Frage an Bela Bach von Alina L. bezüglich Humanitäre Hilfe
Sehr geehrte Frau Bach,
Ich sehe gerade mit Entsetzen, dass sie am 4. März gegen die Aufnahme besonderer Schutzbedürftiger aus den griechischen Geflüchtetenlagern gestimmt haben. Wir haben Platz in Deutschland! Das wären nur 5000 Menschen gewesen! Da gerade das Flüchtlingslager Moria abgebrannt ist und nun knapp 13.000 Geflüchtete obdachlos sind, fordere ich Sie hiermit dazu auf - und appeliere dabei an die Menschenrechte und das Grundgesetz - sofort alles in Ihrer Macht stehende zu tun, diese Menschen nach Deutschland zu holen. Sind Sie bereit das zu tun?
Mit freundlichen Grüßen
Alina Lebherz
Sehr geehrte Frau Lebherz,
vielen Dank für Ihre Nachricht und Ihr Interesse an meiner Arbeit.
Die von Ihnen angesprochene Bundestagsabstimmung am 4. März 2020 ist mir nicht leicht gefallen, weil ich klar für die dringende und sofortige Aufnahme der Geflüchteten bin. Ich habe aber dennoch dagegen gestimmt, weil:
1.) Die Anträge der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vom 29. Januar 2020 (Drucksache 19/16838, neu) sowie vom 14. Februar 2020 (Drucksache 19/17198) wenige Tage vor einem Gipfel der EU-Regierungen gestellt worden sind, auf dem man sich exakt über die Aufnahme von Geflüchteten verständigen wollte. Hätten wir dem Antrag als SPD-Fraktion einfach zugestimmt, dann wären die Verhandlungen auf EU-Ebene voraussichtlich ins Leere gelaufen.
2.) Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hatte ihre Anträge vom 29. Januar 2020 und 14. Februar 2020 zu diesen Zeitpunkten gestellt, um uns SPD-Abgeordnete in diese Position zu bringen. Dieses politische Kalkül ist aufgegangen; denn die SPD-Fraktion hat in der Folge (fast geschlossen) gegen die Aufnahme der Geflüchteten stimmen müssen.
3.) Seinerzeit haben wir in der SPD-Bundestagsfraktion sehr offen darüber diskutiert, wie wir uns zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen verhalten. Uns stand die Entscheidung offen. Uns wurde aber auch zugesichert, dass Deutschland in sehr naher Zukunft sehr sicher Minderjährige aufnehmen wird. Ebendas ist dann auch geschehen. Am 18. April 2020 wurden 47 unbegleitete Minderjährige aufgenommen, am 26. Juni 2020 sechs unbegleitete Minderjährige, am 24.07.2020 83 Personen – darunter 18 behandlungsbedürftige Kinder, am 31.07.2020 90 Personen – darunter 22 behandlungsbedürftige Kinder – und am 26.08.2020 121 Personen – darunter 28 behandlungsbedürftige Kinder (Stand: 15. September 2020).
4.) Deutschland nimmt nun insgesamt ca. 2750 Personen aus Griechenland auf – 981 mit den Zusagen seit März, 150 unbegleitete Minderjährige mit der Entscheidung vom 11. September 2020 plus nun 1553, hauptsächlich Kinder und ihre Familien.
Problematisch ist, dass sich seitdem keine europäische Lösung gefunden hat. Die SPD-geführten Länder und Kommunen wollen deswegen freiwillig Geflüchtete aufnehmen. Das wiederum blockiert Bundesinnenminister Horst Seehofer. Dieser Widerstand ist für mich nicht nachvollziehbar. Ich plädiere deshalb dafür, dass Innenminister Seehofer den Weg für aufnahmebereite Bundesländer, Städte und Gemeinden sofort freimacht, sodass diese helfen können.
Meine Fraktion und ich lassen nicht nach, bis wir menschenwürdige Bedingungen erreicht haben, die mit europäischem Recht und unseren Werten vereinbar sind. Dazu braucht es eine Reform des gemeinsamen europäischen Asylsystems, wie wir sie in unserem Fraktionsbeschluss entwickelt haben (nachlesbar auf der Webseite meines Fraktionskollegen Dr. Lars Castellucci MdB, Sprecher für Migration und Integration der SPD-Bundestagsfraktion: https://www.lars-castellucci.de/wp-content/uploads/2020/09/20200910_Moria.pdf).
Meine Position bleibt, dass wir so weit helfen sollten, wie Länder und Kommunen Bereitschaft signalisieren. Dafür brauchen wir umgehend eine ständig zu aktualisierende Aufstellung, in welcher Größenordnung dies geschieht. Die freiwillige kommunale Aufnahme sollte durch den Bund ermöglicht und aus europäischen Mitteln gefördert werden.
Außerdem arbeiten wir kontinuierlich weiter, das europäische Kontingent gemeinsam mit anderen Ländern aufzustocken und dann auch den deutschen Anteil weiter zu erhöhen. Auf diese europäische Lösung darf man nicht warten, man muss für sie arbeiten. Dazu braucht es aus unserer Sicht einen Sonderbeauftragten mit Verhandlungsvollmachten, um sich ausschließlich und mit der nötigen Autorität für gemeinsame Lösungen einzusetzen.
Die EU und ihre Mitgliedstaaten sind in Fragen der Asyl- und Flüchtlingspolitik weiterhin nicht handlungsfähig. Umso wichtiger ist es, dass wir darauf hinarbeiten, endlich eine umfassende Reform des gemeinsamen europäischen Asylsystems zu erreichen. Als SPD-Bundestagsfraktion haben wir dazu vor der Sommerpause einen klaren Beschluss mit konkreten Umsetzungsvorschlägen verabschiedet, den Sie hier nachlesen können: https://www.spdfraktion.de/system/files/documents/positionspapier-menschlich-solidarisch-20200616neu.pdf.
Wir lassen nicht nach, bis in Europa europäisches Recht und europäische Werte auch überall durchgesetzt werden. Jetzt haben wir die Chance, unseren Vorschlag durchzusetzen und auf Lesbos ein erstes Modell-Asylzentrum zu errichten, das Geflüchteten Sicherheit, Versorgung und rechtsstaatliche Verfahren bietet.
Mit freundlichen Grüßen
Bela Bach
Mitglied des Deutschen Bundestages