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Antje Tillmann
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Frage von Michael v. •

Frage an Antje Tillmann von Michael v. bezüglich Finanzen

Sehr geehrte Frau Tillmann,

in den letzten Tagen wurde in verschiedenen Medien (Presse, Fernsehen und Hörfunk) überdeutlich, dass Griechenland ein Fass ohne Boden ist. Über Jahre wird Griechenland trotz Schuldenschnitt ständig Milliarden Euros benötigen, um zu überleben. Den Steuerzahler damit zu belasten und national überall zu sparen ist unverantwortlich. Warum machen Sie diesen Wahnsinn mit? Im Grunde geht es nur um die Banker, die sich wieder einmal verzockt haben. Was werden Sie unternehmen, dass solche unverantwortlich agierende Banken nicht mehr gestützt werden?

Mit freundlichen Grüßen
Michael v. Lüttwitz

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Sehr geehrter Herr von Lüttwitz,

vielen Dank für Ihre Anfrage vom 25. Oktober. Ihre Sorgen angesichts der Summen, um die es mittlerweile nicht nur im Falle Griechenlands geht, kann ich sehr gut verstehen. Nichts zu tun und zuzusehen, wie Griechenland in die unkontrollierte Pleite abgleitet, wäre jedoch der absolut falsche Weg. Einen zweiten Fall Lehman Brothers kann sich die Welt in der derzeitigen Situation nicht mehr leisten. Denn dieser würde einen Flächenbrand in ganz Europa mit sich bringen und zunächst Spanien und Italien, dann die Banken, die deren Anleihen gekauft haben, und am Ende auch die jetzt noch gesunden Staaten Europas mit sich reißen. Schuld daran sind aber nicht nur die „gierigen“ Banken der Welt, sondern in mindestens ebenso großem Maße die - nicht nur europäischen - Staaten, die nahezu alle jahrzehntelang über ihre Verhältnisse gelebt und die Gunst der Euro-Einführung mit immer weiter sinkenden Zinsen genutzt haben, um auf Pump zu konsumieren, und damit erst die Nachfrage nach immer neuem Kredit erzeugt haben.

Griechenland
Griechenland hat in einem einmaligen Kraftakt mehrere große Sparprogramme beschlossen, die innerhalb vergleichbarer Zeiträume ihresgleichen suchen, und ist damit den Forderungen der Geberländer, die Voraussetzungen für die Gewährung von Garantien für neue Kredite waren, nachgekommen. So wurde die Mehrwertsteuer mehrfach angehoben, ebenfalls erhöht wurden die Grundsteuer, Steuern auf Luxusgüter, Genussmittel, Benzin und Einkommen ab 100.000 €. Der Grundfreibetrag wurde abgesenkt, Rentenzahlungen abgesenkt, das Renteneintrittsalter erhöht, Gehälter im öffentlichen Dienst gesenkt und ein Stellenabbau in der Verwaltung eingeleitet.

Sie schreiben, Griechenland sei ein Fass ohne Boden. Es hat sich in den vergangenen Monaten tatsächlich herauskristallisiert, dass sich das Land mit seiner Schuldenlast, einer nicht mehr wettbewerbsfähigen Wirtschaft und einer bislang quasi nicht existenten (Steuer-) Verwaltung trotz der beschlossenen Sanierungsprogramme sehr wahrscheinlich nicht mehr ohne fremde Hilfe aus der Schuldenspirale würde befreien können. Hier setzt der vor zwei Wochen mit den Gläubigerbanken Griechenlands vereinbarte Schuldenschnitt in Höhe von 50% an. In dieser Höhe verzichten die Kreditinstitute auf ihre Forderungen gegenüber Griechenland. Davon ausdrücklich ausgenommen sind die sich mittlerweile im Bestand der Europäischen Zentralbank befindenden Anleihen. Unter diesen Bedingungen sind die Staaten der Eurozone bereit, einem neuen dreijährigen Programm für Griechenland mit einem Volumen von bis zu 100 Mrd. € zuzustimmen. Damit wollen wir erreichen, dass Griechenland mittelfristig wieder an den Kapitalmarkt zurückkehren kann. Ziel ist eine Schuldenstandsquote von 120% vom BIP im Jahr 2020 mit dann wieder wettbewerbsfähiger Wirtschaft und reformierter Verwaltung. EU und Mitgliedstaaten werden ihr Fachwissen einbringen und Griechenland nach Kräften bei der Umsetzung unterstützen. Dass es dann mit weiterem Spar- und Reformwillen aus eigener Kraft möglich ist, den Schuldenstand weiter abzusenken, hat Belgien in den 90er Jahren eindrucksvoll bewiesen. Geplant ist ab Januar 2012 ein Anleihetausch, der Forderungen von 200 Mrd. € in neue Anleihen in Höhe von 100 Mrd. € umwandelt. Die neuen Forderungen werden die Euro-Staaten mit 30 Mrd. € absichern.

Griechenland steht im Hinblick auf die Umsetzung seiner mit Internationalem Währungsfonds (IWF), Europäischer Kommission und Europäischer Zentralbank vereinbarten Reformprogramme seit 2010 unter permanenter Beobachtung. Alle drei Monate veröffentlicht diese Troika einen Fortschrittsbericht, bei dem mit der nötigen Schärfe auf die tatsächliche Erfüllung der vorgegebenen Bedingungen geachtet wird. Griechenland wartet deshalb auch noch auf die nächste Kredittranche in Höhe von 8 Mrd. €, bis sich alle der künftigen griechischen Übergangsregierung angehörenden Parteien zur Umsetzung des aktuellen Reformprogramms bekannt haben.

Stabilitäts- und Wachstumspakt
Als Kreditgeber haben wir allerdings auch größeren Einfluss auf die in der Schuldenkrise steckenden Länder und können die dringend erforderliche Haushaltskonsolidierung und Strukturreformen eher überwachen und durchsetzen als ohne Hilfsprogramm. Insofern ist gerade Deutschland derzeit in einer relativ guten Verhandlungsposition. Auf Drängen der Bundesregierung werden daher in der Eurozone bis Ende nächsten Jahres Schuldenbremsen eingeführt. Spanien hat dies schon getan. Auch die italienische Regierung hat bereits einen entsprechenden Beschluss gefasst. Entscheidend ist darüber hinaus auch die Schärfung des Stabilitäts- und Wachstumspakts ebenfalls auf Betreiben der Bundesregierung. Hier werden Fehler rückgängig gemacht, die ausgerechnet von deutscher und französischer Seite nach Einführung des Euro gemacht wurden, als beide Länder jeden Willen vermissen ließen, das Maastrichter Defizitkriterium von drei Prozent einzuhalten und stattdessen den Pakt kurzerhand aufweichten. Wir gehen nun allerdings weiter und führen Sanktionen schon vor Überschreitung 3%-Grenze ein, wenn die Tendenz der Neuverschuldung durch unsolide Haushaltsführung bereits in diese Richtung zeigt. Entscheidungen über Sanktionen müssen künftig im Rat nicht mehr mit Mehrheit beschlossen werden, sondern werden quasi-automatisch verhängt. Der Rat muss sich also explizit mit qualifizierter Mehrheit gegen Sanktionen aussprechen („umgekehrte Mehrheit“). Damit wurden die Lehren daraus gezogen, dass es jahrelang möglich war, ungehemmt die vorgegebenen Kriterien zu missachten, ohne dass es jemals zu Sanktionen gekommen wäre.

Vorteile
Wir leben seit 65 Jahren in einem friedlichen Europa ohne Kriege und Feindschaften. Für viele mag dies wie eine Selbstverständlichkeit klingen. Der Blick in die Geschichte und in die Nachrichtensendungen lehrt uns aber: Frieden ist keine Selbstverständlichkeit. Er muss tagtäglich erarbeitet werden. In keinem geringeren Maß gilt dies für unseren europäischen Wohlstand. Auch unser wiedervereinigtes Deutschland wäre ohne europäische Perspektive nicht möglich geworden. Die europäische Idee hat große Errungenschaften für Freiheit, Demokratie und Frieden hervorgebracht. Das alles ist allerdings nicht ohne eigene - sowohl politische wie auch finanzielle - Anstrengungen zu haben.

Eine wirkliche Währungskrise kann sich Deutschland nicht leisten. Denn jeder Zehntelprozentpunkt geringeren Wirtschaftswachstums führt zu höherer Arbeitslosigkeit und höheren Kosten für den Bundeshaushalt. Was das Wachstum und die Kosten der Unternehmen betrifft, profitiert Deutschland vom Euro. Gleiches gilt für die Inflationsrate, die zu D-Mark-Zeiten im Durchschnitt deutlich höher lag. Derzeit zahlt Deutschland darüber hinaus für neue Kredite temporär so niedrige Zinsen wie nie zuvor.

Erhöhung der Kernkapitalquote systemrelevanter Banken
Die Rettung systemrelevanter Kreditinstitute ist kein Selbstzweck. Das Beispiel Lehman Brothers hat der Welt vor Augen geführt, dass das komplette Weltfinanz- und somit unser marktwirtschaftliches System insgesamt zusammenbrechen kann, wenn eine systemrelevante Großbank untergeht und in der Folge der Geldfluss zwischen den Banken zum Erliegen kommt, weil das nötige Vertrauen untereinander nicht mehr existiert. 2008 ging das Problem von den USA aus, heute liegt es vor unserer eigenen Haustür. Der griechische Schuldenschnitt hat weitere Abschreibungen bei den Banken zur Folge. Wie schwachbrüstig manche Großbanken sind, zeigte sich gerade wieder an dem Beispiel Dexia. Die rund 70 systemrelevanten Kreditinstitute Europas werden deshalb verpflichtet, bis 30. Juni 2012 vorsorglich ihr Kernkapital als Sicherheitspuffer auf neun Prozent aufzustocken. Der Rekapitalisierungsbedarf liegt bei ca. 106 Mrd. €. Hier gilt es, eine klare Reihenfolge einzuhalten. Da die Eigenverantwortung der Institute im Vordergrund steht, müssen diese zunächst versuchen, Gewinne einzubehalten - das bedeutet Streichung oder Kürzung von Dividenden - oder sich am Kapitalmarkt mit dem nötigen Eigenkapital auszustatten. Reichen diese Bemühungen nicht aus, ist der jeweilige Staat am Zug. Erst, wenn auch der Staat nicht mehr ausreichend helfend eingreifen kann und der Euro insgesamt durch eine Insolvenz des Kreditinstituts gefährdet wäre, greift die EFSF als letzte Instanz unter strengen Auflagen ein. Mit einer Rekapitalisierung wird die Ansteckungsgefahr durch die starke Verflechtung der europäischen Banken bei einer Insolvenz stark verringert. Keine Bank wünscht sich im Übrigen solche Kapitalspritzen, denn sie verwässert die Eigentumsanteile der bisherigen Anteilseigner!

Banken- und Kapitalmarktregulierung
Um aber zu verhindern, dass Banken je wieder so mächtig werden können, dass sie ganze Volkswirtschaften und politische Systeme ins Wanken bringen können, haben wir bereits mehrere Gesetze auf den Weg gebracht, die die Finanzmärkte regulieren.

1. Neben dem Verbot ungedeckter Leerverkäufe - dessen Beispiel bereits mehrere Staaten gefolgt sind - ist hier beispielhaft das Bankenrestrukturierungsgesetz zu nennen, mit dem eine geordnete Insolvenzmöglichkeit von Banken einschließlich der Weiterführung von systemrelevanten sowie der Abwicklung nicht systemrelevanter Teile eingeführt worden ist. Hiermit wurde ein umfassendes und wirkungsvolles Instrumentarium geschaffen, um die Schieflage eines Kreditinstituts ohne Gefahr für die Stabilität des Finanzsystems zu bewältigen. Überdies werden Gehaltsexzesse und übermäßige Zahlungen verhindert, wenn der Bankenrettungsfonds an diesen Banken beteiligt ist. Die Einführung solcher Regelungen in allen Staaten Europas wäre wünschenswert.

2. Mit dem Gesetz über die aufsichtsrechtlichen Anforderungen an die Vergütungssysteme von Instituten und Versicherungsunternehmen werden Banken zur Einführung angemessener, transparenter und nachhaltiger Vergütungssysteme verpflichtet. Hiernach kann die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) in bestimmten Fällen die Auszahlung variabler Vergütungsbestandteile sogar verbieten.

3. Das Gesetz zur Verstärkung der Finanzmarkt- und der Versicherungsaufsicht ermöglicht stärkere Eingriffsbefugnisse der BaFin in Krisenzeiten und verschärft die Anforderungen für Mitglieder von Kontrollgremien.

4. Das Gesetz zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung setzt bei den Vorstandsbezügen Anreize zur nachhaltigen Unternehmensentwicklung. Beispielsweise können Aktienoptionen erst nach vier statt nach zwei Jahren eingelöst werden. Bei Unangemessenheit der Vorstandsvergütung haften die Aufsichtsratsmitglieder persönlich.

5. Schließlich haben wir mit dem Gesetz zur Umsetzung der geänderten Bankenrichtlinie und der geänderten Kapitaladäquanzrichtlinie die Zusammenarbeit der Bankenaufsichten bei der gemeinsamen Beaufsichtigung grenzüberschreitend tätiger Institute gestärkt und bei Verbriefungen einen Selbstbehalt eingeführt, mit dem der Emittent mindestens 10% (bis 2012: 5%) der verbrieften Wertpapiere selbst halten muss.

6. Auf europäische Ebene wurden drei neue Aufsichtsbehörden für Banken (Sitz in London), Versicherungen (Frankfurt) und Wertpapierhandel (Paris) geschaffen, die eingreifen sollen, wenn über Ländergrenzen hinweg arbeitende Finanzinstitute in Schwierigkeiten geraten. Die neuen Aufsichtsgremien sollen Krisen früher vorhersagen, damit sich Wirtschaftseinbrüche wie in den vergangenen Jahren nicht wiederholen. Dafür wird es den neuen Systemrisikorat geben.

7. Zudem haben wir den Verbraucherschutz bei Wertpapiergeschäften z.B. durch die Einführung zwingender Produktinformationsblätter und die Beaufsichtigung sowie schärfere Anforderungen an die Qualifikation der Berater gestärkt.

Dies sind nur einige der bereits umgesetzten Maßnahmen zur Disziplinierung von Unternehmen und Finanzmärkten. Ziel muss sein, dass kein Kapitalmarktsubjekt und kein Kapitalmarktobjekt künftig mehr ungeregelt bleiben. Wir unterstützen außerdem den Vorschlag der Europäischen Kommission zur Einführung einer Finanztransaktionsteuer, die überhaupt erst von Deutschland und Frankreich in die Diskussion gebracht worden ist. Wir versprechen uns hiervon eine Entschleunigung der Finanzmärkte und weniger Kapitalmarktspekulation.

Mit freundlichen Grüßen

Antje Tillmann

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