die Unabhängigkeit und die Funktionsfähigkeit der Organisation zu gewährleisten. Als Beispiel: Ein Staat, der mit der Entscheidung einer internationalen Organisation nicht einverstanden ist, soll diese Entscheidung nicht durch innerstaatliche gerichtliche Verfahren oder staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren boykottieren können. Gleiches gilt im Übrigen für Schäden, die durch Klagen privater Gläubiger drohen, wenn sie sich gegen ihre Haftung erwehren. Auch hier ist es notwendig, Mitarbeiter einer internationalen Institution vor interessengeleiteten Klagen zu schützen. Sie müssen objektiv entscheiden können, um ihre Aufgaben zu erfüllen und Schaden von den ESM-Mitgliedern und deren Steuerzahlern abzuwenden.
Die Bundesrepublik Deutschland kann die Tätigkeit des ESM effektiv mitbestimmen und kontrollieren. Der deutsche Finanzminister als Vertreter der Bundesrepublik Deutschland im Gouverneursrat hat ein Vetorecht, da alle Beschlüsse von entscheidender Wichtigkeit im gegenseitigen Einvernehmen getroffen werden. Das deutsche Parlament wird seine Mitwirkungs- und Kontrollrechte im Rahmen des innerstaatlichen Zustimmungsgesetzes genau festlegen. Die Immunität der Bediensteten besteht nur hinsichtlich ihrer in amtlicher Eigenschaft vorgenommenen Handlungen und kann darüber hinaus vom Gouverneursrat, beispielsweise bei strafrechtlichen Verfehlungen, aufgehoben werden. Der ESM veröffentlicht einen Jahresbericht mit einem geprüften Jahresabschluss.
4. Prüfvorbehalt für Änderungen des Kapitals und der Instrumente:
Der Gouverneursrat prüft regelmäßig das maximale Ausleihvolumen und bewertet, ob die Höhe des genehmigten Grundkapitals dafür ausreichend ist. Falsch ist, dass dies zu einer unbegrenzten Zahlungsverpflichtung der Bundesrepublik Deutschland führt. Denn: Der Gouverneursrat kann zum einen nicht die maximale Ausleihkapazität ändern, hier bleibt es bei des vereinbarten 500 Mrd. Euro. Und zum anderen: Der Gouverneursrat kann zwar das zum Erreichen der maximalen Ausleihkapazität erforderliche Grundkapital anpassen. Aber diese Entscheidung kann nur einstimmig, also mit der Stimme des deutschen Finanzministers getroffen werden. Und dazu tritt ein solcher Beschluss erst in Kraft, wenn die nationalen parlamentarischen Verfahren zur Umsetzung eines solchen Erhöhungsbeschlusses beendet sind.
Das bedeutet: Der ESM als völkerrechtlicher Vertrag bedarf in Deutschland gem. Art. 59 Abs. 2 unserer Verfassung eines innerstaatlichen Zustimmungsgesetzes. Der Deutsche Bundestag wird über den ESM in der jetzt vereinbarten Gestalt entscheiden. Spätere Änderungen bedürfen nach dem Grundsatz vom Vorbehalt des Gesetzes und der Budgethoheit des Parlaments erneut der Zustimmung des Deutschen Bundestages. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Griechenlandhilfe hat dies noch einmal klar dargelegt. Die Souveränität Deutschlands bleibt daher unangetastet.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Birgit Reinemund