Frage an Bärbel Bas von Sven D. bezüglich Soziale Sicherung
Sehr geehrte Frau Bas,
wie stehen Sie zu der von der Bundesregierung geplanten Abschaffung der Koalitionsfreiheit, die auch Spezialgewerkschaften (z.B. Cockpit marburger bund) nach Paragraph 9 Grundgesetz zugestanden wird?
Mit freundlichen Grüßen
Dr. med. Sven Dreyer
Sehr geehrter Herr Dr. Dreyer,
lassen Sie mich eingangs betonen: Die SPD begrüßt prinzipiell gewerkschaftliches Engagement und die Vertretung von Arbeitnehmerinteressen und auch die angestellten Ärzte haben selbstverständlich berechtige Anliegen an ihre Arbeitsbedingungen.
Gleichzeitig möchte ich betonen, dass wir in der SPD-Bundestagsfraktion die Tarifautonomie als Grundpfeiler der sozialen Marktwirtschaft ansehen, die sich aus gesellschaftlicher, sozialer und ökonomischer Sicht bewährt hat. Die Tarifeinheit trägt zur Aufrechterhaltung des Betriebsfriedens bei und ist ein wichtiger Beitrag für die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie. Das Prinzip „Ein Betrieb ein Tarifvertrag“ hat sich gerade in der Krise durch die abgeschlossenen Regelungen zur Durchführung der Kurzarbeit und zur Beschäftigungssicherung bewährt. Auch die Konflikte um Löhne und Arbeitszeiten sollen nach unserer Sicht geordnet ausgetragen werden. Im Sinne der Wettbewerbsfähigkeit ist es nach unserer Ansicht nicht zumutbar, dass sich Arbeitgeber selbst nach Abschluss eines Tarifvertrags unmittelbar wieder mit möglichen Streiks oder neuen Forderungen einer anderen Beschäftigtengruppe konfrontiert werden.
Wir haben in Deutschland gute Erfahrungen gemacht mit der faktischen Tarifeinheit. Verbands- und Flächentarifverträge halten den Konflikt um Löhne und Arbeitszeiten von Betrieben fern, indem sie auf die Verbände verlagert wurden. In Auseinandersetzungen um Flächentarifverträge können Mitglieder stärkerer Betriebe gute Tarifstandards auch für Mitglieder schwächerer Betriebe durchsetzen. Lange Zeit ging auch das Bundesarbeitsgericht davon aus, dass in jedem Betrieb nur ein Tarifvertrag gelten kann. Bei Konkurrenz zwischen mehreren Tarifverträgen kam bisher der Tarifvertrag zur Anwendung, der räumlich, fachlich und persönlich dem Betrieb am Nächsten stand und deshalb den Erfordernissen und Eigenarten des Betriebs und der darin tätigen Arbeitnehmer am besten Rechnung trug.
Mit der jüngsten Entscheidung des Bundesarbeitsgerichtes wurde die bisherige Rechtsprechung bezüglich der Tarifeinheit aufgegeben. Künftig können – falls für einen Betrieb mehrere Tarifverträge mit unterschiedlichen Gewerkschaften abgeschlossen wurden – für die jeweiligen Gewerkschaftsmitglieder die Tarifverträge nebeneinander gelten. Ähnlich wie das Land Rheinland-Pfalz sehen wir in einer Interessenaufsplitterung der einzelnen Beschäftigtengruppen im Betrieb keine Lösung. Stattdessen sehen wir die Funktionsfähigkeit des Tarifvertragssystems durch die parallele Geltung mehrerer Tarifverträge im Betrieb gefährdet.
Dies würde nach Meinung der SPD-Bundestagsfraktion der Ordnungsfunktion von Tarifverträgen nicht gerecht werden, sondern eher Verwirrung stiften. Wir teilen ausdrücklich die Sorge des Deutschen Gewerkschaftsbundes und der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände um die Schwächung der Tarifautonomie in Deutschland. Deshalb sind wir davon überzeugt, dass eine Zersplitterung verhindert werden muss. Nichtsdestotrotz werden wir deren gemeinsamen Gesetzesvorschlag sorgfältig prüfen und sachverständig beraten lassen.
Einer funktionierenden Partnerschaft zwischen Gewerkschaften und Unternehmerverbänden in ganz Deutschland darf nicht durch Tarifpluralität die Grundlage entzogen werden. Wenn es in einem Betrieb mehrere Tarifverträge gibt, bedeutet dies die Spaltung von Belegschaften, eine Schwächung der Tarifautonomie und einen Rückgang der Tarifbindung. Dies ist nicht in unserem Interesse.
Mit freundlichen Grüßen
Bärbel Bas