Welche Erkenntnis haben Sie, in Ihrer Rede am 27.1. Anläßlich des Gedenktages zu formulieren, daß Antisemitismus die gesamte Gesellschaft erfaßt. Dagegen verwahre ich mich.
Sehr geehrte Frau L.,
vielen Dank für Ihre Frage. Da Sie sich auf meine Aufgaben als Bundestagspräsidentin beziehen, antworte ich Ihnen nicht in meiner Funktion als Abgeordnete, sondern als Vertreterin des Verfassungsorgans Deutscher Bundestag und der Gesamtheit seiner Mitglieder sowie dank der Zuarbeit der Bundestagsverwaltung:
Antisemitische Denk- und Einstellungsmuster finden sich keineswegs nur bei Menschen mit geschlossenen extremistischen Weltbildern. Das ist wissenschaftlich gut dokumentiert. Antisemitismus tritt heute in unterschiedlichen Erscheinungsformen auf und speist sich aus unterschiedlichen Quellen. Einen guten Überblick bietet der hier verlinkte Beitrag auf den Seiten der Bundeszentrale für politische Bildung:
Entsprechend habe ich auch die Ergebnisse der empirischen Sozialforschung in meine Rede anlässlich des diesjährigen Gedenktages für die Opfer des Nationalsozialismus einfließen lassen. Beispielsweise die Leipziger Autoritarismusstudie von 2020, die unter dem Titel „Autoritäre Dynamiken“ von Oliver Decker und Elmar Brähler herausgegeben wurde. Dort äußern teilweise mehr als zwei Drittel der Befragten Zustimmung zu bestimmten Teilaspekten antisemitischen Denkens. Das bedeutet nicht, dass die deutsche Gesellschaft mehrheitlich manifest antisemitisch eingestellt ist. Angesichts der hohen Zahl von antisemitisch motivierten Straf- und Gewalttaten werden die vorhandenen antisemitischen Vorurteile aber zu einem gesamtgesellschaftlichen Problem, das gemeinsam angegangen werden muss.
Abschließend möchte ich darauf hinweisen, dass Sie selbstverständlich die Möglichkeit haben, auch auf direktem Weg mit dem Deutschen Bundestag, seinen Abgeordneten oder mir als seiner Präsidentin Kontakt aufzunehmen. Zum Beispiel über: https://www.bundestag.de.
Mit freundlichen Grüßen
Bärbel Bas