Frage an Antje Tillmann von Gunnar T. bezüglich Finanzen
Sehr geehrte Frau Tillmann,
von den Vertretern der Linksparteien wird neuerdings der Vorschlag verbreitet, Teile des amerikanischen Steuerrechtes für Deutschland zu übernehmen. Amerikaner müssen unabhängig von ihrem Wohnort in den USA eine Steuererklärung abgeben. Haben Sie an ihrem Wohnort weniger Steuern bezahlt, als sie in den USA zahlen müssten, sind sie dazu verpflichtet, die Differenz an die amerikanischen Steuerbehörden zu überweisen. Auf Deutschland bezogen würde dies bedeuten, dass Personen, die in der Schweiz oder Monaco leben, auch für Deutschland eine Steuererklärung ausfertigen oder sich strafbar machen. Ich bin kein Freund der Linkspartei, aber der Vorschlag erscheint mit geeignet der Steuerflucht von Wohlhabenden vorzubeugen und die Staatskasse zu entlasten. Wird dieser Vorschlag auch in ihrer Partei erwogen? Wenn nicht, würde mich interessieren, welche Gegenargumente zu dieser Haltung führen.
Vielen Dank für Ihre Antwort
Mit freundlichen Grüßen
Gunnar Tietz
Sehr geehrter Herr Tietz,
danke für Ihre Anfrage vom 27. Juni zum Steuersystem in Deutschland und den USA.
Die Einführung einer generellen Staatsangehörigkeitsbesteuerung hätte keine Vorteile zur Folge, die die damit entstehenden Nachteile aufwiegen könnten. Staaten, die ihre unbeschränkte Einkommensteuerpflicht (Welteinkommen) nicht nur auf ansässige Personen erstrecken, sondern auch - unabhängig von ihrem Wohnsitz - auf Staatsangehörige, sind weltweit die Ausnahme. Neben den USA ist derzeit nur Liberia als Staat bekannt, der eine Besteuerung nach dem Welteinkommen auf Grundlage der Staatsangehörigkeit vornimmt. Wenn also die Anknüpfung der Steuerpflicht an die Staatsangehörigkeit das Problem der steuerlich motivierten Wohnsitzverlegung ins Ausland lösen könnte, wären sicherlich auch viele weitere Staaten dem Beispiel der USA gefolgt. Denn mit dem Problem der Steuerflucht sind auch andere Staaten - insbesondere Industriestaaten - konfrontiert.
Das deutsche Einkommensteuerrecht gewährleistet bereits eine umfassende Besteuerung auch von Sachverhalten mit grenzüberschreitendem Bezug. Es unterscheidet - wie das Steuerrecht nahezu aller Staaten der Welt - zwischen ansässigen und nichtansässigen Personen:
Wohnsitz oder gewöhnlicher Aufenthalt in Deutschland:
Personen, die in Deutschland ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben, sind in Deutschland - und zwar unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit - unbeschränkt einkommensteuerpflichtig. Grundsätzlich unterliegt damit ihr gesamtes Welteinkommen der Einkommensbesteuerung in Deutschland. Erzielt ein unbeschränkt Steuerpflichtiger allerdings auch ausländische Einkünfte, beansprucht der ausländische Staat in der Regel ebenfalls ein Recht zur Besteuerung. Um in diesen Fällen eine doppelte Besteuerung derselben Einkünfte in Deutschland und im anderen Staat zu vermeiden, hat Deutschland mit mehr als 90 Staaten Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) abgeschlossen. Danach wird beim unbeschränkt Steuerpflichtigen die im Ausland angefallene Steuer entweder auf die deutsche Steuer angerechnet, oder es werden die im Ausland besteuerten Einkünfte in Deutschland von der Besteuerung freigestellt.
Wohnsitz oder gewöhnlicher Aufenthalt außerhalb Deutschlands:
Personen, die in Deutschland weder ihren Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben - das können auch Deutsche mit ausländischem Wohnsitz sein - unterliegen mit ihren inländischen Einkünften als nichtansässige Personen dagegen der beschränkten Einkommensteuerpflicht. Zusätzlich unterliegen sie in der Regel im Wohnsitzstaat der unbeschränkten Steuerpflicht, also einer Besteuerung mit ihrem gesamten Einkommen. Im Rahmen der deutschen beschränkten Einkommensteuerpflicht wird der Steuerpflichtige mit seinen inländischen Einkünften der deutschen Einkommensbesteuerung unterworfen. Der andere Staat hat dann entweder die deutsche Steuer anzurechnen oder die Einkünfte, die in Deutschland besteuert werden, von der Besteuerung auszunehmen.
Verzug in Niedrigsteuergebiete:
Deutsche Staatsangehörige, die in ein Gebiet mit niedriger Besteuerung verziehen, unterliegen darüber hinaus unter bestimmten Voraussetzungen für Zeitraum von zehn Jahren einer erweitert beschränkten Steuerpflicht. Diese Steuerpflicht umfasst auch Einkünfte, die nicht aus inländischen Quellen stammen.
Systemwechsel mit großen Schwierigkeiten behaftet:
Bei Anknüpfung der Besteuerung an die Staatsangehörigkeit funktioniert dieses überwiegend angemessene und aufeinander abgestimmte System für im Ausland ansässige Bundesbürger nicht mehr. Das hat u. a. folgende Gründe:
• Lebt ein deutscher Staatsbürger nach Einführung einer an die Staatsangehörigkeit anknüpfenden Besteuerung beispielsweise in Frankreich, ist er sowohl in Deutschland als auch in Frankreich mit seinem Welteinkommen steuerpflichtig. Frankreich als Ansässigkeitsstaat nimmt dabei auf die deutsche Steuerpflicht grundsätzlich keine Rücksicht. Um eine Mehrfachbesteuerung des deutschen Staatsbürgers zu vermeiden, müssten komplexe Regeln zur Anrechnung der im Ausland gezahlten Steuern in das deutsche Einkommensteuergesetz aufgenommen werden.
• Die Regelung würde einen erheblichen administrativen Mehraufwand auslösen, ohne zu nennenswerten Steuermehreinnahmen zu führen. Bei den meisten im Ausland ansässigen Steuerpflichtigen würde schon aufgrund des dortigen Besteuerungsniveaus kaum zusätzliche deutsche Einkommensteuer anfallen. Hinzu kommt, dass in den erwähnten DBA gegenwärtig keine Vorbehalte vorgesehen sind, die Deutschland das Recht einräumen, deutsche Staatsangehörige mit Einkünften zu besteuern, für die die Abkommen das Besteuerungsrecht dem anderen Staat (Wohnsitzstaat) zuweisen. In der überwiegenden Zahl der Fälle stünde daher der für Steuerpflichtige und Verwaltung entstehende Aufwand in keinem angemessenen Verhältnis zu den entstehenden Steuermehreinnahmen.
• Unabhängig davon würde in diesem Beispielsfall das deutsch-französische DBA es Deutschland verbieten, Einkünfte zu besteuern, die nicht aus deutschen Quellen stammen. Das gilt entsprechend im Verhältnis zu allen rd. 90 Staaten, mit denen DBA bestehen.
• Bei der Anknüpfung der Steuerpflicht an die Staatsangehörigkeit besteht zusätzlich das praktische Problem, dass bei einem im Ausland lebenden Staatsangehörigen - dessen Aufenthaltsort oft ohnehin nicht bekannt ist - die Abgabe einer Steuererklärung regelmäßig nicht durchgesetzt werden kann. Darüber hinaus ist es häufig nicht möglich, steuerlich bedeutsame Sachverhalte im Ausland umfassend und in angemessener Zeit aufzuklären und geschuldete Steuern im Ausland zwangsweise einzuziehen. So hat das Rechnungsprüfungsamt des US-Kongresses vor einigen Jahren festgestellt, dass max. 40 % der im Ausland lebenden US-Bürger ihrer Steuererklärungspflicht nachkommen. Selbst die USA stoßen also trotz ihres weltweiten Einflusses auf Schwierigkeiten, die Besteuerung gegenüber im Ausland lebenden Staatsbürgern durchzusetzen.
Ergänzend ist hinzuzufügen, dass es immer Staaten oder Regionen geben wird, die mit niedrigen Steuern zahlungskräftige Privatpersonen und auch Unternehmen anlocken, denn die Festlegung von Steuersätzen gehört zum Kernbereich staatlicher Souveränität. Die Bundesregierung setzt sich jedoch sowohl durch nationale Gesetzgebung als auch im Rahmen der EU- und OECD-Initiativen gegen steuerschädlichen Wettbewerb ein.
Mit freundlichen Grüßen
Antje Tillmann, MdB