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Bettina Bähr-Losse
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Frage von Marcella P. •

Frage an Bettina Bähr-Losse von Marcella P. bezüglich Jugend

Sehr geehrte Frau Bähr-Losse,

die SPD hat sich gegen das Betreuungsgeld ausgesprochen. Aber sind Eltern und Kinder nicht vielfältig? Meinen Sie, dass für alle das gleiche Lebensmodell passt? Ich kenne Eltern, die sich gegen ihren Willen gezwungen sehen, Kinder unter drei Jahren in fremde Betreuung zu geben, weil sie Geld verdienen müssen. Lieber würden sie die Kinder selbst betreuen, weil sie den Eindruck haben, dass diese unter der außerhäusigen Betreuung leiden.

Ich will bestimmt nicht sagen, dass alle Kinder generell 3 Jahre zu Hause betreut werden müssen! Aber für die einen passt es so besser, für die anderen so. Wäre es darum nicht gerechter, wenn für alle Kleinstkinder ein gewisser Betrag für die Betreuung zur Verfügung stände, der sowohl an eine außerhäusige Betreuung als auch an die Eltern selbst gehen kann, ganz wie diese es wünschen?

Und wie denken Sie über die Forderung nach frühkindlicher Förderung - was soll das eigentlich genau sein? Brauchen unter 3-jährige schon Unterricht?

Vielen Dank schon mal im voraus,

Marcella Pott

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Antwort von
SPD

Sehr geehrte Frau Pott,

zu Ihrer Mail nehme ich gerne wie folgt Stellung:

sicher sind Familien vielfältig! Eine gute Familienpolitik muss mit guten Rahmenbedingungen die Familien dabei unterstützen, ihre unterschiedlichen Lebensentwürfe bestmöglich verwirklichen und eine moderne Partnerschaftlichkeit leben zu können.

Wir wollen, dass alle Kinder in materieller Sicherheit aufwachsen können. Wir wollen für mehr Gerechtigkeit und Zielgenauigkeit in der Familienförderung sorgen. Heute bekommt ein Spitzenverdiener mehr Entlastung für seine Kinder als ein Normalverdiener, dies ist ungerecht. Mit uns sollen beispielsweise Familien mit zwei Kindern, in denen beide Elternteile arbeiten künftig ein um bis zu € 140,00 pro Kind und Monat erhöhtes Kindergeld erhalten. Alle anderen Familien erhalten je Kind einheitlich wie bisher € 184,00 im Monat.

Ferner befürwortet die SPD eine "Familienarbeitszeit", die es Eltern erlaubt, ihre Arbeitszeit zeitlich befristet partnerschaftlich zu reduzieren, ohne dass dies zu Lasten ihrer beruflichen Entwicklung geht.

Ich halte die vorgenannten Schritte für sinnvollere Familienunterstützung als die Zahlung einer Prämie dafür, das eine öffentliche Einrichtung (Kita) nicht in Anspruch genommen wird. Das Betreuungsgeld ist für privilegierte Familien ein nettes Taschengeld und möglicherweise für wirtschaftlich schlechter gestellte Familien ein Anreiz, gerade die Kinder, die vielleicht mehr Förderung bedürfen, nicht in die Kindertagesstätte zu schicken. Dass diese Kinder dann zuhause eine bessere Betreuung und Förderung erhalten, weil das Betreuungsgeld gezahlt wird, sollte mindestens kritisch hinterfragt werden.

Klarzustellen ist, dass die SPD nicht die „Lufthoheit über die Kinderbetten“ anstrebt, wie von einigen angenommen. Es geht uns auch nicht darum „liebende Bezugspersonen und Kinder zu trennen“. Kindertagesstätten können und sollen niemals das Elternhaus ersetzen, aber sie müssen gut, gut für die Kinder und deren Förderung sein, damit Frauen eine echte Wahlfreiheit haben. "Frühkindliche Förderung" bedeutet für mich, dass all den Kindern, die zuhause - aus welchen Gründen auch immer - nicht die Förderung erhalten, die notwendig ist, um erfolgreich in die Grundschule gehen zu können, geholfen wird. Das Idealbild der intakten Familie, in der die Kinder geregelte Mahlzeiten kennenlernen und auch das Sprechen vernünftig lernen, findet sich leider in der Realität nicht immer. Ein "Unterricht", wie von Ihnen angesprochen, ist damit sicher nicht gemeint.

Es geht uns tatsächlich um die auch von der CDU favorisierte Wahlfreiheit, vor allem von Frauen, denn nach wie vor sind es hauptsächlich Frauen, die, wenn sie sich für Kinder entscheiden, zuhause bleiben. In Familien, in denen die wirtschaftliche Seite so gut aufgestellt ist, dass ein Elternteil zuhause bleiben kann, können Frauen, auch nach einem Regierungswechsel, diese Wahl für sich treffen. Soweit die Ehe dann Bestand hat oder die Frau anderweitig wirtschaftlich bis zum Lebensende abgesichert ist, mag die Entscheidung sich auch dauerhaft als richtig erweisen.

Es gibt aber eine Vielzahl von Familien, in denen sich aus wirtschaftlichen Gründen die Frage, ob ein Elternteil zeitweise oder dauerhaft zuhause bleibt, um Kinder zu betreuen gar nicht stellt.

Ferner gibt es eine Vielzahl von Frauen, die - im Vertrauen auf das immerwährende Verantwortungsgefühl des Ehemannes oder Kindsvaters, auf den Bestand der Ehe - die Entscheidung getroffen haben, zuhause zu bleiben. Manche für ein paar Jahre, andere für länger. Wenn Frauen dann wieder in den Beruf einsteigen, handelt es sich oft um sog. Minijobs, in der Regel jedenfalls um weniger gut bezahlte Teilzeitstellen, selten um eine der Qualifikation der Frauen tatsächlich entsprechende Arbeitsstelle. Dies hat einerseits mit dem Arbeitsmarkt, andererseits aber auch mit dem Bewusstsein von Frauen zu tun, nicht (mehr) für „bessere“ Arbeiten geeignet zu sein. Es finden sich Frauen an Supermarktkassen, beim Auffüllen von Supermarktregalen u. Ä. Es handelt sich oft um Stellen, deren Bezahlung unter dem von der SPD geforderten Mindestlohn liegt, so dass Frauen - die dann ja immer noch liebende Mütter sind - kaum genug verdienen, den aktuellen Lebensunterhalt zu verdienen, geschweige denn eine auskömmliche eigene Rente aufbauen zu können. Soweit in diesen Fällen dann immer noch ein weiterer Verdiener für diese Frauen sorgt, mag auch in diesen Fällen die getroffene Wahl auch noch am Ende des Lebens als richtig erscheinen.

Es gibt aber auch viele Frauen, und ich lerne sie in den Beratungsstunden in einem Frauenhilfeverein, in dem ich ehrenamtlich arbeite, aber auch in meiner beruflichen Praxis kennen, die irgendwann in ihren Leben die Entscheidung getroffen haben zuhause zu bleiben und nicht oder wenig gearbeitet haben oder nur im Niedriglohnbereich oder nur ehrenamtlich, und dann irgendwann vor den Scherben ihrer Ehe oder Beziehung stehen. Vielen Frauen wird erst in dieser Trennungssituation bewusst, dass sie selber völlig mittellos dastehen und sie es dann auch nicht mehr schaffen können, aus eigener Anstrengung den gewohnten Lebensstil zu bezahlen oder die eigene, auskömmliche Rente aufzubauen. Altersarmut ist vorprogrammiert.

Politik bedeutet für mich das Gestalten des Miteinanders. Auch das vorausschauende Planen. Auch das Sorgen für diejenigen, die - aus welchen Gründen auch immer - in persönliche oder/ und wirtschaftliche Schieflage geraten sind. In persönliche und wirtschaftliche Schieflage können auch Frauen geraten, die sich in wirtschaftliche Abhängigkeit begeben. Leidtragende sind in diesen Fällen immer auch die Kinder, deren Schutz und Förderung unser aller Anliegen sein sollte.

Es geht der SPD also in erster Linie um ein gerechtes Zuwendungssystem, Armutsbekämpfung, die Förderung aller Kinder und um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf.

Viele leben in privilegierten Verhältnissen. Das ist leider nicht allen Frauen und Familien gegeben; diesen Frauen und diesen Familien auch gute Chancen, gleiche Chancen zu ermöglichen - darin sehe ich u. a. meine Aufgabe.

Ich hoffe Ihnen mit meiner Sicht auf die Dinge, die auch davon geprägt ist, dass ich als Rechtsanwältin vornehmlich im Bereich des Familienrechts arbeite, einen Einblick geben konnte, warum die SPD, warum ich, das sog. Betreuungsgeld als falsches Signal ablehnen. Es geht an den realen Lebensverhältnissen vorbei und hilft weder Frauen, noch Kindern.

Mit freundlichen Grüßen

Bettina Bähr-Losse