Beate Walter-Rosenheimer
Beate Walter-Rosenheimer
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von Mathias G. •

Wie begründen Sie die Verhältnismäßigkeit einer allgemeinen Impfpflicht angesichts der tatsächlichen Auslastung der Krankenhäuser und Intensivstationen mit COVID-Patienten?

Sehr geehrte Frau Walter-Rosenheimer,
Das Bundesministerium für Gesundheit resümiert in seinem Abschlussbericht für das Jahr 2020, dass im Jahresdurchschnitt für COVID-19-Patienten in den deutschen Krankenhäusern "...2% aller Betten und knapp 4% der Intensivbetten benötigt wurden,..." (Seite 4)
(https://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/3_Downloads/C/Coronavirus/Analyse_Leistungen_Ausgleichszahlungen_2020_Corona-Krise.pdf)
Die Zusammenfassung des Berichts: "Die Mitglieder des Beirats betonten, dass die Pandemie zu keinem Zeitpunkt die stationäre Versorgung an ihre Grenzen gebracht hat."
https://www.bundesgesundheitsministerium.de/presse/pressemitteilungen/2021/2-quartal/corona-gutachten-beirat-bmg.html
Die Daten für 2021 sind ähnlich.
(https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1181959/umfrage/intensivmedizinische-behandlungen-von-corona-patienten-in-deutschland/)
Ist angesichts dieser Daten Ihrer Ansicht nach die Verhältnismäßigkeit einer Impfpflicht gegeben?

Beate Walter-Rosenheimer
Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr G.,

gestern stimmte der Deutsche Bundestag zum Thema Impfpflicht ab und ich habe gegen die Einführung einer Impfpflicht votiert. Ich betone aber, dass ich die Impfungen wirkungsvoll, wichtig und richtig finde.

Bei diesem Thema gibt es für mich keine einfache und schnelle Antwort und ich habe alle Argumente immer wieder sehr ernsthaft gegeneinander abgewogen. Meine Einschätzung ist auch abhängig von der jeweiligen pandemischen Lage.
Grundsätzlich bin ich nicht dafür, dass der Staat so weit in die freie Entscheidung des Einzelnen eingreift. Denn eine Impfpflicht stellt zweifelsohne einen Eingriff in das Grundrecht der körperlichen Unversehrtheit nach Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG dar. Einschränkungen dieses Grundrechts müssen gut begründet sein.

Seit Beginn der Pandemie hatten wir zahlreiche schwere und schwerste Verläufe in den Krankenhäusern und auf den Intensivstationen, viele Tausend Tote, das Pflegepersonal und die Ärzt*innen waren am Belastungslimit. Die Einschränkungen zur Pandemieeindämmung waren für alle hart. Lockdowns, Kontaktverbote, Ausgehbeschränkungen usw. Die Verfügbarkeit der zugelassenen Impfstoffe schien ein Ausweg aus den ständigen Lockdowns, aus den Kita- und Schulschließungen, der Überlastung der Eltern und dem Leid, der Einsamkeit in Senioren und Pflegeheimen zu sein. Und aus den schweren psychosozialen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Folgen der andauernden Maßnahmen.

Und die Impfung hat sich durchaus als wirksam erwiesen. Ich habe mich gern impfen und auch boostern lassen und möchte alle Menschen ermutigen, diesen Schritt zu gehen. Denn die Impfung schützt in aller Regel vor schweren Verläufen und Tod und minimiert die Einweisungen in ein Krankenhaus oder auf eine Intensivstation. So trägt die Impfung zur Entlastung der angespannten medizinischen Situation bei. Aus diesem Grund habe ich mich seit einigen Monaten, als klar war, dass die Impfquote in Deutschland eher niedrig sein würde, für eine allgemeine Impfpflicht ab 18 Jahren ausgesprochen. Auch heute ist die Impfquote noch deutlich geringer ist als in vielen unserer Nachbarländer. Von einer möglichst hohen Impfquote versprach ich mir ein baldiges Ende der Maßnahmen für alle und eine Rückkehr zur „Normalität“.

Omikron hat für mich die Situation verändert. Die Verläufe sind milder, es erkranken weniger Menschen schwer und es müssen weniger Patient*innen auf Intensivstationen verlegt werden. Viele Argumente für eine Impfpflicht wurden durch Omikron entkräftet. Denn auch Geimpfte können andere infizieren, da alle zugelassenen Impfstoffe gegen SarsCov-2 keine sterile Immunität gewährleisten. Dennoch schützen die Impfungen gut vor schweren Erkrankungen, das will ich betonen. Dazu gibt es mittlerweile valide Studienergebnisse. Die Impfpflicht müsste darüber hinaus eine drittschützende Wirkung entfalten. Die staatliche Schutzpflicht bezieht sich ausdrücklich nicht auf eine Selbstgefährdung.

Die wissenschaftlichen Erkenntnisse, die für eine Erfüllung der Schutzpflicht des Staates durch eine Impfpflicht sprechen, sind -allein schon aufgrund einer noch nicht ausreichenden Datenlage- bisher noch unklar. Außerdem sehe ich eine deutliche Erhöhung der Impfquote, aufgrund einer Impfpflicht ab 60 Jahre, als nicht gesichert an. Aus diesen Gründen halte ich eine Impfpflicht zum jetzigen Zeitpunkt -und vorbehaltlich der noch unklaren Prognosen für den nächsten Herbst- für nicht geeignet. Ich schließe sie aber ausdrücklich nicht für alle Zeiten aus. Und ich weise noch einmal darauf hin: Die Impfungen sind wirkungsvoll. Deshalb appelliere ich an alle Menschen, sich impfen zu lassen.

Ich danke meiner Fraktion für die Möglichkeit einer ergebnisoffenen und konstruktiven Debatte. Ich bin froh, dass diese Abstimmung als Gewissensentscheidung anerkannt wurde.

Viele Grüße
Beate Walter-Rosenheimer

 

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