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Bärbel Bas
SPD
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Frage von Brigitte S. •

Warum gibt es keinen offenen Diskurs der SPD zur Lieferung schwerer Waffen in die Ukraine?

Ich bin von realitätsfremden Ostpolitik der SPD zutiefst enttäuscht.

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SPD

Sehr geehrte Frau S.,

vielen Dank für Ihre Frage.

Der brutale und völkerrechtswidrige Angriffskrieg, den Präsident Putin gegen die Ukraine führt, markiert einen Zivilisationsbruch: Er richtet sich mit menschenverachtender Grausamkeit und verbrecherischen Mitteln gegen die Menschen in der Ukraine. Und er zerstört die über Jahrzehnte entwickelte europäische Friedensordnung. Was wir gerade erleben, ist eine Zeitenwende. Das bedeutet, dass wir uns dieser veränderten Realität stellen müssen und somit auch unsere bisherige Politik kritisch bewerten und strategisch neu ausrichten müssen. Das tut die Bundesregierung unter Führung von Bundeskanzler Olaf Scholz und auch die SPD.

Unsere bisherige Politik gegenüber Russland beruhte auf der Annahme und der Hoffnung, dass durch gegenseitige wirtschaftliche Beziehungen und Abhängigkeiten dauerhaft der Frieden in Europa gesichert werden kann. Wir müssen aber leider zur Kenntnis nehmen, dass Präsident Putin entgegen dieser Rationalität handelt und seine aggressive, expansive Ideologie über das Wohlergehen seines Landes stellt.

Auch müssen wir leider zur Kenntnis nehmen, dass Präsident Putin seine ständigen Verhandlungsangebote und die Beteiligung an diplomatischen Lösungen nicht ernst gemeint hat. Gerade Frankreich und Deutschland haben sich lange um Deeskalation bemüht und unzählige Versuche unternommen diplomatisch Lösungen zu finden. Auf deutscher Seite waren es insbesondere Bundeskanzler Olaf Scholz und Außenministerin Annalena Baerbock, die bis zuletzt alles für eine diplomatische Lösung des Konflikts getan haben. Dabei hat Deutschland sich stets eng mit den anderen europäischen sowie den transatlantischen Partnern abgestimmt. So hat sich die Bundesregierung während des russischen Truppenaufwuchses an der ukrainischen Grenze unablässig dafür eingesetzt, einen Krieg zu verhindern. Auch die USA und die NATO haben in dieser Zeit gegenüber Russland weitreichende, neue Verhandlungsangebote gemacht. Da ging es etwa um Transparenz, vertrauensbildende Maßnahmen und Rüstungskontrolle. Das bleibt richtig. Heute wissen wir jedoch, dass Präsident Putin den Krieg wollte.  

Es gibt daher weder für meine Kolleginnen und Kollegen in der SPD-Bundestagsfraktion noch für mich einen Zweifel daran, dass Deutschland solidarisch an der Seite der Ukraine steht. Als Konsequenz auf den russischen Angriffskrieg hat die Bundesregierung harte und konsequente Sanktionen erlassen. Zudem unterstützt Deutschland in Absprache mit den Verbündeten und Partnern die Ukraine mit finanziellen Hilfen, massiver humanitärer Hilfe und auch durch Waffenlieferungen. In der Frage der Waffenlieferungen an die Ukraine hat Deutschland direkt nach dem Angriff einen Paradigmenwechsel vollzogen: Wir haben die bisherige Praxis Deutschlands, keine Waffenexporte in das Kriegsgebiet zuzulassen, geändert. Deutschland liefert ebenso wie viele andere westliche Verbündete Waffen an die Ukraine, damit sich das Land gegen den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg verteidigen kann, um seine Freiheit und seine Demokratie zu bewahren.

Dementsprechend hat Deutschland aus dem Bestand der Bundeswehr geliefert, was lieferbar war. Darunter Panzerfäuste, Flugabwehrraketen und Maschinengewehre sowie Munition, außerdem geschützte Fahrzeuge, Nachtsichtgeräte und persönliche Schutzausrüstung für die Soldatinnen und Soldaten der Ukraine.

Zudem ermöglicht es Deutschland per „Ringtausch“, dass in Abstimmung mit osteuropäischen NATO-Partnern, schwere Waffen sowjetischer oder russischer Bauart an die Ukraine geliefert werden, die sofort einsetzbar sind. Gleichzeitig haben wir unseren Partnern zugesagt, diese Waffen sukzessive durch westliche Waffensysteme zu ersetzen.

Darüber hinaus prüfen wir, in enger Abstimmung mit der deutschen Industrie, welche Lieferungen aus deren Bestand möglich sind. Die Ukraine lässt sich dann direkt von deutschen Rüstungsfirmen beliefern und Deutschland zahlt für diese Bestellungen. Bundeskanzler Olaf Scholz hat dafür gesorgt, dass zwei Milliarden Euro als Rüstungshilfe für Partnerländer zur Verfügung gestellt werden – zum großen Teil zugunsten der Ukraine.

Gleichzeitig hat die Bundesregierung dafür gesorgt, dass unsere Bündnispartner jeweils sehr zeitnah die notwendigen Genehmigungen erhalten, wenn sie Waffen an die Ukraine liefern wollen, für die eine solche deutsche Genehmigung nötig ist. Dies ist nach den deutschen Gesetzen notwendig bei (Weiter)Lieferungen von in Deutschland hergestellten Waffen oder altem Gerät der Nationalen Volksarmee der DDR (NVA). So konnten bisher etwa Haubitzen und gepanzerte Truppentransporter aus NVA-Beständen sowie Panzerfäuste an die Ukraine geliefert werden.

Die NATO-Partner haben angesichts der veränderten Kriegslage entschieden, dass die Ukraine westliche Artillerie zur Verfügung gestellt bekommt. Dabei handelt es sich vorwiegend um gezogene Haubitzen. Wir unterstützen die Lieferung von Haubitzen durch die Niederlande mit der Lieferung von Artilleriemunition, die bei unseren Partnern nur begrenzt vorhanden ist – und durch die Ausbildung der ukrainischen Soldatinnen und Soldaten an diesen Systemen. Auch die Genehmigung für die Lieferung von Gepard-Flugabwehrsystem und Panzerhaubitzen passt zur bisher klaren Linie der Bundesregierung. Wir liefern, was machbar und was einsetzbar ist.

Dabei folgen alle Lieferungen unseren zentralen Grundsätzen: Sie sind mit unseren europäischen und transatlantischen Partnern abgestimmt, schwächen nicht die Verteidigungsfähigkeit der Bundeswehr und machen die Nato nicht zur Kriegspartei.

Fest steht, dass es kein Drehbuch gibt, das der Politik den Weg weist, den sie angesichts von Putins Überfall zu beschreiten hat. Im Rahmen unserer Grundsätze, die Ukraine zu unterstützen, ohne dabei selbst Kriegspartei zu werden und der Einhaltung der eidlichen Verpflichtung der Bundesregierung (Art. 56 GG) Schaden von der deutschen Bevölkerung abzuwenden, müssen immer wieder situative Neubewertungen vorgenommen. Überhitzte und vereinfachende Debatten, z.B. über die Lieferung „schwerer Waffen“, können einer differenzierten Diskussion nicht gerecht werden, da in den Abwägungsprozess der Bunderegierung auch vertrauliche Aspekte einfließen. Eine zentrale Aufgabe der Politik bleibt in den kommenden Wochen und Monaten, die Bürgerinnen und Bürger an den schwierigen Abwägungsprozessen teilhaben zu lassen, soweit dies möglich ist. Die Kommunikation von Besonnenheit und mitunter auch des eigenen tastenden Zweifelns ist auch und gerade in Krisenzeiten Ausdruck eines der Sache angemessenen demokratischen Stils. Olaf Scholz trifft deshalb seine Entscheidungen auch in diesen schwierigen Zeiten mit kühlem Kopf.

Bundeskanzler Olaf Scholz hat zudem stets sehr deutlich gemacht, dass er den russischen Angriffskrieg verurteilt und Präsident Putin aufgefordert den Krieg zu beenden. Allerdings machen wir uns über Putins Bereitschaft, seine laufenden Aggressionen auf dem Verhandlungswege zu beenden keinerlei Illusionen. Dennoch ist Bundeskanzler Olaf Scholz weiterhin bereit, Versuche zu unternehmen, über Gespräche zu einer Beendigung des Krieges beizutragen. Mit der Ukraine sind wir im intensiven Austausch zu der Frage, wie wir nach Beendigung des Krieges durch Sicherheitsgarantien künftige Angriffe verhindern können.

Ganz klar ist aber jetzt schon: Als Folge des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine wird sich in Deutschland, der EU und weltweit die Politik ändern. Wir werden unsere Fähigkeiten zur Verteidigung unseres Landes und des NATO-Bündnisgebiets deutlich verbessern, indem wir die Bundeswehr grundlegend ertüchtigen. Unsere Handelsbeziehungen und die Energieversorgung auf Störanfälligkeit und Abhängigkeiten überprüfen und - wo nötig mit Blick auf größere Diversifizierung – Anpassungen vornehmen. Gemeinsam mit unseren Partnern werden wir uns nationalistischen und expansiven Ideologien entgegenstellen. Denn für uns gilt: Wir werden unsere Demokratie und unsere Freiheit verteidigen.

Auch ist es wichtig, Entscheidungen zu hinterfragen, die in den vergangenen Jahrzehnten in der deutschen Russlandpolitik getroffen worden sind. Denn wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass der Doppelansatz aus Druck bzw. Sanktionen und Dialogangeboten nach der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim 2014 Präsident Putin nicht von seinem jetzigen groß angelegten Angriffskrieg abgehalten hat. Auch die Verhandlungsbemühungen Deutschlands und Frankreichs zur Lösung des Konflikts in der Ostukraine waren letztlich erfolglos. Unsere Versuche, die Tür zu Russland offenzuhalten und unsere Signale zur Dialogbereitschaft haben nicht wie erhofft Früchte getragen. Wir müssen nun notgedrungen nach anderen Wegen suchen, um die demokratischen Kräfte in Russland nicht alleine zu lassen.

Sehr geehrte Frau S.,

aus den Gräueltaten des Zweiten Weltkrieges für die Deutschland die Verantwortung trägt, hat die SPD die Lehren gezogen: Nie wieder Krieg. Nie wieder Völkermord. Nie wieder Gewaltherrschaft. Daraus folgt für uns in der gegenwärtigen Lage, dass wir die Ukraine in ihrem Kampf gegen dem Aggressor Russland auch mit der Lieferung schwerer Waffen unterstützen. Für die SPD und auch für Bundeskanzler Olaf Scholz ist ganz klar, auch mit Blick auf die Freiheit und die Sicherheit Europas: Die Ukraine darf den Krieg nicht verlieren. Putin darf den Krieg nicht gewinnen.

Mir ist es wichtig, Ihnen in dieser Ausführlichkeit zu antworten, denn die geschilderten Maßnahmen mit denen Deutschland den Freiheitskampf der Ukraine unterstützt, sind Ergebnis von Debatten und komplexen Abwägungsprozessen, die wir innerhalb der Bundesregierung führen, aber auch innerhalb der SPD und der SPD-Bundestagsfraktion. Debatten wurden und werden in der SPD lebhaft und offen geführt, daran wird sich auch in Zukunft nichts ändern. So werden wir auch die Fehler der Vergangenheit im Umgang mit Russland hinterfragen und diese aufarbeiten. Eine Neuausrichtung der Ostpolitik der SPD, die stärker auf eine Kooperation mit unseren osteuropäischen Verbündeten setzt, hat unser SPD-Vorsitzender Lars Klingbeil bereits angekündigt. Die parteiinterne Kommission Internationale Politik soll in den kommenden Monaten die künftigen Grundsätze sozialdemokratischer Außen- und Sicherheitspolitik bestimmen.

Abschließend möchte ich darauf hinweisen, dass Sie selbstverständlich die Möglichkeit haben, auch auf direktem Weg mit dem Deutschen Bundestag, seinen Abgeordneten oder mir Kontakt aufzunehmen. Zum Beispiel über: https://www.bundestag.de.

Mit freundlichen Grüßen

Bärbel Bas

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