Frage an Bernd Neumann von Mathias U. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Neumann,
Meiner Wahrnehmung nach ist das Angebot unabhängige Nachrichten mobil zu erhalten ein erster Lichtblick für den Gegenwert der GEZ.
Eine Reduzierung des neu geschaffenen Angebots fördert nur die Faulheit einer ganzen Branche die es nicht verstanden hat in den neuen Medien wegen überzogenen Preisen und schlechtem Angebot Fuß zu fassen.
Ich frage mich wie Sie zu der Meinung gelangt sind das die online Angebote und die Smartphone Apps der ARD und ZDF einer Überprüfung bedürfen ohne das sich mir der Gedanke kommt eine Branche über die demokratische Idee der unabhängigen Medien zu stellen.
Somit stehen auch für die Überprüfung der unabhängigen Medien um eine generelle Reduktion der Berichterstattungen zu erreichen ?
Sehr geehrter Herr Uhl,
vielen Dank für Ihre Nachricht vom 5. September 2011, in der Sie sich zu den Onlineangeboten und Smartphone-Applikationen von ARD und ZDF äußern. Hinsichtlich der Überprüfung dieser Angebote befürchten Sie einen Eingriff in die Medienfreiheit zu Gunsten privater Medienanbieter und gleichzeitig zu Lasten der Berichterstattung durch unabhängige Medien. Gerne nehme ich zu Ihrem Anliegen Stellung.
Freie und unabhängige Medien sind Wesensmerkmal einer Demokratie. Nur die Existenz freier Medien verleiht dem Grundrecht in Artikel 5 Absatz 1 Satz 1 des Grundgesetzes Substanz. Dementsprechend geht es bei der Überprüfung der öffentlich-rechtlichen Onlineangebote und „Apps“ keineswegs um eine (staatliche) Kontrolle mit dem Ziel, die Berichterstattung durch unabhängige Medien zu beschränken. Hintergrund ist vielmehr folgender:
Aufgrund verschiedener Beschwerden privater Anbieter u.a. zu den Online-Aktivitäten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Deutschland hat die EU-Kommission ab 2002 deren Vereinbarkeit mit dem europäischen Beihilferecht geprüft. Kernpunkt der Kritik war, dass die Online-Aktivitäten eine wettbewerbsverzerrende Wirkung hätten, da mit Gebührengeldern eine Konkurrenz zu privaten Angeboten geschaffen werde und es keine Begrenzung der Aktivitäten im Internet gebe. Den Abschluss des Prüfverfahrens in 2007 knüpfte die EU-Kommission an detaillierte Auflagen. Dieser sogenannte Beihilfekompromiss zwischen der EU-Kommission und der Bundesrepublik Deutschland sah u.a. vor, dass der Auftrag der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten im Internet gesetzlich präzisiert und ein Testverfahren für neue und wesentlich veränderte Onlineangebote eingeführt wird.
Mit dem Zwölften Rundfunkänderungsstaatsvertrag, der am 1. Juni 2009 in Kraft getreten ist, haben die für den inländischen Rundfunk zuständigen Bundesländer den Beihilfekompromiss in nationales Recht umgesetzt. Die Regelungen sehen u.a. ein dreistufiges Testverfahren für die Onlineangebote von ARD, ZDF und Deutschlandradio vor, mit dem untersucht werden soll, ob die Angebote dem gesetzlichen Auftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks entsprechen. Im Rahmen dieses sogenannten Drei-Stufen-Tests ermitteln die pluralistisch zusammengesetzten Aufsichtsgremien der Rundfunkanstalten, inwieweit das jeweilige Telemedienangebot (damit sind vor allem Onlineangebote gemeint) den demokratischen, sozialen und kulturellen Bedürfnissen der Gesellschaft entspricht, in welchem Umfang es in qualitativer Hinsicht zum publizistischen Wettbewerb beiträgt und welcher finanzieller Aufwand für das Angebot erforderlich ist. Die Wirkungen dieser Regelung werden von den Ländern aufmerksam beobachtet und bewertet.
Ich bin fest davon überzeugt, dass wir einen starken öffentlich-rechtlichen Rundfunk brauchen, der auch angemessene Entwicklungsmöglichkeiten in der digitalen Welt hat. Wie ich bei der Eröffnung des Medienkongresses der Internationalen Funkausstellung in Berlin betont habe, dürfen diese Entwicklungsmöglichkeiten aber nicht zu Lasten eines ausgewogenen Verhältnisses zwischen privaten und öffentlich-rechtlichen Medien gehen. Private Medienanbieter wie Verlage brauchen Spielraum für publizistisch und wirtschaftlich erfolgreiche Marktentwicklungen. Haben sie diesen Spielraum nicht, wird das gedeihliche Nebeneinander von privaten und öffentlich-rechtlichen Medienangeboten für die Zukunft in Frage gestellt. Auch die privaten Medien erfüllen in unserer Gesellschaft eine wesentliche demokratische Funktion und genießen den Schutz von Art. 5 des Grundgesetzes. Dies sollten die öffentlich-rechtlichen Sender bei der Gestaltung ihrer Angebote im Internet angemessen berücksichtigen, was eine kritische Überprüfung der Bereitstellung von Smartphone-Applikationen einschließt. Meines Erachtens sollten solche „Apps“ nur für Angebote zur Verfügung gestellt werden, die sich im Kern des Auftrags des öffentlich-rechtlichen Rundfunks bewegen.
Zu diesem Kern gehören selbstverständlich die von Ihnen erwähnten Nachrichtenangebote. Die Länder haben im Rundfunkstaatsvertrag jedoch festgelegt, dass im Internet „nichtsendungsbezogene presseähnliche Angebote“ der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten nicht zulässig sind. Diese Regelung soll verhindern, dass Geschäftsmodelle privater Medienanbieter durch eine „gebührenfinanzierte Presse“ unnötig gefährdet werden. Im Fall der „Tagesschau-App“, gegen die acht Zeitungsverlage geklagt haben, wird nun gerichtlich geklärt werden müssen, ob die ARD mit diesem Angebot die staatsvertraglichen Vorgaben einhält.
Ich würde mich freuen, wenn ich Ihnen meine Auffassung zu dieser Thematik nachvollziehbar darlegen und Ihre Befürchtungen hinsichtlich einer - verfassungsrechtlich unzulässigen - Beschränkung öffentlich-rechtlicher Medienangebote zerstreuen konnte.
Mit freundlichen Grüßen
Bernd Neumann, MdB