Frage an Bela Bach von Gunter W. bezüglich Gesundheit
Grüß Gott Frau Bach,
im Zusammenhang mit der beabsichtigten Änderung des Infektionsschutzgesetzes (Übertragung der Zuständigkeit für Corona-Maßnahmen auf de Bund) habe ich folgende Fragen:
Wie stehen Sie zu dem Folgenden:
1. „Ab einer Inzidenz von 100 nächtliche Ausgangssperren zu verhängen, obwohl von Gerichten deren Wirksamkeit angezweifelt wurde, ist eine Nichtachtung der Justiz."
2. "Nur auf die Inzidenz abzustellen ist bei derartig drastischen Maßnahmen willkürlich, weil die reine Inzidenz davon abhängt wie viel getestet wird. Dies ist manipulierbar."
3. "Die angestrebten Maßnahmen sind in dieser Umsetzung nicht der Brücken-Lockdown von zwei oder drei Wochen, der diskutiert wird, sondern ein nicht mehr einzufangender Dauer-Lockdown“.
4.Teilen Sie die Auffassung, dass das föderale Prinzip ein essentieller Bestandteil des Grundgesetzes ist?
Sind Sie gleichwohl der Auffassung, dass ein solcher Verfassungsgrundsatz - partiell - durch einfaches Bundesgesetz geändert werden kann?
Mit freundlichen Grüßen
G. W.
Sehr geehrter Herr Weise,
vielen Dank für Ihre Anfrage vom 12. April 2021, in der Sie mir Fragen zur Änderung des Infektionsschutzgesetzes stellen.
Der Deutsche Bundestag hat am 21. April 2021 weitreichende Änderungen im Infektionsschutzgesetz beschlossen. Die SPD Fraktion, deren Mitglied ich bin, steht hinter dieser bundeseinheitlichen Regelung zum Infektionsschutz. Klar ist, dass wir uns derzeit in einer Situation befinden, welche bei Nicht-Handeln des Bundestages und der Regierung, in eine Lage umschlagen wird, in der die Infektionszahlen noch höher steigen und wir weitaus mehr als 10.000 Tote pro Woche zu beklagen haben. Hinter solchen Zahlen befinden sich Schicksale, Familien und Freunde, die aufgrund des Virus von geliebten Menschen Abschied nehmen müssen. Daher müssen wir jetzt handeln, um die dritte Welle der Pandemie zu brechen. Wir befinden uns in der wohl gefährlichsten Phase der Pandemie, die weder Länder-, noch Kreis- oder Stadtgrenzen kennt. Daher haben wir uns auf rechtssichere, verständliche und bundeseinheitliche Maßnahmen geeinigt, die ab einer Inzidenz von über 100 überall gelten.
Dieses Vorgehen ist verfassungsmäßig und vereitelt nicht den Föderalismus. Der Bund hat die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz für das Infektionsschutzrecht gem. Art. 74 I Nr. 19 GG. Er kann daher die Maßnahmen ergreifen, hat aber die konkrete Ausgestaltung den Ländern überlassen: In § 32 IfSG werden die Länder ermächtigt, Verordnungen zur Umsetzung der Infektionsschutzmaßnahmen zu erlassen. Nun wurde das Bundesgesetz durch eine bundeseinheitliche Notbremse ergänzt – dies geschieht durch ein ordnungsgemäßes Gesetzgebungsverfahren, an welchem auch die Länder durch den Bundesrat beteiligt sind.
Weiterhin handelt es sich um eine zeitlich begrenzte Ermächtigung der Bundesregierung. Die Notbremse wird nur solange greifen können, wie der Deutsche Bundestag eine epidemische Lage von nationaler Tragweite nach § 5 des Infektionsschutzgesetzes festgestellt hat. Damit besteht gerade kein Blankoscheck für die Regierung. Mit bundeseinheitlichen Regelungen umgehen wir zudem einen Flickenteppich und stellen so sicher, dass alle notwendigen Einschränkungen einheitlich, transparent und nachvollziehbar sind.
Die Maßnahmen auf die Entwicklung der Inzidenzen zu stützen ist meiner Ansicht nach auch nicht willkürlich. Die Inzidenz hängt natürlich damit zusammen, wie viel getestet wird. Testen ist ein essenzieller Bestandteil der Pandemiebekämpfung, da es eine schnelle und präzise Erfassung der Zahl und Verteilung von infizierten Personen in Deutschland ermöglicht. Da die Inzidenzen mit der Anzahl der nachgewiesenen Infektionen in der Bevölkerung zusammenhängen, führt eine Ausweitung der durchgeführten Tests gegebenenfalls zu einem Anstieg von Fallzahlen. Das heißt aber nicht, dass umgekehrt die beobachteten steigenden Fallzahlen nur mit einem hohen Testaufkommen zu erklären sind. Das wird zudem durch die ansteigenden Zahlen der belegten Krankenhausbetten auf den Intensivstationen bestätigt, die einen weiteren Indikator für die Entwicklung des Infektionsgeschehens darstellen. Der Grund, warum die Maßnahmen im Gesetz an die Inzidenzen ohne Einbezug der Anzahl bereits geimpfter Personen geknüpft sind, liegt darin, dass diese klar und für jeden einfach verständlich sind. Das ist extrem wichtig, um die Maßnahmen sinnvoll anwenden zu können und vor allem Rechtssicherheit zu schaffen. Auch Gerichte haben bisher bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit auf den Inzidenzwert zurückgegriffen.
Es ist unbestritten, dass es sich bei den Maßnahmen um harte Einschnitte handelt. Allerdings geht es darum, uns alle vor dieser Krankheit zu schützen. Das Instrument der Ausgangsbeschränkung soll dabei bewirken, dass menschliche Zusammenkünfte in Innenräumen verhindert werden. Private Treffen in Innenräumen stellen nämlich ganz maßgeblich einen Treiber der Pandemie dar. Hinsichtlich Ihrer Aussagen gegen eine Ausgangssperre würde ich daher gerne folgendes festhalten: Die Einschränkung der
Bewegungsfreiheit zu regelmäßigen Ruhens- und Schlafenszeiten hat einer weit überwiegenden Zahl verwaltungsgerichtlicher und verfassungsgerichtlicher Entscheidungen stangehalten. Wir brauchen derzeit die Unterlassung von Kontaktaufkommen, um das pandemische Geschehen bewältigen zu können und halten die Regelung für verhältnismäßig. Die Maßnahme ist zum einen auf den Zeitraum begrenzt, indem die Voraussetzungen der Notbremse vorliegen und außerdem bis zum 30. Juni 2021 befristet. Das Instrument ist geeignet, da nur so private Zusammenkünfte vermieden werden, und auch erforderlich, da ein milderes Mittel zur effektiven Durchsetzung der Kontaktbeschränkungen nicht ersichtlich ist. Zudem ist die zu bewältigende Gefahrenlage, insbesondere durch die infektiösere und gefährlichere Virusvariante B.1.1.7. bedingt, deutlich größer als in der Vergangenheit, sodass die Maßnahmen einschneidender sein müssen.
Es ist selbstverständlich, dass Ausgangssperren das letzte Mittel darstellen müssen. Wir als SPD-Fraktion drängen daher auch auf einen Ausbau der Produktion von Tests und Impfstoffen und eine effizientere Kontaktnachverfolgung durch bundesweit digitale Anwendungen, sowie eine verbesserte Vernetzung der Gesundheitsämter. Deswegen hat unser Arbeitsminister Hubertus Heil eine Testpflicht durchsetzen können. Arbeitgeber sind nun verpflichtet, ihren Arbeitnehmern einmal pro Woche ein Antigen-Schnelltest zur Verfügung zu stellen.
Ich habe zwar auch einige Zweifel, beispielsweise hinsichtlich fehlender bundeseinheitlicher Einreisebestimmungen an den Außengrenzen oder dem Fehlen einer Testpflicht für Arbeitnehmer. Dennoch haben wir nun eine befriedigendere Lösung geschaffen, als dies zuvor mit chaotischen, durch das Grundgesetz nicht vorgesehenen Ministerpräsidentenkonferenzen ohne Einbezug des Parlaments und mit Bundesländern, die ihre Maßnahmen lockern, der Fall war. Deshalb bin ich der Überzeugung, dass die Änderung des Infektionsschutzgesetzes notwendig war und hierdurch die Pandemie bundeseinheitlich und damit effizienter bewältigt werden kann.