Welchen Vorteil können effektive Maßnahmen zur Beschleunigung der Asylverfahren (Länderforderung) überhaupt bringen?Ändert das was an dem Problem der geringen Abschiebezahlen abgelehnter Asylbewerber?
Sehr geehrtte Frau Bettina Hagedorn!
Die hohe irreguläre Migration nach Deutschland ist die mehrheitliche Hauptsorge der Bürger .Ich bin bei dieser Forderung der Länder an den Bund ein Bedenkenträger. Ich vermag nicht zu erkennen,dass man durch diese Forderung, mehr abgelehnte Asylbewerber außer Landes bringen würde.Ziel der Migrationsgespräche mit Olaf Scholz soll doch aber die deutliche Reduzierung der irregulären Migration sein.Mehr abgelehnte Asylbewerber könnte man auch jetzt schon abschieben,wenn man sich darüber einig wäre und Blockkadehaltungen aufgeben würde.Ist die Länge der Asylverfahren wirklich das Problem an,oder sind es nicht doch eher die Uneinigkeiten der Parteien bei der Handhabung und Durchführung der Abschiebung abgelehnter Asylbewerber.
Sehr geehrter Herr S.,
vielen Dank für Ihre Fragen vom 14. Oktober, die Sie angesichts der kritischen Debatte zum Umgang mit den steigenden Flüchtlingszahlen und den Forderungen aus den Bundesländern anlässlich der letzten Ministerpräsidentenkonferenz am 6. November im Kanzleramt stellen. Leider kann ich Ihnen erst heute antworten, da ich als stellvertretende Vorsitzende des Haushaltsausschusses bereits seit Wochen durch die aktuell schwierigen Haushaltsberatungen gepaart mit dem Bundesverfassungsgerichtsurteil vom 15. November zeitlich sehr „unter Druck“ stehe. Richtig ist, dass Bundeskanzler Olaf Scholz auch die CDU/CSU im Bundestag und die 16 Landesregierungen zu gemeinsamen Gesprächen und Lösungsanstrengungen zu zentralen Themen zu einem „Deutschlandpakt“ eingeladen hatte. Ihre kritischen Nachfragen angesichts der Länderforderungen zur Beschleunigung der Asylverfahren – die ja überwiegend auch nicht neu sind – kann ich gut nachvollziehen und Ihnen bestätigen, dass die Beschlüsse der Ministerpräsidenten-Konferenzen im Kanzleramt seit 2015 (!) noch unter Kanzlerin Angela Merkel bisher leider oft zu keiner wesentlichen Verbesserung bei der Beschleunigung der Asylverfahren beigetragen haben. Fakt ist, dass nicht nur die Erstunterbringung von Geflüchteten, sondern auch die Umsetzung von Asylverfahren und die Bearbeitung von Widersprüchen gegen negative Bescheide allein Länderaufgabe ist, und 16 Bundesländer in unserem föderalen System mit diesen Herausforderungen auf 16fach unterschiedliche Art und Weise stets umgegangen sind mit sehr unterschiedlichem „Erfolg“. Obwohl der Bund den finanziellen Forderungen der Länder meist nachgekommen ist, lautete die maßgebliche Forderung aus den Bundesländern an den Bund grundsätzlich in 1. Linie: „Wir brauchen aus Berlin mehr Geld“. In der Regel ist der Bund den finanziellen Forderungen aus den Ländern seit Jahren stets nachgekommen, aber auch der Bundesrechnungshof kritisiert, dass es keine Transparenz in den Ländern gibt, was mit diesen bewilligten Milliarden Jahr für Jahr tatsächlich finanziert wird, so dass wir in Berlin nicht nachvollziehen können, ob die von uns bewilligten Gelder auch tatsächlich z.B. an die Kommunen vollständig weitergeleitet oder z.B. in die Digitalisierung der Ausländerbehörden und anderer Institutionen oder in die Verstärkung der in den Asylverfahren belasteten Gerichte investiert wurden.
Auf der Ministerpräsidentenkonferenz (MPK) vom 6. November wurde trotzdem erneut eine massive finanzielle Unterstützung des Bundes vereinbart, die über die bisher vereinbarte feste Flüchtlingspauschale in Höhe von 7.500 Euro pro Asylerstantrag ab Januar 2024 deutlich hinausgeht und in Abhängigkeit von der Anzahl der Schutzsuchenden gezahlt wird („Pro-Kopf-Pauschale“, „atmendes System“): pro Asylerstantragsteller/in erhalten die Länder jetzt zusätzlich eine jährliche Pauschale in Höhe von 7.500 Euro, wofür jetzt für 2024 insgesamt zur Entlastung von Ländern und Kommunen rund 3,5 Milliarden Euro bereit stehen. Es wird nachträglich „spitz“ abgerechnet: d.h. sollte die Zahl der Asylerstanträge 2024 deutlich steigen, dann zahlt der Bund mehr, sollten die Zahlen sinken, weniger, aber eine Milliarde Euro pro Jahr zahlt der Bund in JEDEM Fall als „Flüchtlingspauschale“ an Länder und Kommunen, damit die notwendige Infrastruktur zur Flüchtlingsunterbringung vorgehalten werden kann. Bei dieser Einigung ist außerdem zu beachten, dass die ca. 1 Million Flüchtlinge aus der Ukraine in ihren Lebenshaltungskosten – im Gegensatz zu anderen Flüchtlingen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz – Kommunen und Länder deutlich weniger kosten (im Prinzip nur Schul- und Kitaplätze), weil sie bereits seit dem 1. Juni 2022 im Rechtskreis des SGB II sind und damit ihren Unterhalt vom Jobcenter und damit allein (!) vom Bund bekommen. Den Beschluss der MPK vom 6. November unter der Überschrift „Flüchtlingspolitik – Humanität und Ordnung“ finden Sie unter https://www.bundesregierung.de/resource/blob/975226/2235232/697bfb257d9c4f697938a53c08b18812/2023-11-07-mpk-fluechtlingspolitik-data.pdf?download=1 zum Nachlesen. Von 16 Bundesländern haben nur zwei – nämlich Bayern und Sachsen – die Beschlüsse nicht unterstützt, sondern sie als nicht weitreichend genug bewertet. In den 10 Punkten des Beschlusses geht es auch unter Überschriften wie „Verstärkte Kontrolle der deutschen Grenzen“, „Migrationsabkommen mit den Herkunftsländern“, „Schutz der europäischen Außengrenzen und solidarische Verteilung“, „Beschleunigte Asylverfahren“, Beschleunigung und Digitalisierung auch der übrigen Verfahren“, „Verbesserung und Beschleunigung der Rückführung“ um den Kernbereich dessen, wonach Sie gezielt fragen. Auch vermeintliche oder tatsächliche „Pull-Faktoren“ sind – mit gezielten Maßnahmen unterlegt -- Bestandteil des Beschlusses wie „Leistungen für Asylsuchende“ (wobei es um Sachleistungen anstatt Bargeldleistungen geht, was die Länder allerdings in eigener Zuständigkeit schon längst hätten umsetzen können) sowie „Schnellere Arbeitsaufnahme, bessere Integration“, wofür wir die gesetzlichen weichen inzwischen gestellt haben.
Schon in seiner Regierungserklärung am 19. Oktober 2023 hat Bundeskanzler Olaf Scholz im Parlament betont: „Was wir schnell brauchen, ist eine rechtskräftige Entscheidung darüber, ob jemand bleiben kann oder nicht. Daher hat der Bund Ende 2022 Erleichterungen bei den Asylverfahren und im Asylprozessrecht geschaffen, damit die Prozesse in den Ländern, die hauptsächlich für die Asylverfahren zuständig sind, beschleunigt werden.“ Im Besonderen ist der Kanzler in seiner Rede auf die extrem unterschiedliche Dauer der Asylverfahren in den 16 Bundesländern eingegangen, was deutlich macht, dass nicht etwa Gesetze schnelleren Verfahren entgegenstehen, sondern ein sehr unterschiedliches Engagement der Bundesländer, ihre Ausländerbehörden und alle Institutionen, die an den Verfahren beteiligt sind, angemessen personell gut auszustatten oder z.B. durch Digitalisierung der Behörden und Ämter eine effektive Verfahrensbeschleunigung zu erreichen. In den Bundesländern ist außerdem eine fehlende gute Personalausstattung der zuständigen Gerichte häufig ein „Nadelöhr“ bei zügigen Verfahren. In Rheinland-Pfalz dauern die Verfahren teilweise 4 Monate, während die in anderen Bundesländern teilweise bis zu 40 Monaten dauern (!).
Auf der Ministerpräsidentenkonferenz (MPK) am 6. November wurde nun beschlossen, dass in ALLEN 16 Bundesländern für Angehörige von Staaten, bei denen eine sehr geringe Chance auf ein Bleiberecht besteht, das Asyl- und das anschließende Gerichtsverfahren jeweils in drei Monaten (!) abgeschlossen sein soll. In allen anderen Fällen sollen die behördlichen sowie erstinstanzlichen Asylverfahren jeweils nach sechs Monaten beendet sein. Natürlich ist dieses Ziel ein guter Vorsatz, dessen Erreichen aber allein in der Hand der Länder liegt und deshalb natürlich schon längst hätte umgesetzt werden können. Parallel führt unsere Innenministerin Nancy Faeser Regierungsverhandlungen mit Staaten u.a. in Nordafrika, um über die Rücknahme von abgelehnten Asylbewerbern, die aus diesen Ländern geflohen sind, zu verhandeln, während gleichzeitig der Bundestag am 16. November 2023 in 2./3. Lesung beschlossen hat, dass Georgien und die Republik Moldau nun als sichere Herkunftsstaaten eingestuft sind. Auch der Bundesrat hat dem zugestimmt.
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) kann aktuell bundesweit ca. 230.000 Asylanträge im Jahr bearbeiten. In Schleswig-Holstein werden aktuell nach dem Königsteiner Verteilschlüssel (3,5 Prozent für SH) im Zeitraum Januar- September ca. 8070 Asylanträge bearbeitet. Dabei liegt die durchschnittliche Verfahrensdauer bundesweit bei 6,6 Monaten und bei den Jahresverfahren (also Verfahren, die in den vergangenen zwölf Monaten begonnen und wieder abgeschlossen wurden) bei 4 Monaten. Während in Rheinland-Pfalz die Verfahrensdauer bei 4 Monaten liegt, wenn jemand in erster Instanz gegen seinen abgelehnten Asylbescheid klagt, dauert dieses Verfahren In Schleswig-Holstein aktuell ca. 17,3 Monate vor einem Verwaltungsgericht (Erstinstanz) und vor einem Oberverwaltungsgericht hingegen fast 20 Monate (2. Instanz). Angesichts dieser Zahlen wird sehr deutlich, wo in den Ländern die „Stellschrauben“ für eine Beschleunigung der Verfahren liegen.
Auf der MPK wurde nun vereinbart: die Entgegennahme des Asylantrags und die Anhörung sollen grundsätzlich in der Erstaufnahmeeinrichtung stattfinden (hätten die Länder natürlich auch ohne diesen Beschluss längst machen können) Der Anhörungstermin soll spätestens vier Wochen nach der Antragstellung auf Asyl erfolgen und die Entscheidung über den Antrag soll zeitnah noch während des Aufenthalts in der Erstaufnahmeeinrichtung getroffen werden. Der Bund in seiner Verantwortung für das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge und die Länder in ihrer Verantwortung für Ihre Gerichte müssen nun eigenständig für die personellen und organisatorischen Voraussetzungen bei der beschleunigten Registrierung sorgen, falls dort Handlungsbedarf besteht.
Der Bund hat hingegen in Bezug auf die zunehmende Zahl von Flüchtlingen mit Innenministerin Nancy Faeser beschlossen, seine eigenen Außengrenzen wirksamer zu schützen und bereits zahlreiche Maßnahmen ergriffen, um Migration noch stärker zu steuern und zu ordnen: die eigentlich nur vorübergehenden intensiven Grenzkontrollen zu Österreich, Schweiz, Tschechien und Polen wurden ausgeweitet und verlängert, und die Schleierfahndung an der Grenze zu u.a. Tschechien intensiviert. Mit der Schweiz wurde ein Aktionsplan vereinbart, der gemeinsame Kontrollen in Schweizer Zügen und an der Grenze – sogar auf Schweizer Gebiet - vorsieht. Unsere Bundespolizei ist in großem Stil an die Grenzen verlegt worden und diese verstärkte Polizeipräsenz zeigt bereits Wirkung.
Am Donnerstag, den 30.11.2023 haben wir im Bundestag in 1. Lesung das „Rückführungsverbesserungsgesetz“ diskutiert, das - auch in Umsetzung der Beschlüsse der Ministerpräsidentenkonferenz (MPK) – schnellere Rückführungen von Ausländer:innen ohne Bleiberecht in Deutschland ermöglichen und Ausländerbehörden und Bundespolizei bei erforderlichen Abschiebungen entlasten soll. Dafür sieht der Gesetzentwurf Maßnahmen für effektivere Verfahren und eine konsequentere Durchsetzung der Ausreisepflicht vor. So soll die Höchstdauer des Ausreisegewahrsams auf 28 Tage verlängert und die Ausweisung von Schleusern sowie von Angehörigen von Strukturen der Organisierten Kriminalität rigoros umgesetzt werden. Zudem sollen die Möglichkeiten zum Betreten von Räumlichkeiten in Gemeinschaftsunterkünften erweitert werden, wenn der begründete Verdacht besteht, dass Flüchtlinge sich verstecken, um sich einer Rückführung zu entziehen, und Einreise- und Aufenthaltsverbote, Wohnsitzauflagen sowie räumliche Beschränkungen sollen künftig sofort vollziehbar sein. Die Identitätsfeststellung und die Abschiebung von Straftäter:innen und Gefährder:innen wird klar verschärft. Weiter ist vorgesehen, Vollzugshindernisse auszuräumen, wie u.a. durch die Streichung der bisher einmonatigen Ankündigungspflicht für Abschiebungen, wenn eine mindestens einjährige Duldung vorausging. Ausnahmen werden für Familien mit Kindern unter zwölf Jahren gelten.
Fakt ist aber auch, dass Deutschland die aktuellen Probleme nicht allein lösen kann. Eine tragfähige Lösung können wir nur gemeinsam mit unseren Partnern in der EU finden. Das ist ein mühsamer Prozess. Aber erstmals (!) hat Bundesinnenministerin Nancy Faeser geschafft, was ihre Amtsvorgänger von der CDU/CSU allesamt NICHT geschafft haben – weder Hans-Peter Friedrich, noch Thomas de Maizière und auch nicht Horst Seehofer: beim Gemeinsamen Europäischen Asylsystem (GEAS) hat sie im Frühjahr 2023 im EU-Rat eine historische Einigung erreicht beim Umgang mit Geflüchteten in der europäischen Union. Am 4. Oktober hat sich der EU-Rat zudem auf eine Position zur Krisenverordnung als letztem Baustein des GEAS verständigt. Das gemeinsame europäische Asylsystem muss auch in Krisenzeiten funktionieren, damit es nicht mehr zu Rechtlosigkeit und Chaos an den Außengrenzen kommt. Wichtig ist für uns, dass es keine Herabsetzung von humanitären Standards bei der Einstufung als „Krisensituation“ gibt. Zudem: Es kann nicht ein Staat allein die Regelungen der Krisenverordnung aktivieren (wie z.B. Ungarn), sondern dazu braucht es einen Beschluss mit qualifizierter Mehrheit der EU-Mitgliedstaaten im Rat. Nun ist der Weg frei für den Abschluss aller Triloge (Verhandlungen mit dem EU-Parlament) und die Gesamteinigung auf ein dann hoffentlich wesentlich besser funktionierendes Asylsystem in Europa. Durch die verpflichtende Registrierung aller Schutzsuchenden an den EU-Außengrenzen und dortigen Verfahren für Menschen mit sehr geringer Bleibeperspektive sowie einer solidarischen Verantwortungsteilung bei der Aufnahme von Geflüchteten wollen wir humanitäre Standards wahren und die Sekundärmigration nach Deutschland eindämmen.
Sehr geehrter Herr S., wie Sie sehen, wird seitens der Bundesregierung viel getan. Die Sorge der Bürgerinnen und Bürger nehmen wir sehr ernst. Ich hoffe, dass ich Ihnen mit meiner Antwort weiterhelfen konnte.
Mit freundlichen Grüßen
Bettina Hagedorn