Frage an Bettina Hagedorn von Gerhard R. bezüglich Bildung und Erziehung
Sehr geehrte Frau Hagedorn,
Auszug:
Ob die Bundeswehr angesichts ihrer Nachwuchssorgen an Schleswig-Holsteins Schulen Werbung betreiben darf, darüber ist jetzt ein heftiger Streit entbrannt. Ein Lübecker Initiativkreis "Schulfrei für die Bundeswehr" läuft Sturm, will alle Schulen anschreiben.
Schulkonferenzen sollen aufgefordert werden, sich gegen eine Zusammenarbeit mit der Bundeswehr auszusprechen. Falls Bundeswehr- Veranstaltungen an Schulen dennoch stattfinden, solle die Teilnahme für die Kinder freiwillig sein. Eltern gehörten benachrichtigt. Auch die Lehrer-Gewerkschaft GEW und die Nord-Grünen äußern den Verdacht, dass die Schulen der Bundeswehr im Kampf gegen Nachwuchssorgen behilflich sein sollen.
"Die Bundeswehr spricht schon 14-Jährige an", beklagt Horst Hesse, Sprecher von Terre des hommes Lübeck. Damit werde gegen die Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen verstoßen, fährt Hesse schweres Geschütz auf. Nach Auskunft von Lehrkräften informierten Soldaten in den Schulen einseitig, gingen zum Beispiel auf die Gefahren von Auslandseinsätzen der Bundeswehr nicht ein oder verharmlosten sie. "Anwesendes Lehrer-Personal ist den rhetorisch geschulten Offizieren oftmals nicht gewachsen", beklagt Pastor Volker Bethge vom Friedensforum Lübeck. Es sei höchst bedenklich, wenn versucht werde, junge Menschen unter Einsatz moderner Medien und subtiler psychologischer Ansprache für die Bundeswehr zu gewinnen. "Rekrutierung hat an unseren Schulen nichts zu suchen", sagt auch die Landtagsabgeordnete Anke Erdmann (Grüne). Mit Steuergeldern werbe schließlich auch niemand für andere Berufe, denen der Nachwuchs fehle.
Im vorstehenden Auszug geht es um die Tätigkeit von Wehrdienstberatungsoffizieren in der Schule. Wo liegt der pädagogische Nutzen für die Schüler/innen?
Wie können Eltern die Nichtteilnahme ihrer Kinder erreichen?
Mit freundlichen Grüßen
Gerhard Reth
Sehr geehrter Herr Reth,
vielen Dank für Ihre Anfrage via www.abgeordnetenwatch.de zu Bundeswehrbesuchen in Schulen, die ich Ihnen gerne beantworten möchte. Zunächst möchte ich mich für meine verspätete Antwort entschuldigen – als Mitglied im Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages halten mich die aktuellen Ereignisse rund um Griechenland sehr in Atem.
Werbeveranstaltungen von Jugendoffizieren der Bundeswehr, die der Rekrutierung dienen sollen, lehne ich selbstverständlich ab. Allerdings sehe ich durchaus einen pädagogischen Nutzen in der Beschäftigung mit dem Thema Bundeswehr. Die Bundeswehr muss als Teil unseres Staates und zweifellos auch im Gemeinschaftskunde-Unterricht oder einem vergleichbaren Rahmen thematisiert werden. Die Aufgaben und Funktionen der Bundeswehr, die Debatte um Auslandseinsätze z.B. in Afghanistan und ähnliche Themen sollten den Schülerinnen und Schülern von den Lehrkräften neutral nähergebracht werden, sodass sie sich ein eigenständiges Urteil bilden können. Aus meiner Sicht kann dabei eine kritische Diskussion mit Vertretern der Bundeswehr, aber auch mit Kritikern von Bundeswehreinsätzen ein hilfreicher Teil des Unterrichts sein.
Das gilt selbstverständlich nicht, wenn die Besuche nicht dem Bildungsauftrag der Schule dienen sollen, sondern der Werbung für den Dienst bei der Bundeswehr. Das wäre auf keinen Fall mit dem Bildungsauftrag der Schule zu vereinbaren – schon in § 4 Abs. 10 des schleswig-holsteinischen Schulgesetzes wird schließlich klargestellt, dass Sachverhalte nicht politisch einseitig behandelt werden dürfen. Daher finde ich es auch vollkommen unverständlich, dass das schleswig-holsteinische Bildungsministerium mit einer Bekanntmachung vom 13. März 2011 ( http://www.schleswig-holstein.de/cae/servlet/ contentblob/992636/publicationFile/BundeswehrSchreibenSt.pdf ) die Entscheidung über den Besuch von sogenannten „Schießkinos“ durch Schulklassen den Lehrkräften aufbürden will. Aus meiner Sicht und aus Sicht der SPD besteht in diesen Veranstaltungen nicht der geringste pädagogische Nutzen! Die gleiche Ansicht hat übrigens auch Mathias Heidn, der Landesvorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) in Schleswig-Holstein, in einer Pressemitteilung vom 28. März 2011 vertreten und sich klar gegen Besuche in „Schießkinos“ ausgesprochen.
Vor dem Besuch von Schulklassen bei der Bundeswehr oder Besuchen von Jugendoffizieren in den Schulklassen sollen die Eltern der Schüler nach Ansicht der SPD informiert werden, sodass sie gegebenenfalls ihre Kinder abmelden können. Schon im März 2011 hat die SPD-Fraktion im Schleswig-Holsteinischen Landtag die schwarz-gelbe Landesregierung in einem Antrag ( http://www.landtag.ltsh.de/infothek/wahl17/drucks/0400/drucksache-17-0455.pdf ) aufgefordert, diese Frage in einem Erlass zu regeln und dabei klarzustellen, dass die Eltern das Recht haben, ihr minderjähriges Kind von Veranstaltungen mit der Bundeswehr abzumelden. Im Schreiben des Bildungsministeriums vom 13. März 2011 wird lediglich vorgesehen, dass die Eltern informiert werden sollen, aber ein explizites Widerspruchsrecht fehlt. Dies liegt im Moment allein im Ermessen der Schule – diese Rechtsunsicherheit ist weder für die Schule noch für Schüler und Eltern akzeptabel.
Zu Ihrer weiteren Information möchte ich Ihnen auch einen Infobrief ( http://www.bundestag.de/dokumente/analysen/2010/Schule_und_Bundeswehr.pdf ) des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestags zum Thema Schule und Bundeswehr empfehlen, der auf die verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen der Behandlung der Bundeswehr im Schulunterricht sowie auf Rechtsschutzmöglichkeiten eingeht. Der Wissenschaftliche Dienst kommt hier zu dem Ergebnis, dass Informationen über die Bundeswehr im Rahmen der Schulpflicht zulässig sind und nicht gegen das Erziehungsrecht der Eltern verstoßen, solange die Vermittlung politisch ausgewogen ist und in der Hand der Schule verbleibt.
Mit freundlichen Grüßen