Frage an Bernd Neumann von René S. bezüglich Jugend
Guten Tag Herr Neumann,
sie haben für das Gesetz zur Beschneidung von Jungen gestimmt. Sie sind also für die Genitalverstümmelung bei Jungs im Namen der "Religionsfreiheit", die damit nur den Eltern zugestanden wird, nicht aber des Jungen, der beschnitten wird. Warum?
Was wäre das Problem gewesen, wenn die Genitalverstümmelung von Jungen wie auch bei Mädchen verboten worden wäre mit dem Hinweis auf eigene Religionsfreiheit. Wenn die Jungen dann später, wenn sie volljährig sind, Muslim oder Jude werden möchten, und entsprechend ihre Vorheut "opfern" möchten, können sie dies ja aus freiem Willen tun. Warum also stimmten sie für dieses Gesetz?
Mit freundlichen Grüßen,
René Schmalian
Sehr geehrter Herr Schmalian,
vielen Dank für Ihre Frage vom 14. Februar 2013 zur Frage der Zulässigkeit der Beschneidung von minderjährigen Jungen. Sie üben darin nachdrücklich Kritik an dem Beschluss des Deutschen Bundestages, eine solche Beschneidung auf gesetzlicher Grundlage auch künftig zuzulassen.
Kaum ein anderes Thema wurde in der letzten Zeitin der Öffentlichkeit so breit und so kontrovers diskutiert. Ausgelöst wurde diese Diskussion durch das Urteil des Landgerichts Köln vom 7. Mai 2012, mit dem wohl erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik ein Strafgericht die Beschneidung eines minderjährigen Jungen aus religiösen Gründen als rechtswidrige Körperverletzung wertete. Es handelt sich zwar um die Entscheidung eines Einzelfalls, die keine Bindungswirkung für andere Gerichte hat; dennoch hat das rechtskräftige Urteil die jüdische und muslimische Gemeinschaft in Deutschland tief verunsichert. Eltern, die ihre Söhne beschneiden lassen möchten und Ärzte, die die Beschneidungen vornehmen sollen, befürchten nun, dass sie sich damit strafbar machen könnten.
Für das religiöse Selbstverständnis von Juden und Muslimen ist die Beschneidung von Jungen jedoch von grundlegender Bedeutung. Sie fühlen sich durch das Urteil ausgegrenzt und fürchten ganz generell um die soziale Akzeptanz ihres religiösen Lebens in Deutschland.
Die Frage nach der Zulässigkeit der Beschneidung musste deshalb geklärt werden. Eine Klarstellung durch das Bundesverfassungsgericht, welche die Gerichte bundesweit binden würde, war in absehbarer Zeit nicht zu erwarten. Es war daher Aufgabe des Gesetzgebers zu entscheiden, ob die religiös motivierte Beschneidung von Jungen trotz verständlicher Einwände mit dem Kindeswohl vereinbar ist.
Der Deutsche Bundestag hatte deshalb am 19. Juli 2012 in einem fraktionsübergreifenden Beschluss die Bundesregierung mit breiter Mehrheit aufgefordert, bis zum Herbst einen Gesetzentwurf vorzulegen, der die grundgesetzlich geschützten Rechtsgüter des Kindeswohls, der körperlichen Unversehrtheit, der Religionsfreiheit und des Rechts der Eltern auf Pflege und Erziehung miteinander in Einklang bringt.
Der Gesetzentwurf sollte für alle Beteiligten Rechtssicherheit schaffen und sicherstellen, dass eine medizinisch fachgerechte Beschneidung von Jungen ohne unnötige Schmerzen grundsätzlich rechtlich zulässig ist.
Diese Entscheidung haben wir uns nicht leicht gemacht. Im Mittelpunkt unserer Überlegungen stand und steht dabei stets das Wohl des Kindes. Dessen Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit und die Grundrechte der Eltern auf Kindeserziehung und Religionsausübungsfreiheit sind im Sinne des Kindeswohls angemessen auszugleichen.
Schon das Landgericht Köln selbst hat in seiner Entscheidung betont, dass die Frage nach der Rechtswidrigkeit der Beschneidung von Jungen „nicht unvertretbar“ auch anders beantwortet werden kann, als das Gericht dies getan hat.
Die Beschneidung von Jungen ist als Eingriff in die körperliche Integrität irreversibel und natürlich keine Bagatelle. Mit der Verstümmelung der Genitalien von Mädchen und Frauen, die zweifellos strafbar ist und mit strengen Sanktionen geahndet werden muss, ist die teilweise oder ganze Entfernung der Vorhaut bei Jungen aber nicht vergleichbar. Sicherlich ist Ihnen bekannt, dass die Weltgesundheitsorganisation den Eingriff bei Männern zumindest regional als eine medizinisch und hygienisch sinnvolle Vorsorgemaßnahme sogar empfiehlt, z.B. um die HIV-Infektionsrate zu senken. Schätzungen zufolge ist etwa ein Drittel der männlichen Weltbevölkerung beschnitten. Die Beschneidung von Jungen gilt als der weltweit am häufigsten durchgeführte kinderchirurgische Eingriff; insbesondere in den USA wird er zur Förderung der Gesundheit häufig vorgenommen.
Wir sind der Auffassung, dass Eltern all dies berücksichtigen dürfen, wenn sie entscheiden, ob eine Beschneidung dem Wohl ihres Sohnes dient. Denn es sind die Eltern, die - in den Grenzen unserer Rechtsordnung - den Inhalt des Kindeswohls festlegen. Sie dürfen sich bei Entscheidungen zur Gesundheit ihres Kindes auch von religiösen Motiven leiten lassen, solange die Behandlung bzw. der Eingriff nach allgemeinen Maßstäben medizinisch vertretbar ist. Das Recht von Eltern, ihre Kinder religiös zu erziehen, ist grundgesetzlich geschützt. Und die Beschneidung von Jungen ist, gerade auch mit Blick auf die Situation über Deutschland hinaus, medizinisch vertretbar, wenn sie fachgerecht und ohne unnötige Schmerzen für das Kind durchgeführt wird.
Die Beschneidung von Jungen mit Einwilligung ihrer Eltern ist daher - so der Beschluss von CDU/CSU und der Mehrheit der SPD im Bundestag - auch künftig zulässig, wenn gewährleistet ist, dass dabei alle modernen medizinischen Standards eingehalten werden.
Jüdisches und muslimisches religiöses Leben muss weiterhin in Deutschland möglich sein. Jüdische und muslimische Eltern sollen nicht gezwungen sein, ihre Söhne bei unseren Nachbarn im europäischen Ausland oder in Hinterzimmern von Laien beschneiden zu lassen. Das wollen wir sicherstellen, indem wir die weltweit akzeptierte Beschneidung minderjähriger Jungen verfassungskonform regeln.
Mit freundlichen Grüßen
Bernd Neumann, MdB