Frage an Antonia Mertsching von Michael W. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Liebe Antonia Mertsching,
Danke für die ausführliche Antwort.
Natürlich berücksichtige ich das bei meiner Stimmabgabe zur Wahl.
Es ist inzwischen sogar so, dass das Land in Bezug auf den Ausbau des Hochschulstandorts in der Planung weit fortgeschritten ist, wohingegen es die Kommune in Bezug auf die Planung der Neubauten, die allein durch den Hochschulausbau notwendig werden, im Regen stehen. So musste die Kommune jemanden anstelle, der imstande ist, sich soweit hineinzuarbeiten, dass er die notwendigen 25 EU-Ausschreibungen für die Planung (noch nicht Ausführung) der Neubauten bewerkstelligen kann. Damit ist es aber nicht getan, denn schafft man es nicht, einen EPC-Contraktor und Kontrakt-Betreuer zwischenzuschalten, droht Rothenburg eine Berliner Flughafen-Projekt im Kleinen. Wo ist da die Win-Win-Situation? Die Stadt muss sich für die Neubauten sogar verschulden – und das ist diese Stadt, pro Einwohner gerechnet, bisher ausnahmsweise nur in einem geringem Umfang -, dann aber mit mindestens 5 Millionen Euro gesamt über das erlaubte Maß hinaus.
Ist Ihnen all das bekannt?
Ich bin ja FÜR das Vorhaben – jedoch auch für eine tatsächliche Realisierbarkeit.
Mit freundlichem Gruß
M. W.
Lieber Herr W.,
Da ich in der ersten Antwort nicht auf alles eingegangen bin, haken Sie nochmal konkret nach - sehr gut. Dazu komtm auch hier nun eine ausführliche Antwort :)
Die Stadt Rothenburg bekommt mit der PHS 200 Plätze plus Personal als zusätzliche "Rothenburger Einwohner" + 1 neue Oberschule mit Sporthalle + 1 neues Bürgerzentrum. Für die Projekte gibt es Fördermittel - auch wenn die Höhe nicht klar ist. Die kann noch nicht klar sein, weil der Projektumfang noch nicht klar ist und demzufolge noch kein konkreter Antrag gestellt wurde.
Es hätte auch anders laufen können: In der Diskussion war die Konzentration der PHS an größeren Ausbildungsstandorten - beispielsweise an der VwHS Meißen. Die hätten sich gefreut. Die Erweiterung in Rothenburg war bereits ein Bekenntnis.
Nach langen Jahren mehrfach gescheiterter Investitionsversprechen auf dem Flughafen Rothenburg ist diese Erweiterung eine handfeste realistische Investition. Die bringt keine "1000 neuen Arbeitsplätze" - wie eine imaginäre chinesische Autofabrik - aber sie stärkt einen vorhandenen Standort. Das ist mehr als Rothenburg wirtschaftlich in den letzten Jahren bekommen hat. Also - ich würde da alle Ressourcen in die Projektabwicklung werfen.
Und natürlich muss Rothenburg auch Eigenmittel erbringen und "sich verschulden". Was spricht dagegen? Staatliche Schulden sind nichts fürchtlich Schlimmes. Mit der Ausrechnung der Pro-Kopf-Verschuldung von Kommunen, mit Verschuldungs-Rankings, mit Schuldenbremsen in Verfassungen, mit dem Slogan "Belastung nachfolgender Generationen" etc. wurde ein "System der Schwarzen Null" propagiert - aber wozu? Die Schwarze Null ist eine ökonomische Fehlentwicklung und die Ursache für den Abbau so genannter freiwilliger Leistungen in den Kommunen, für marode Schulen, Brücken, fehlende Kita-Plätze, steigende Mieten und für den Ausverkauf kommunalen Eigentums.
Dagegen gilt:
1. Investitionen in Bildung/Wirtschaft kommen vielen Generationen zugute - sie belasten sie nicht sondern sind Voraussetzung für ein gutes Leben nachfolgender Generationen (Stichwort Daseinsvorsorge).
2. In einer Niedrigzinsphase ist eine Kreditaufnahme ("Verschuldung") äußerst attraktiv. Es ist eigentlich grob fahrlässig, jetzt nicht zu investieren.
Der Freistaat soll nämlich keine Almosen verteilen. Er soll Kommunen befähigen, wirtschaftlich selbstbestimmt zu handeln. Man kann sich nämlich für ein Eisstadion oder ein Landratsamt verschulden, oder eben für einen Bildungsstandort. Diese Entscheidungen obliegen der Kommune. Diese Freiheit, auch eigene Fehler zu machen, nennt man kommunale Selbstverwaltung. Sie würde beschnitten, gäbe der Freistaat für jedes Projekt 100 % Fördermittel, weil ihm dann die Entscheidungsgewalt über die Sinnhaftigkeit der Projekte obliegen würde. Deshalb haben wir mehr "Spaßbäder", als wir brauchen oder überdimensionierte Gewerbegebiete oder Müllverbrennungsanlagen. Dafür gab es eben Fördermittel - die konnte man nehmen und bauen, oder sie verfallen lassen - egal, wie sinnhaft die Investition konkret vor Ort war. Dafür blieb anderes jahrelang liegen und verfiel - weil es gerade kein Förderprogramm gab und die Haushaltssituation eine Kreditaufnahme unmöglich machte. Wirtschaftlicher Unsinn unseres Erachtens.
Um die Kommunen zu entlasten, muss der Freistaat den Kommunen über den allgemeinen Finanzausgleich im Land insgesamt mehr Mittel zur Verfügung stellen. Der Freistaat darf auch nicht - ebenso wie der Bund - Gesetze beschließen, deren Kosten dann von der kommunalen Ebene getragen werden. Und er könnte Förderprogramme pauschalieren und vereinfachen (enge Zweckbindung überwinden) oder über Regionalfonds (Uralt-Forderung der Linken) zusätzliche Fonds aufbauen, über die dann in der Region bestimmt wird.
In der PHS Rothenburg sehen wir eine Chance für Rothenburg, sich fit zu machen für die Bewältigung kommender größerer Vorhaben. Auch eine zusätzliche Stelle im Rathaus dafür wäre richtig, denn wenn das alles nebenbei erledigt werden könnte, dann hätten die Leute ja bisher nichts zu tun gehabt, oder? Eine Stadtverwaltung, die ein Millionenprojekt erfolgreich gestemmt hat, ist selbstbewusster weil erfahrener bei der Bewerbung für Folgeprojekte. Auch deshalb ist die Erweiterung eine Win-Win-Situation. D.h. nicht, dass Rothenburg alles geschenkt bekommt. Bei Win-Win engagieren sich nämlich Beide - und gewinnen dadurch.
Ich grüße Sie herzlich - Antonia Mertsching