Frage an Bernd Neumann von Mark E. bezüglich Recht
Hallo Herr Neumann,
ich habe da einige Fragen zum Thema "Bürgerrechte":
- warum tritt die Union nicht für eine Absenkung des Mindestwahlalters auf 16 Jahre ein, wie es andere Parteien tun?
- inwieweit engagiert sich die Union für mehr direkte Demokratie, also für eine Stärkung der Beteiligungsmöglichkeiten des Bürgers in Kommunen, Ländern, Bund und Europa sowie für die Einführung von Volksentscheiden?
- inwieweit setzt sich die Union im Strafrecht für den Ausbau des Täter-Opfer-Ausgleichs ein? Soll bei jugendlichen Straftätern mehr auf den Erziehungsaspekt oder mehr auf Strafe gesetzt werden?
- was will die Union für den Schutz der Bürger vor der ungewollten Bloßstellung durch Medien wie z.b. der „BILD“-Zeitung tun?
- unter der rot-grünen Regierung wurden viele wichtige Entscheidungen von der öffentlichen Debatte im Bundestag ausgeschlossen und in Kommissionen und Arbeitsgruppen verlagert, in denen Lobbyisten geweichtige Mitspracherechte haben und in deren Arbeit die Öffentlichkeit keinen Einblick hat – insbesondere letzteres für mich völlig unverständlich. Wird die Union diesen Kurs als Regierungspartei beibehalten, oder soll die parlamentarische Arbeit wieder transparenter für den Bürger werden? Wenn ja, welche Entscheidungsprozesse werden dann wieder öffentlich nachvollziehbar sein, und welche finden weiterhin hinter verschlossenen Türen in Kommissionen statt?
Ich bedanke mich für Ihre Antworten.
MfG
Mark Eisner
Sehr geehrter Herr Eisner,
für Ihre Email vom 09. August 2005 danke ich Ihnen. Gerne beantworte ich Ihnen Ihre Fragen wie folgt:
1. Frage
Sie möchten wissen, warum sich die Union derzeit nicht für eine Absenkung des Mindestwahlalters auf 16 Jahre einsetzt. Es ist fair, sinnvoll und logisch, das Wahl-recht für den Bundestag mit der Volljährigkeit sowie der uneingeschränkten Geschäftsfähigkeit zu verbinden. Engagement für Politik und Gesellschaft beginnt aber weder erst an der Wahlurne, noch endet sie dort. Um junge Menschen dauerhaft für Politik zu interessieren, sind andere konkrete Beteiligungsmöglichkeiten wichtig, damit politische Prozesse hautnah miterlebt und gestaltet werden können. Wir machen dafür auch innerhalb der CDU konkrete Angebote.
2. Frage
Die Mütter und Väter des Grundgesetzes haben die Bundesrepublik Deutschland als
repräsentative, parlamentarische Demokratie verfasst. Das Grundgesetz hat damit die Grundlage für die erste stabile und erfolgreiche Demokratie in der deutschen Geschichte geschaffen. Daran halten wir fest. Eine Änderung des Grundgesetzes zur Einführung plebiszitärer Elemente auf Bundesebene streben CDU und CSU deshalb nicht an.
Für ein "Demokratie-Ranking" eignet sich diese Frage nicht. Es geht vielmehr um die
Frage, welche Form der Demokratie sich bewährt. Vor allem auf Bundesebene haben wir mit der repräsentativen, parlamentarischen Demokratie die besten Erfahrungen gemacht. Wir sind der Auffassung, dass sich Volksinitiative, Volksbegehren und Volksabstimmung auf der für den Bürger überschaubaren kommunalen und auf der Landesebene bewährt haben. Hier sind sie auszubauen. Sie eignen sich jedoch nicht für die komplexeren Verhältnisse auf der Bundesebene.
Plebiszitäre Formen der Staatswillensbildung stellen gegenüber dem parlamentarischen Gesetzgebungsverfahren kein Mehr an Demokratie dar. Gegenüber der Notwendigkeit zur Reduzierung komplexer Sachfragen auf Ja-Nein-Alternativen im Plebiszit bietet das parlamentarische Gesetzgebungsverfahren ein größeres Maß an Verfahrensrationalität, Interessenausgleich und Gelegenheit zum Kompromiss. Außerdem stellt es die nach Artikel 79 Abs. 3 Grundgesetz notwendige Mitwirkung der Bundesländer an der Gesetzgebung sicher, die bei nationalen Plebisziten fehlt.
Zudem haben die meisten Befürworter von Volksabstimmungen große Probleme damit, die Frage zu beantworten, wie sie sich dazu stellten, wenn solche Volksabstimmungen Mehrheiten z. B. für die Todesstrafe oder die Abschaffung des Asylrechts brächten.
3. Frage:
In Ihrer Frage zum Themenbereich Kriminalität wollen Sie wissen, ob die Union bei jugendlichen Straftätern mehr auf den Erziehungsaspekt setzt oder mehr auf Strafe. Dies sind jeweils wichtige Aspekte, selbstverständlich müssen jugendliche Straftäter eine zweite Chance in ihrem Leben bekommen, das ist Ziel unseres politischen Handelns. Das heißt jedoch keinesfalls, dass wir von der Union eine Weichspül-Justiz legitimieren werden. Bei Jugendlichen ist hier zwischen Ersttätern - pädagogischer Ansatz - und Wiederholungstätern zu differenzieren. Unser Regierungsprogramm sieht vor: Null Toleranz für Kriminalität und Vandalismus! Es handelt sich hierbei um keine Kavaliersdelikte. Jugendliche Banden, die ganze Stadtviertel terrorisieren, werden unter einer CDU-Regierung auf Basis der gesetzlichen Grundlagen hart bekämpft. Bei Heranwachsenden bis 21 Jahre soll in Zukunft das allgemeine Strafrecht und nicht mehr das Jugendstrafrecht angewendet werden.
Neben der Strafverfolgung der Täter wird leider immer noch zu wenig für die Opfer getan. Hier sind Organisationen wie der Weiße Ring zu nennen, die sich in herausragender Weise um die Betroffenen kümmert. Der Täter-Opfer-Ausgleich ist für die CDU hierbei ein zu stärkendes Instrumentarium.
4. Frage:
Sie möchten wissen, was die Union nach einer neuen Regierungsbildung gegen die ungewollte Bloßstellung von Bürgern durch Medien unternehmen wird. Die Pressefreiheit ist eines der wichtigsten Demokratiemerkmale eines Staates. Ihr wird in unserem Grundgesetz eine herausragende Position eingeräumt. Die Presse trägt mit zur politischen Kultur in Deutschland bei. Oft sind es Journalisten, die Skandale aufdecken und durch ihre Berichterstattung die Polizei, die Justiz und nicht zuletzt die Politik zum Handeln zwingen. Ich denke dabei z. B. an die jüngsten Vorgänge in den Chefetagen des VW-Konzerns. Ohne die Presse wäre die Aufklärung dieses Filzes vermutlich nicht gelungen.
Auch mit uns Politikern geht man nicht besonders zimperlich in den Zeitungen um. Pensionsansprüche und falsche Spesenabrechnungen, Flugmeilen-Affäre und Fahrbereitschaft, all diese Themen sind durch die Presse ans Tageslicht gebracht worden. Die Pressefreiheit ist ein hohes Gut, sie kann als erster Anwalt der Bürger bezeichnet werden.
Es kommt jedoch auch vor, dass der Boulevard-Journalismus zu weit geht. Es kann nicht sein, dass Existenzen auf äußerst fragwürdige Art und Weise zerstört werden, wie es in der Vergangenheit gelegentlich der Fall war. Um das zu verhindern, gibt es jedoch Instanzen, die die Presse genau beobachten und sofort einschreiten, wenn es Rechtsgrundlagen dafür gibt. Dass dies bedauerlicherweise nicht immer erfolgt, liegt an der Sensibilität des Themas. Die Pressefreiheit zu beschneiden, wäre ein herber Verlust für unser Land. Als Bürger ist man den von Ihnen zitierten Medien jedoch nicht hilflos ausgeliefert. In der Vergangenheit gab es genug Fälle, in denen ein Gericht den Opfern solcher Diffamierungskampagnen sowohl Schmerzensgeld zusprach, als auch eine Richtigstellung verlangte.
Abschließend kann ich Ihnen sagen, lieber Herr Eisner, dass ich sehr froh bin über die in Deutschland herrschende Pressefreiheit - nicht umsonst wird die Presse auch als die vierte Gewalt im Staat bezeichnet - ich denke auch nicht, dass es derzeit erforderlich ist, die Rechtsgrundlagen für journalistische Arbeit zu verschärfen.
5. Frage:
Sie äußern, wie viele Menschen, Unverständnis über die unter rot-grün gewachsene Praxis der Verlagerung eines Großteils der Parlamentsarbeit in Kommissionen, in denen auch Lobbyisten erheblich mitwirken, und Sie wünschen sich mehr Transparenz für die Bürger.
Ich habe Verständnis für Ihr Anliegen. Mein persönliches Ziel ist es, Politik für die Menschen zu machen, da ist es nur recht und billig, dass jeder interessierte Bürger die parlamentarischen Prozesse nachvollziehen kann. Rot-Grün hat die Bürger durch praktizierte Undurchsichtigkeit schwer enttäuscht.
Dennoch möchte ich hier nicht pauschal alle Lobbyisten beschimpfen, auch sie verfolgen die Interessen der Bürger und haben ein Recht auf Berücksichtigung beim Erarbeiten von Gesetzesvorlagen. Als Beispiel möchte ich hier den ADAC nennen, der sich in parlamentarischen Gremien für bessere Verkehrsinfrastruktur stark macht. Das ist doch auch im Interesse vieler Menschen. Bestimmte Entscheidungen unterliegen auch der Geheimhaltung, zum Beispiel Aspekte der Verteidigung. Hier kann nicht öffentlich getagt werden. Allerdings muss dies die Ausnahme sein, denn Sie haben Ihren Volksvertreter gewählt, Sie sind der Souverän, daher kann ein Rückzug aus der Öffentlichkeit nicht legitim sein.
Klüngelrunden hinter verschlossenen Türen sind nicht im Sinne der Transparenz. Sie haben ein Recht darauf, nachzuvollziehen, was in Berlin beschlossen wird und wie es beschlossen wird. Dafür steht die CDU.
Mit freundlichen Grüßen
Bernd Neumann