Frage an Antje Tillmann von Eva W. bezüglich Wissenschaft, Forschung und Technologie
Sehr geehrte Frau Tillmann,
mich würde interessieren, wie Sie zu dem Thema Stammzellenforschung stehen? Befürworten Sie eine Verlängerung der Stichtagsregelung für den Gebrauch embryonaler Stammzellen?
Mit freundlichen Grüßen,
Eva Wenniges
Sehr geehrte Frau Wenniges,
bitte entschuldigen Sie, dass ich erst so spät antworte. Die letzten Wochen waren geprägt von intensiven Diskussionen um die Zukunft der Stammzellenforschung. Sowohl auf dem Bundesparteitag der CDU aber auch in der Fraktion haben wir intensiv diese für mich persönlich wichtige Frage erörtert. Zu bedenken ist dabei, dass es zum Selbstverständnis unserer christlich-demokratischen Partei gehört, das menschliche Leben zu jedem Zeitpunkt seiner Existenz zu schützen. Die Achtung vor der unantastbaren Würde des Menschen hat für uns Vorrang vor der Freiheit der Forschung oder der Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit des Standortes Deutschland. Nicht zuletzt wegen der Stellungnahmen des Bundesverbandes der evangelischen Behindertenhilfe und der Bundesvereinigung Lebenshilfe habe ich mich entschlossen auf dem Bundesparteitag in Hannover nachfolgendem Antrag zuzustimmen Sowohl der Behindertenverband als auch die Vereinigung Lebenshilfe haben sich gegen die Verlängerung der Stichtagsregelung ausgesprochen. Die evangelische Behindertenhilfe lehnt die Streichung der Stichtagsregelung ab. „Dies wäre ein Verstoß gegen die Menschenwürde.“ Der Bundesverband der Lebenshilfe hat die Abgeordneten des Deutschen Bundestages aufgefordert „das Stammzellengesetz unangetastet zu lassen.“
Initiativantrag
Der Bundesparteitag möge beschließen:
Die CDU Deutschlands begrüßt, dass durch den vor wenigen Tagen publizierten Nachweis pluripotenter Stammzellen, die direkt aus Zellen geborener Menschen gewonnen werden können und die Eigenschaften embryonaler Stammzellen aufweisen (induzierte pluripotente Stammzellen, iPS-Zellen), eine neue und ethisch unproblematische Alternative zu menschlichen embryonalen Stammzellen besteht. Die naturwissenschaftlichen Eckdaten, auf deren Basis die vor einem Jahr begonnene Diskussion um das Stammzellgesetz stattfindet, haben sich damit grundlegend verändert. Die CDU Deutschlands stellt fest, dass mit den jetzt nachgewiesenen pluripotenten menschlichen iPS-Zellen sowie mit pluripotenten menschlichen Stammzellen aus Nabelschnurblut und Fruchtwasser ein vielversprechender weiter Bereich der Grundlagenforschung mit pluripotenten menschlichen Zellen eröffnet ist, der keinen ethischen Bedenken begegnet und keinen Verboten des Embryonenschutzgesetzes oder des Stammzellgesetzes unterliegt. Insbesondere gestatten die neuen menschlichen iPS-Zellen auch die ethisch unbedenkliche Gewinnung und Untersuchung patientenspezifischer pluripotenter Stammzellen. Zudem erlauben die Vorgaben des Stammzellgesetzes in ausreichendem Maße Grundlagenforschung mit menschlichen embryonalen Stammzellen. Die CDU Deutschlands begrüßt ausdrücklich die Absicht der Bundesregierung, die Grundlagenforschung mit ethisch unbedenklichen menschlichen iPS-Zellen und die heute bereits therapeutisch erfolgreiche Forschung mit adulten Stammzellen gezielt und vorrangig zu fördern. Die unbestrittene internationale Führungsrolle Deutschlands bei neuen Therapien mit adulten Stammzellen, wie etwa bei der Therapie des Herzinfarktes, gilt es beizubehalten und im Interesse der Patienten auszubauen. Die CDU Deutschlands bekräftigt, dass die Tötung menschlicher Embryonen zur Gewinnung menschlicher embryonaler Stammzellen mit dem christlichen Menschenbild und den Vorgaben des Grundgesetzes unvereinbar ist.
Die CDU Deutschlands fordert die Mitglieder der CDU/CSU-Bundestagsfraktion auf, sich weiterhin entschieden einer Ausweitung des Importes menschlicher embryonaler Stammzellen und der damit mittelbar verbundenen Gefährung des hohen deutschen Schutzniveaus für menschliche Embryonen entgegenzusetzen. Vielmehr sollte alles daran gesetzt werden, im Interesse der Patienten die Führungsposition Deutschlands bei Therapien mit ethisch unproblematischen adulten Stammzellen beizubehalten und auszubauen sowie die Rolle der Deutschen Grundlagenforschung mit ethisch unproblematischen pluripotenten Stammzellen wie etwa iPS-Zellen massiv zu stärken.
Begründung:
Zwei unabhängige Forschergruppen aus Japan und USA haben vor wenigen Tagen den Nachweis erbracht, dass pluripotente menschliche Stammzellen direkt aus menschlichen Hautzellen gewonnen werden können, die in ihren Eigenschaften mit menschlichen embryonalen Stammzellen vergleichbar, jedoch vom ethischen Makel des Embryonenverbrauchs frei sind. Dies hat die naturwissenschaftliche Diskussionsgrundlage entscheidend verändert.
Die Reaktionen der wissenschaftlichen Fachwelt haben die herausragende Bedeutung dieser neuen Ergebnisse unterstrichen. Der prominente deutsche Stammzellforscher Prof. Schöler spricht von einer "Sensation" und einem "echten Durchbruch". Der britische Pionier des Klonens und wissenschaftliche "Vater" des ersten geklonten Säugetiers "Dolly", Prof. Ian Wilmut, hat diesen Durchbruch zum Anlass genommen, seine Arbeit zur Entwicklung des "therapeutischen Klonens" und zur Gewinnung menschlicher embryonaler Stammzellen aufzugeben, und öffentlich angekündigt, von seiner Lizenz zum Klonen menschlicher Embryonen keinen Gebrauch mehr machen zu wollen. Prof. Wilmut hat seine Entscheidung nicht mit ethischen Bedenken hinsichtlich menschlicher embryonaler Stammzellen begründet, vielmehr hält Wilmut die neuen iPS-Zellen aus wissenschaftlichen Gründen für "wesentlich aussichtsreicher". In der gegenwärtigen Debatte erhobene Forderungen nach Ausweitung des Stammzellimports können sich nicht auf die neuen iPS-Publikationen stützen. Denn die zwei unabhängigen Arbeitsgruppen aus Japan (Yamanaka) und aus den USA (Thomson) haben die weltweit ältesten verfügbaren menschlichen embryonalen Stammzellen als "Goldstandard" verwendet, um durch Vergleich mit ihnen die erfolgreiche Reprogrammierung von menschlichen Hautzellen zu iPS-Zellen nachzuweisen. Es wäre absurd anzunehmen, international führende Stammzellforscher wie Yamanaka und Thomson hätten für ihre iPS-Pionier-Leistung vorsätzlich unbrauchbare und wissenschaftlich wertlose embryonale Stammzellen eingesetzt, obwohl sie freien Zugriff auf angeblich bessere, neuere Stammzelllinien haben. Im Gegenteil halten ganz offensichtlich erfolgreiche und international bedeutende Stammzellforscher wie Thomson und Yamanaka diese "alten" embryonalen Stammzelllinien für die geeignetsten.
Die von Yamanaka und Thomson als Vergleichsmaßstab herangezogenen embryonalen Stammzellen können legal nach Deutschland importiert werden, und 22 von 23 genehmigten deutschen Stammzellimporten verwenden diese 1998 von Thomson etablierten Stammzelllinien. Der jüngste Durchbruch der Stammzellforschung hätte auch in Deutschland legal durchgeführt werden können. Die Forderung nach Verschiebung oder Abschafffung des Stichtages im Stammzellgesetz ist aufgrund der neuen wissenschaftlichen Ergebnisse gegenstandslos geworden.
In der Fraktionssitzung am 11.12.2007 habe ich mich gegen eine Verlängerung der Stichtagsregelung ausgesprochen. Die Stellungnahmen der oben bereits erwähnten Verbände haben mich deshalb tief beeindruckt, weil das einzig stichhaltige Argument für eine Forschung mit embryonalen Stammzellen die Hoffnung behinderter Menschen auf Heilung durch positive Forschungsergebnisse ist.
Ganz offensichtlich sind es gerade diese Menschen, die in besonderem Maße
auf die Einhaltung menschlicher Würde hinweisen.
Ich hoffe, Sie können meine Entscheidungsgründe nachvollziehen. Ihnen alles Gute und hoffentlich ein paar ruhige Tage über Weihnachten.
Mit freundlichen Grüßen
Antje Tillmann
Stand: 12.12.2007