Wenn ME/CFS in den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen keine eigene Tabelle erhält, wie kann anderweitig erreicht werden, dass Betroffene endlich angemessen beruteilt werden?
Auf eine ähnliche Frage von Stefan A. vom 17.01.2024 antworten Sie folgendes: „Auch wenn ME/CFS als eigenes Krankheitsbild bislang nicht als Behinderung eingestuft wurde, so ist doch zumindest die Schwerbehinderungsrelevanz des CFS seit vielen Jahren anerkannt.“
Dieser Aussage muss ich widersprechen, denn das Urteil, das sie nennen, beurteilt ME/CFS lediglich als „leichtere psychovegetative oder psychische Störungen“ mit einem GdB von 0 bis 20 oder „stärker behindernde Störungen (...) mit einem GdB von 30 bis 40." ( https://versorgungsmedizinische-grundsaetze.de/Urteile/Urteile%20Chronic-Fatigue-Syndrom%20-%20CFS.html ) Und genau diese offizielle Fehleinschätzung der Schwere der Erkrankung führt dazu, dass selbst schwer Betroffene (100% bettlägerig) in den allermeisten Fällen keinen Ausweis erhalten!! Wie können Betroffene also zu einer angemessenen Beurteilung kommen, wenn es keine eigene Tabelle gibt, die die Einschränkungen angemessen beurteilt? Auch MZ werden oft nicht zuerkannt!
Sehr geehrte Frau K.,
da ME/CFS-Erkrankte äußerst unterschiedliche Krankheitsverläufe und Symptome aufzeigen, ist hier jeweils im Einzelfall entsprechend der funktionellen Auswirkungen analog zu beurteilen.
Ausschlaggebend sind also die individuellen Funktionseinschränkungen. Diese sind bei ME/CFS oft schwer objektivierbar und müssen dennoch glaubwürdig vermittelt werden. Generell kann jeder Arzt/jede Ärztin (Haus- oder Facharzt) die Diagnose anhand etablierter klinischer Kriterien stellen. Einen diagnostischen Marker, wie beispielsweise einen Labortest, gibt es noch nicht. Daher wird ME/CFS nach einer ausführlichen Anamnese anhand der charakteristischen Symptome diagnostiziert. Zudem sollten vor der Diagnose andere Erkrankungen abgeklärt werden, die ähnliche Symptome verursachen können.
Die Kanadischen Konsenskriterien (Canadian Consensus Criteria - CCC) haben sich in den letzten Jahrzehnten unter Expert*innen und Wissenschaftlern*innen als wichtiger Leitfaden zur Diagnostik etabliert. Diese kann jeder Arzt/jede Ärztin zur Diagnose verwenden.
Mit freundlichen Grüßen
Bernd Rützel