Frage an Benjamin Bräuer von Dr. Bruno K. bezüglich Recht
Obwohl Jungen nachweislich krankheitsanfälliger sind und das schlechtere Bildungsniveau und die schlechtere Bildungsbeteiligung aufweisen, wird auch trotz einer Geschlechterpolitik des Gender Mainstreaming in geschlechterspezifischen Bildungsberichten (z.B. Bildung auf einen Blick) , Krankheitsberichten (nur Frauengesundheitsberichte, keine Männergesundheitsberichte) oder allgemeinen Situationsberichten (Migrantenbericht „Viele Welten leben“ vom Dez. 2004) die Situation von Jungen und männlichen Jugendlichen teilweise oder völlig ausgeblendet. Werden Sie sich aktiv dafür einsetzen, dass zukünftig in geschlechterspezifischen Berichten auch die Situation von Jungen und männlichen Jugendlichen ausreichend dargestellt wird?
Sehr geehrter Herr Dr. Köhler,
vielen Dank für Ihre Frage. Ich bitte meine verspätete Antwort zu entschuldigen. Kandidatenwatch hatte leider eine falsche Mail-Adresse recherchiert, so dass ich keine Fragen erhalten habe.
Zur Antwort:
Es ist richtig, dass wir mit Geschlechterpolitik im Sinne des Gender Mainstreaming darauf abzielen, die unterschiedlichen Ausgangspositionen und die daher unterschiedlich wirkenden Auswirkungen von Maßnahmen auf /beide/ Geschlechter von Anfang an zu betrachten und folglich für die Geschlechter individuell das Richtige zu unternehmen. Was Sie bei Ihrer Kritik an einer bisher einseitigen Ausleuchtung der frauenspezifischen Besonderheiten allerdings übersehen: Derzeit wird ein Großteil aller Gesetze nach wie vor ohne Rücksicht auf die geschlechtsspezifischen Unterschiede auf der Grundlage eines angenommenen Mainstream erarbeitet. Und dieser Mainstream ist eindeutig männlich geprägt. Einige Beispiele: Es ist inzwischen erwiesen, dass viel mehr Frauen als bisher bekannt an Herzinfarkten sterben – die ÄrztInnen erkennen oftmals die Symptome nicht, weil davon ausgegangen wird, dass diese bei allen Menschen unabhängig vom Geschlecht die gleichen sind – daher wurden typisch weibliche Herzinfarktsymptome bisher nicht als solche wahrgenommen.
Generell setzt sich in der Medizin erst langsam die Erkenntnis durch, dass Männer und Frauen unterschiedlich krank sind, und dass auch Medikamente unterschiedlich auf die Geschlechter wirken. Die Forschung hat erst vor kurzem entdeckt, dass es für Frauen sehr negative Auswirkungen haben kann, wenn Medikamente ausschließlich an Männern getestet werden. Insgesamt sind das gute Gründe für Fachleute aus dem Gesundheitsbereich, sich zunächst einmal ausführlicher mit der Frauengesundheit zu befassen. Das soll aber nicht bedeuten, dass es nicht langfristig nötig wäre, auch zu fragen, wo die Medizin bei Männern nicht genau genug hinsieht. Dies gilt beispielsweise für bisher als typisch weiblich wahrgenommene Krankheiten wie Magersucht. Ein anderes Beispiel: Die Jugendberufshilfe, in der jungen Menschen, die Probleme haben, eine normale Ausbildung abzuschließen, ein öffentlich gefördertes Ausbildungsangebot mit pädagogischer Begleitung angeboten wird. Sie wird zu zwei Dritteln von jungen Männern genutzt. Nicht, weil junge Frauen solche Programme nicht bräuchten, sondern weil sie weniger große Verhaltensauffälligkeiten zeigen als ihre Altersgenossen. Der von Ihnen erwähnte Bericht „Viele Welten leben“ ist in der Tat eine Studie, die sich speziell mit Migrantinnen befasst. Und zwar deshalb, weil auch für junge Migrantinnen gilt, dass aufgrund geringerer Verhaltensauffälligkeiten ihre spezifischen Probleme im Migrationsprozess von der Politik bisher wenig beachtet wurden. Die Studie befasst sich unter anderem mit den Vorstellungen der befragten MigrantInnen von Liebe, Ehe und Partnerschaft – in Anbetracht des hohen Ausmaßes an häuslicher Gewalt gegenüber Frauen mit Migrationshintergrund war diese Studie dringend nötig, um über die individuelle Wahrnehmung dieser Probleme durch Frauen mit Migrationshintergrund Aufschluss zu erhalten. Erstmals wurde durch die rot-grüne Bundesregierung die spezifische Situation der Migrantinnen ins öffentliche Bewusstsein gerückt und genauer untersucht – das ist ein äußerst wichtiger Bereich der Integrationspolitk. Natürlich ersetzt eine solch spezifische Studie nicht den regelmäßig erscheinenden „Bericht über die Lage der Ausländerinnen und Ausländer in Deutschland“, der gerade in diesem Jahr neu erschienen ist.
Wir halten es für wichtig und notwendig, dass im Rahmen einer modernen Geschlechterforschung auch der geschlechtsspezifische Blick auch auf die Jungen und Männer ausgeweitet wird. Wir werden dies weiter fördern. In frauenspezifische Berichte gehört die Situation der Männer dennoch nicht immer und automatisch mit hinein. Die Frauenforschung hat in Deutschland erst in den 70er Jahren begonnen, erst seitdem existiert ein Bewusstsein dafür, dass die Analyse eines männlich geprägten Mainstream als Ausgangsbasis für gesetzliche oder andere Maßnahmen die spezifischen Besonderheiten des weiblichen Geschlechts meist ignoriert. Hier gibt es noch eine ganze Menge zu tun. Deshalb muss es weiterhin auch eine rein frauenspezifische Forschung geben. Die Männerforschung wollen wir aber ebenfalls fördern und weiter entwickeln. Oftmals stehen beide ja auch in enger inhaltlicher Beziehung zueinander.
Ich hoffe, ich konnte ihre Frage beantworten.
Mit freundlichen Grüßen
Benjamin Bräuer
Sehr geehrter Dr. Köhler,
Der Frauengesundheitsbericht war meiner Kenntnis nach eine einmalige Bestandsaufnahme, die vor einigen Jahren vom Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend in Auftrag gegeben worden war. Mit dem Bericht sollte darauf hingewiesen werden, dass sich die gesundheitliche Situation von Frauen und Männern unterscheidet und deshalb auch die Angebote des Gesundheitswesens „geschlechtersensibler“ werden müssen. Trotz des Namens also ein erster Schritt in Richtung „Gender Mainstreaming“.
Dieser Trend setzt sich in der „Gesundheitsberichterstattung des Bundes“ fort, herausgegeben vom Robert-Koch-Institut zusammen mit dem Statistischen Bundesamt. Diese Berichterstattung und die dazugehörenden Themenhefte berücksichtigen in den letzten Jahren verstärkt Geschlechteraspekte – von Vorteil für Frauen und Männer. Ein Anfang in Richtung „geschlechtersensibler“ Gesundheitspolitik ist also gemacht – eine Entwicklung, die ich positiv finde und unterstützen kann.
Mit freundlichen Grüßen
Benjamin Bräuer