Guten Tag, Frau Bas, ich bin Duisburger und habe mit Erschrecken und entsetzen die Machenschaften der katholischen Kirchen zur Kenntnis genommen. Nun frage ich mich (und Sie) wann endlich diese -aber
auch die evengelische Kirche-vollständig vom Staat, und damit ihrer unsäglichen Machenschaften getrennt wird. Ist es möglich, gerade in der aktuellen Situation, sämtliche staatlichen Zuwendungen an die kath. Kirche auszusetzen? Mit gegangen, mit gehangen- schade um die Redlichen, aber wenn schon der Stellvertr. Christi lügt: Wer braucht dann noch diesen Club? Mir ist klar, dass Sie allein nicht viel werden ausrichten können, aber schön wäre, viele Mitstreiter zu finden; dennoch frage ich, was Sie denn in diesem Fall tun; eine Änderung des Grundgesetzes? Freundliche Grüße, Hartmut S.
Sehr geehrter Herr S.,
vielen Dank für Ihre Mail. Sie sind sicher nicht der einzige, den die Kirche in diesen Tagen bewegt.
Ich kann Ihre Empörung sehr gut nachempfinden. Das unabhängige juristische Gutachten zum sexuellen Missbrauch im katholischen Erzbistum München und Freising zeigt einmal mehr auf schockierende Weise, welche Dimensionen sexualisierte Gewalt und Missbrauch an Kindern und Jugendlichen innerhalb der katholischen Kirche haben. Ebenso wie das systematische Verleugnen, Vertuschen und Ignorieren von kirchlichen Verantwortungsträgerinnen und Verantwortungsträgern im Umgang damit. Besonders erschreckend finde ich aber das Desinteresse der Täterinnen und Täter an den Betroffenen und dem ihnen zugefügten Leid. Dabei decken die bisher veröffentlichten Gutachten nur die nachweisbaren Fälle ab, nicht auszudenken wie viele Einzelschicksale noch im Dunkeln liegen. Die Aufklärung muss daher dringend fortgeführt werden. Das hat jedes einzelne der Opfer verdient. Fest steht, dass nach der Stellungnahme von Kardinal Marx den Worten auch Taten folgen müssen. Die notwendigen strukturellen Reformen sind unverzichtbar, gerade auch im Hinblick auf die Zukunft der Institution Kirche in Deutschland.
Die Kirchen können die Verbrechen ihrer Vertreterinnen und Vertreter selbstverständlich nicht selbst aufklären, dafür gibt es unseren Rechtstaat. Wo sich auch heute noch Anhaltspunkte für verfolgbare Taten ergeben, müssen die zuständigen Strafverfolgungsbehörden diese selbstverständlich ermitteln und konsequent verfolgen. Derzeit prüft die Justiz, ob die Ergebnisse des Münchner Gutachtens strafrechtlich relevant sind.
Darüber hinaus braucht es dringend eine unabhängige und ausreichend ausgestattete Selbstorganisation der Betroffenen, um die nötige Augenhöhe mit den Kirchenvertreterinnen und Kirchenvertretern zu schaffen. Denn es kann nicht sein, dass dem Schutz der Organisation Kirche mehr Bedeutung beigemessen wird als dem Schutz der Menschen. Transparenz und Unabhängigkeit müssen daher unbedingt gestärkt werden. Die Betroffenen müssen mehr Unterstützung bekommen.
Für uns als SPD ist ganz klar, dass der Staat beim Kampf gegen sexualisierte Gewalt an Kindern und Jugendlichen stärker gefordert ist und bessere Voraussetzungen für eine staatliche Aufarbeitung schaffen muss. Daher hat sich die neue Ampel-Koalition vorgenommen, die unabhängige Aufarbeitungskommission beim Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs aufzuwerten und ihr mehr Mittel zur Verfügung zu stellen. Dazu soll deren Arbeit gesetzlich geregelt werden und eine regelmäßige Berichtspflicht an den Deutschen Bundestag eingeführt. Damit wollen wir auch die parlamentarische Begleitung des Aufarbeitungsprozesses sicherstellen.
Bereits in der letzten Wahlperiode hat die SPD in der Bundesregierung maßgeblich dazu beigetragen das Gesetz zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder auf den Weg zu bringen. Am 25. März 2021 hat der Deutsche Bundestag das Gesetz zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder beschlossen. Dabei handelt es sich um ein umfassendes Maßnahmenpaket, das auf allen Ebenen ansetzt. Unter anderem schafft es eine deutliche Verschärfung des Strafrechts, effektivere Strafverfolgungsmöglichkeiten sowie eine Stärkung der Prävention und der Qualifikation in der Justiz, um Kinder zukünftig besser vor Missbrauchstaten zu schützen.
Aus Sicht des Bundes gilt: Strafverfolgungsbehörden und Justiz müssen finanziell und personell adäquat ausgestattet sein. Darum haben Bund und Länder in der vergangenen Wahlperiode den Pakt für den Rechtsstaat vereinbart. Er sorgt für neue finanzielle Mittel und Unterstützung des Bundes für die Länder im Bereich der Justiz. Die Länder haben im Rahmen dieses Paktes beispielsweise im richterlichen und staatsanwaltschaftlichen Bereich rund 2.700 Stellen neu geschaffen und inzwischen knapp 2.500 Stellen neu besetzt. Mehr dazu finden Sie unter folgendem Link: https://www.bmj.de/SharedDocs/Artikel/DE/2021/0610_Rechtsstaat.html. Die neue Ampel-Koalition hat es sich jetzt zum Ziel gesetzt, diesen Pakt für den Rechtsstaat zu verstetigen und ihn um einen Digitalpakt für die Justiz zu erweitern.
Mein Kollege Lars Castellucci, Beauftragter für Kirchen und Religionsgemeinschaften der SPD-Bundestagsfraktion, setzt sich seit Jahren sehr engagiert für eine stärkere staatliche Mitverantwortung bei der Aufarbeitung ein. Dazu hat er unter anderem bereits mehrere Treffen mit den Religionsbeauftragten der anderen Fraktionen im Bundestag initiiert und fordert zurecht eine „Kultur des Hinsehens“ bei der Aufarbeitung sexualisierter Gewalt in der gesamten Gesellschaft ein. Diese braucht es, um Missbrauchstaten auch in anderen Bereichen als der Kirche, etwa im familiären Umfeld, im Sport oder in Heimen, aufzuklären.
Ich bin überzeugt, dass die Bundesregierung, wie von Bundeskanzler Olaf Scholz erklärt, die im Koalitionsvertrag vereinbarten Vorhaben zur Aufarbeitung strukturierter sexueller Gewalt an Kindern und Jugendlichen in gesellschaftlichen Gruppen, wie Sportvereinen, Kirchen und der Jugendarbeit nun zügig auf den Weg bringen wird.
Zu Ihrer Frage nach der Finanzierung der Kirchen und der Trennung von Staat und Kirche: Das Grundgesetz räumt den Kirchen ein, sich als Körperschaften öffentlichen Rechts in Deutschland über ihren Mitgliedsbeitrag, die sogenannte Kirchensteuer, zu finanzieren. Anders als Staatsleitungen wird die Kirchensteuer somit nicht dem Staatshaushalt entnommen. Der Staat übernimmt über seine Finanzämter lediglich den Einzug der Steuern, wovon er einen Teil als Hebegebühr, etwa drei Prozent der Einnahmen, einbehält. Insofern bleibt hier die Trennung von Staat und Kirche gewahrt. Ich kann aber sehr gut nachvollziehen, dass der Umgang der Kirchen mit den Missbrauchsfällen und insbesondere das Verhalten von Vertreterinnen und Vertretern der Kirche gegenüber Betroffenen viele Menschen dazu veranlassen bestehende Regelungen zwischen Staat und Kirche, etwa die Kirchensteuer, die Staatsleistungen an Kirchen und das kirchliche Arbeitsrecht, zu hinterfragen. Grundsätzlich gilt, dass auch das Verhältnis von Staat und Kirche stets neu zu prüfen und zu bewerten ist.
Trotzdem ist mir eines wichtig: Wir dürfen diejenigen, die sich im Rahmen ihrer Arbeit oder ihres Ehrenamtes basierend auf dem christlichen Wert der Nächstenliebe, u.a. in der Seelsorge, in der Flüchtlings- oder Obdachloshilfe engagieren, nicht mit den Täterinnen und Tätern in einen Topf werfen. Auch sollte nicht vergessen werden, dass die Kirchen mit ihren Wohlfahrtsverbänden Caritas und Diakonie einen Großteil sozialer Einrichtungen betreiben und so einen wichtigen gesellschaftlichen Beitrag im Bereich der Krankenpflege, der Asylarbeit oder der Behindertenhilfe leisten.
Mit freundlichen Grüßen
Bärbel Bas