Frage an Bernd Rützel von Christian S. bezüglich Arbeit und Beschäftigung
Sehr geehrter Herr Rützel,
immer wieder lese oder sehe ich Berichte über Arbeitsbedingungen in Deutschland. Häufig geht es dabei um, überspitzt gesagt, Ausbeutung. Mindestlohn, 450€ Jobs usw.
Erst vor Kurzem erschien im Main Echo ein Artikel darüber, dass manche Vertreter des Hotel-und Gaststättengewerbes eine Flexibilisierung der Arbeitszeiten fordern ( http://www.main-echo.de/regional/franken-bayern/art4022,4659472 )
Zudem sah ich im Report München einen Bericht über Teilzeitkräfte, die, um einen Lohn zum Überleben zu erhalten, ständig in Bereitschaft sein müssen. Diese Menschen bekommen Verträge über eine Arbeitszeit von ca. 10-12 Stunden in der Woche. Wollen sie mehr verdienen, dann müssen sie ständig auf Abruf bereit stehen. ( http://www.ardmediathek.de/tv/report-MÜNCHEN/Arbeit-auf-Abruf-Ständig-in-Bereitschaf/Das-Erste/Video?bcastId=431936&documentId=43365654 )
Auch ich habe bereits negative Erfahrungen gesammelt.
Eine Ausbildung zum Hotelfachmann habe ich bereits nach zwei Monaten abgebrochen, da die Arbeitsbedingungen unmenschlich waren.In diesem Gewerbe werden Auszubildende als billige Arbeitskräfte geradezu missbraucht.
Übergangsweise habe ich in diesem Jahr auf 450€ Basis eine Stelle als Hilfe für die Rezeption in einem Hotel angenommen. Hier musste ich die Erfahrung machen, dass die Anstellung lediglich dem Hotel zugute kam. Ich musste mehr oder weniger immer bereit stehen und erhielt keinen ordentlichen Dienstplan. Wenn, dann stand ich häufig mit einem "?" darin. Dies bedeutete ich erhielt am selben Tag um ca. 12 Uhr die Nachricht ob ich nun um 15 Uhr kommen soll oder nicht. Sie können sich vielleicht vorstellen was das für meine Tagesplanung und mein Privatleben bedeutete. Und all dies für eine Entlohnung von 9,00€ pro Stunde. Zudem belief sich die Arbeitszeit häufig auf gerade mal 2 Stunden.
Manche Regelungen in der Arbeitswelt sind sehr nachteilig für Arbeitnehmer.
Was sind Ihre Lösungsvorschläge?
Sehr geehrter Herr Schott,
Ihre Empörung kann ich gut verstehen.
Es ist überhaupt nicht in Ordnung, wenn Arbeitgeber ihr wirtschaftliches Risiko auf die Beschäftigten abwälzen. Arbeit auf Abruf hat sich zu einer Beschäftigungsform entwickelt, bei der alle Vorteile beim Arbeitgeber liegen. Die Nachteile tragen die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Das schauen wir als SPD uns nicht länger an.
Arbeit auf Abruf muss die Ausnahme sein, nicht die Regel. Da wir uns in dieser Legislaturperiode mit unserem Koalitionspartner leider nicht auf Änderungen einigen konnten, haben wir das Thema in den Entwurf unseres Wahlprogramms aufgenommen. Dort heißt es:
„Die arbeitnehmerfeindliche und immer weiter ausufernde Verbreitung von ‚Arbeiten auf Abruf‘ werden wir eindämmen. Auch geringfügige Beschäftigung wollen wir abbauen und Beschäftigten den Weg aus Minijobs in sozialversicherungspflichtige Arbeit öffnen.“
Das wollen wir am kommenden Sonntag in Dortmund beschließen und nach der Wahl umsetzen.
Die Rufe nach weiteren Flexibilisierungen der Arbeitszeit sind mir bekannt. Da sage ich ganz klar: Das Arbeitszeitgesetz ist vor allem auch ein Arbeitsschutzgesetz – ein Schutz der Beschäftigten etwa vor Überforderung und Entgrenzung. Und daran lässt sich nicht rütteln. Die SPD ist bereit, Änderungen an der bestehenden Gesetzeslage zu überdenken – aber nur, wenn dies auch den Bedürfnissen der Beschäftigten dient und durch Tarifverträge abgesichert ist.
Viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wollen beispielsweise früher nach Hause gehen, um einen Nachmittag mit den Kindern zu verbringen und abends noch mal arbeiten, wenn die Kinder im Bett sind. Das ist nach jetzigem Recht vielfach nicht möglich. Deshalb wollten wir in dieser Legislaturperiode die Wahloptionen für Beschäftigte bei Arbeitszeit und -ort erweitern. Damit sich daraus keine Nachteile für die Beschäftigten ergeben, wollten wir zunächst auf zwei Jahre befristete Experimentierräume für ausgewählte Unternehmen schaffen – und das nur, wenn sie tarifgebunden sind. Leider sind wir auch damit an unserem Koalitionspartner gescheitert.
Priorität hat für uns als SPD eindeutig der Schutz der Beschäftigten vor ausbeuterischen Arbeitsverhältnissen.
Ich wünsche Ihnen alles Gute für Ihre berufliche Zukunft.
Freundliche Grüße
Bernd Rützel