Frage an Bettina Hagedorn von Peter N. bezüglich Umwelt
Liebe Bettina Hagedorn,
vor einigen Wochen berichteten die Lübecker-Nachrichten von erheblichen Munitionsrückständen aus dem 2. Weltkrieg in der Ostsee. Langsam würden die Geschosshülsen durchrosten und nach Expertenmeinungen u.a. Phosphor/ Senfgas und andere gefährliche Stoffe in die Ostsee gelangen. Es besteht also zunehmend Handlungsbedarf. Zum Schutz des Meeres der Menschen und des Tourismus !
Bitte Info, ob hier Planungen bestehen ,diese Erblast zu entsorgen.
Viele Grüsse vom Timmendorfer Strand
Peter Ninnemann
Sehr geehrter Herr Ninnemann,
vielen Dank für Ihr Schreiben vom 16.09.2008 zur Entsorgung von Munitionsaltlasten aus dem Zweiten Weltkrieg in der Ostsee. Für die späte Antwort möchte ich mich zunächst entschuldigen. Als Mitglied des Haushaltsausschusses und Hauptberichterstatterin für das Bundesministerium des Inneren nehmen die Haushaltsberatungen momentan den größten Teil meiner Zeit in Anspruch.
Das Thema ist mir als Schleswig-Holsteinerin natürlich besonders wichtig, da es die gesamte Ostseeregion aus ökologischer und auch aus tourismuswirtschaftlicher Sicht betrifft. Der SPD-Ortsverein Timmendorfer Strand hat am 01.10.2008 auf der Wahlkreiskonferenz von Ostholstein einen Resolutionsantrag zum Thema "Munition in der Ostsee" eingebracht. Dieser Antrag wurde mit großer Mehrheit angenommen und beinhaltet dass Bund, Länder, Kommunen und die Anrainerstaaten gemeinsame Anstrengungen zur Lokalisierung sowie Entfernung von Kriegsaltlasten und Munition vom Boden der Ostsee unternehmen.
Es ist wahr und eine Gefahr für alle Ostseeanrainer: Experten sind der Meinung, dass die Ummantelung der Munition in den nächsten Jahren durch Rost aufgelöst wird und frei ins Meer gelangen kann. Erst kürzlich - am 17.09.2008 - wurde am Timmendorfer Strand ein alter Torpedo angespült. Vorfälle wie dieser liegen allerdings vorrangig in der Zuständigkeit des Landes Schleswig-Holsteins, weil es sich bei der Beseitigung von Kampfmitteln und Kampfmittelresten aus der Zeit der beiden Weltkriege um eine Maßnahme der Gefahrenabwehr im ordnungsrechtlichen Sinn handelt. Die Aufrechterhaltung der Sicherheit und Ordnung sowie die Abwehr unmittelbarer Gefahren für Leben oder Gesundheit der Allgemeinheit sind nach der im Grundgesetz festgelegten Zuständigkeitsverteilung Aufgabe der Länder (Artikel 30 und 83 GG).
Die CDU, namentlich der Kieler Umweltminister Christian von Boetticher, sah bislang jedoch wenig Anlass zur Beunruhigung. Er identifizierte in der ersten Lesung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Landesbodenschutz- und Altlastengesetzes den Umweltschutz als etwas, das in erster Linie im Fokus des Bürokratieabbaus gesehen werden sollte. Umweltaspekte erscheinen hier eher zweitrangig bis nicht erkennbar. Die Priorität zeigt sich in folgendem Zitat Christian von Boettichers zur Altlastendebatte am 01.12.2006 im Schleswig-Holsteinischen Landtag auf: "Die Straffung und die Vereinfachung der bestehenden Regeln haben wir als positives Signal gesehen, zunächst einmal in die Wirtschaft, aber auch an die Bevölkerung."
Der Innenminister Schleswig-Holsteins Lothar Hay (SPD) informierte in einer Landtagsdebatte am 29.02.2008 über den aktuellen Sachstand hinsichtlich des Verdachts auf Giftstoffe in der Lübecker Bucht und über Munitionsaltlasten im Bereich der Kieler Bucht und gab bekannt, dass er eine Gefährdungsabschätzung veranlasste und dass das Innenministerium bei Gefährdung als Gefahrenabwehrbehörde im Einzelfall tätig wird. Die schon für den Einzelfall enormen Kosten werden dabei aus seinem Ministerium finanziert.
Ich nehme die Sorgen um das Gefahrenpotential der Munition sehr ernst. Besonders Phosgen ist ein hochgiftiger Kampfstoff und schlecht wasserlöslich. Phosgen wird von Strandbesuchern oftmals mit Bernstein verwechselt, wenn es in Bröckchenform angespült wird. Dadurch ist es an der Ostsee seit 1992 zu mehr als 15 Fällen von Phosphorverbrennungen gekommen, 10 davon bei Usedom und zuletzt im August 2008 auf Fehmarn, wobei zwei Menschen verletzt worden sind. Ich habe daher bereits im Juli des letzten Jahres eine entsprechende Anfrage an das Bundesumweltministerium (BMU) gestellt.
Zur Einschätzung des tatsächlichen Gefahrenpotentials stehen laut Aussagen der Bundesregierung Informationen des Bundesverkehrsministeriums zur Verfügung, nach denen die zusätzlichen Belastungen durch chemische Kampfstoffe in Relation zur gesamten Schadstoffbelastung der Ostsee nur von geringer Bedeutung sind. Aufgrund der physikalisch-chemischen Eigenschaften der versenkten Kampfstoffe und der hydrographischen Gegebenheiten in den Versenkungsgebieten könne man davon ausgehen, dass für das Wasser der Ostsee keine großräumige Gefährdung entstehe. Die schwer abbaubaren Verbindungen sind meist schlecht wasserlöslich, so dass sie im Sediment -- also am Boden -- verbleiben. In der Nähe der Versenkung ist lokal begrenzt mit höheren Konzentrationen zu rechnen. Seefischer wurden in den letzten Jahren verstärkt über die Gefahren aufgeklärt und seit 1991 wurde kein Unfall mehr gemeldet. Ich distanziere mich jedoch von dieser - nach meiner Auffassung verharmlosenden - Ansicht, da gefährliche Substanzen wie das schon erwähnte Phosgen in den Berichten gar nicht auftauchen.
Eine zufriedenstellende Lösung existiert für dieses ernst zu nehmende Problem aufgrund der Zuständigkeitsfrage leider noch nicht. Das zu ändern, liegt in meinem dringenden Interesse. Auf Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen wurde das Problem der Munitionsaltlasten jetzt auch am 25. September im Bundestag debattiert. In ihm wurden auch eine rasche Klärung der Zuständigkeiten und eine abschließende gesetzliche Regelung gefordert. Dem schloss sich Detlef Müller (SPD) grundsätzlich an: "Ich halte auch die Forderung der Grünen für richtig, dass wir eine klare Regelung der Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern brauchen, weil sich Bund und Länder oftmals gegenseitig die Verantwortung für die Entsorgung der Altlasten zugeschoben haben." Als vorläufiges Ergebnis der Debatte bleibt festzuhalten, dass der Antrag zur Bearbeitung an die entsprechenden Ausschüsse überwiesen wurde. Die Koalitionsfraktionen und die Grünen befinden sich derzeit in gemeinsamen Beratungen zu einem Gesetzentwurf, der dann voraussichtlich Anfang 2009 eingebracht werden kann.
Ich hoffe, ich konnte Ihnen mit diesen Informationen weiterhelfen und den aktuellen Sachstand näher bringen.
Herzliche Grüße
Bettina Hagedorn