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Antje Tillmann
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Frage von Johann E. •

Frage an Antje Tillmann von Johann E. bezüglich Finanzen

Sehr geehrte Frau Tillmann,

da Sie Mitglied im Ausschuss für Finanzen sind, unterstelle ich Ihnen eine gewisse Fachkompetenz für Finanzfragen.
Dankenswerterweise haben Sie auf dieser Plattform die gestellten Fragen zum großen Teil beantwortet. Das kann man nicht hoch genug einschätzen, da Sie sich den Fragen der Bürger damit sehr direkt und öffentlich stellen.
Ich habe eine Frage zum Euro-Rettungsschirm, der Griechenland-Hilfe und den Staatsausgaben.
Aus Ihrem bisherigen Abstimmungsverhalten kann man schließen, dass Sie keine Bedenken haben, das Geld der Steuerzahler mit vollen Händen auszugeben.
Ich denke da an diverse Bundeswehreinsätze im Ausland, für eine Armee, die eigentlich für die Landesverteidigung vorgesehen ist. Ich denke aber auch an das NEIN für den "Verzicht auf Mehrwertsteuersenkung für das Hotelgewerbe". Auch die Verlängerung von AKW Laufzeiten ist für Sie anscheinend eine tolle Sache, obwohl die Folgekosten der Atomindustrie noch unsere Kindeskinder berappen müssen.
Nun ist es inzwischen kein Geheimnis mehr, dass Griechenland (und wahrscheinlich auch die anderen EU-Schuldnerstaaten) ihre Schulden nie und nimmer zurückzahlen können.
Das war vor einem Jahr vielen Menschen schon sonnenklar. Ihnen, als Mitglied im Finanzausschuss hätte ich das auch zugetraut.
Meine Frage: Wie kommen Sie zu solchen Entscheidungen bei den Abstimmungen im Bundestag und können Sie Ihren Kindern und Enkeln noch gerade in das Gesicht sehen?
In der Hoffnung auf eine Antwort

Johann Erler

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Sehr geehrter Herr Erler,

vielen Dank für Ihre Nachricht. Ich kann Ihre Sorge sehr gut verstehen. Auch wir machen uns unsere Entscheidungen im Bundestag sowie auf europäischer Ebene, die die Währungsunion betreffen und Auswirkungen auf den Bundeshaushalt haben können, nicht leicht.

Nach den bitteren Erfahrungen vieler Kriege auf dem europäischen Kontinent und sogar zweier Weltkriege in sehr kurzer Zeitfolge haben sich unsere Großeltern und Eltern für ein gemeinsames, vereintes Europa entschlossen, in dem nie wieder Kriege herrschen sollen. Dauerhafter Frieden ist keine Selbstverständlichkeit. Wir können uns dies jeden Tag aufs Neue vor Augen führen, wenn wir nur die Nachrichten einschalten. Auch unser wiedervereinigtes Deutschland wäre ohne europäische Perspektive nicht möglich geworden. Die europäische Idee hat große Errungenschaften für Freiheit, Demokratie und Frieden hervorgebracht. Das alles ist allerdings nicht ohne eigene (auch finanzielle) Anstrengungen zu haben.

Portugal-Hilfen:
Zunächst möchte ich auf den letzten Fall von Finanzhilfen eingehen, nämlich im Falle Portugals. Ohne Ruf nach internationalen Finanzhilfen Ende April wäre es sehr wahrscheinlich zur Zahlungsunfähigkeit Portugals gekommen. Und dies, obwohl das Land deutlich geringer verschuldet ist als Griechenland und keinen überdimensionierten Bankensektor wie Irland hat. Das macht deutlich, wie hoch die Ansteckungsgefahr im Rahmen der Staatsschuldenkrise in Europa ist. Sollte Portugal und Griechenland tatsächlich zahlungsunfähig werden, droht die Herabstufung auch anderer Staaten der Euro-Zone. Auch solideren Schuldnern in Europa würden damit sehr wahrscheinlich höhere Kreditmarktzinsen drohen.

Konkrete Maßnahmen:
Portugal erhält von der Europäischen Stabilisierungsfazilität (EFSF), dem Europäischen Stabilisierungsmechanismus (EFSM) sowie dem Internationalen Währungsfonds (IWF) jeweils 26 Mrd. Euro in Form von Krediten, insgesamt also 78 Mrd. Euro. An den Bürgschaften für EFSF-Kredite trägt Deutschland einen Anteil von ca. 28 Prozent. In den kommenden drei Jahren muss Portugal ein ehrgeiziges und streng überwachtes Anpassungsprogramm zur Haushaltssanierung vornehmen. Betroffen sind zu zwei Dritteln die Ausgabe- und zu einem Drittel die Einnahmeseite. Umgerechnet auf deutsche Verhältnisse hätte das Konsolidierungsprogramm einen Umfang von 130 Mrd. Euro. Portugal soll sich so ab 2014 wieder selbst am Kreditmarkt refinanzieren können. Ziel des Anpassungsprogramms ist die Rückführung des portugiesischen Haushaltsdefizits von 9,1 Prozent auf drei Prozent 2013. Dazu werden die Gehälter des öffentlichen Dienstes um fünf Prozent gekürzt, darüber hinaus Gehälter und Renten eingefroren. Die Zahl der öffentlich Beschäftigten wird um bis zu zwei Prozent gesenkt. Zudem werden die Etats für Gesundheit und Verteidigung gekürzt und Renten über 1.500 Euro einer Sondersteuer unterworfen. Ausnahmen bei der Einkommen- und Körperschaftsteuer werden gestrichen, der Anwendungsbereich ermäßigter Mehrwertsteuersätze reduziert und die Tabaksteuer sowie weitere Verbrauchsteuern erhöht. Die Grundsteuer wird erhöht. Steuerhinterziehung wird künftig noch stärker als bisher bekämpft.

Portugals internationale Wettbewerbsfähigkeit muss gestärkt werden. Deshalb werden Privatisierungen in Höhe von 5,5 Mrd. Euro vorgenommen. Arbeitslosenhilfe und Kündigungsschutz werden reformiert. Arbeitskosten werden über die Bereiche Steuern und Sozialabgaben reduziert. Der Wettbewerb auf den Verkehrs-, Telekommunikations- und Energiemärkten wird gestärkt. Das bestehende Stabilitätsprogramm für den Bankensektor wird um 15 Mrd. Euro erhöht.

Griechenland-Hilfe:
Griechenland hat bereits vor einem Jahr ein ehrgeiziges Haushaltskonsolidierungsprogramm auf die Beine gestellt. Daraufhin wurde von Seiten des IWF, des EFSM sowie bilateral durch die Staaten der Eurozone Finanzhilfen von 110 Mrd. Euro zugesagt. Jede einzelne Tranche wird dabei abhängig gemacht von der tatsächlichen Umsetzung vorangegangener Programmteile. Für jeden einzelnen Bürger dieser Länder führen die notwendigen Maßnahmen zu empfindlichen direkten Einschnitten. Solche Folgen wünscht sich kein Politiker für sein eigenes Land und seine Bürger. Weitere eventuell notwendig werdende Hilfen im Falle Griechenlands würden abhängig gemacht von weiteren zusätzlichen Anstrengungen Griechenlands wie der schnelleren Privatisierung staatlichen Eigentums sowie weiterer vorgezogener geplanter Maßnahmen.

Mögliche Folgen:
Würden wir in Fällen wie Portugal oder Griechenland nicht eingreifen, sondern eine unkontrollierte Zahlungsunfähigkeit zulassen, riskierten wir die Finanzstabilität der gesamten Eurozone. Banken und Versicherungen, darunter zu großen Teilen deutsche, die diesen Staaten Geld geliehen haben, müssten massive Abschreibungen vornehmen. Davon wäre neben den Instituten selbst nicht zuletzt unmittelbar der deutsche Steuerzahler betroffen, der in Lebens- und Rentenversicherungen für seine Altersvorsorge spart. Wie im Herbst 2008 würden sich Kreditinstitute gegenseitig aufgrund von Misstrauen kein Geld mehr über den Interbankenmarkt leihen. Banken und Versicherungen müssten wieder mit Milliarden-Programmen stabilisiert werden.

Euro gut für Deutschlands Wirtschaft:
Deutschland und Europa können sich ein Auseinanderbrechen der Währungsunion schlichtweg nicht leisten. Innerhalb der Eurozone gibt es keine Währungsschwankungen mehr. Das merkt jeder Urlauber, der nicht mehr in die Wechselstube muss. Vor allem aber ist dies für unsere auf den Weltmärkten tätigen, gerade auch mittelständischen, Unternehmen spürbar. Der europäische Binnenmarkt mit seinen 500 Mio. Konsumenten wurde durch die Einführung des Euro vertieft, was zu einer Sicherung von 5,5 Mio. Arbeitsplätzen und vermehrtem Wohlstand gerade in Deutschland führt. Über zwei Drittel aller deutschen Ausfuhren bleiben in der Europäischen Union, über 40 Prozent in der Eurozone. Das waren 2009 Ausfuhren in die Eurozone in Höhe von 348 Mrd. Euro von Gesamtexporten über 804 Mrd. Euro. Durch den Euro können unsere Unternehmen auf Wechselkurs-Sicherungsgeschäfte in Höhe von 10 Mrd. Euro verzichten.

Der Euro sorgt dafür, dass die Preise stabil bleiben. Selbst zu besten D-Mark-Zeiten lag die Inflationsrate höher als seit Einführung des Euro. Ein Auseinanderbrechen der Währung hätte eine enorme Aufwertung der neuen D-Mark zur Folge, die den deutschen Export schlagartig abwürgen würde, was sich unmittelbar negativ auf die Sicherheit deutscher Arbeitsplätze auswirken würde. Die weiter bestehende Härte des Euro nach innen wie außen ist einer der entscheidenden Gründe dafür, dass Europa, aber in besonderer Weise auch Deutschland, die Finanz- und Bankenkrise des Jahres 2008 so gut überstanden hat. An der weiteren Stärkung der Wirtschafts- und Währungsunion besteht somit ein ureigenes deutsches Interesse. Genau dies schulden wir unseren Kindern und Enkeln, die in vergleichbarem Umfang wie wir von der wirtschaftlichen Prosperität und gesellschaftlichen Stabilität profitieren sollen, die durch die europäische Integration entstanden ist. Und nur als Gemeinschaft kann Europa seinen Einfluss in der Welt des 21. Jahrhunderts wahren. Dies aber ist notwendig, um unser freiheitliches und weltoffenes Gesellschaftsmodell zu verteidigen.

Einführung nationaler Währungen keine Lösung:
Die Wiedereinführung nationaler Währungen wäre die schlechteste Lösung. In Griechenland wie in Portugal würden die Menschen ihre Konten stürmen, um sich ihre Guthaben noch in Euro auszahlen zu lassen. Keine Bank könnte einem solchen Ansturm standhalten. Die neue Währung würde sofort massiv abwerten. Bestehende Schulden wären aber dennoch in Euro zu begleichen. Für diese Länder mit neuer Währung nahezu unmöglich.

Derzeit profitiert Deutschland sogar von der Schwäche der EU-Partner. Die Kreditaufnahme ist so billig wie noch nie. Das spart Zinsaufwand in künftigen Bundeshaushalten und macht die Konsolidierung hierzulande einfacher. Zudem hält die EZB die Leitzinsen niedrig, wodurch der Aufschwung der deutschen Wirtschaft weitere Unterstützung erfährt. Der Euro hat sich darüber hinaus trotz Booms gegenüber dem US-Dollar moderat entwickelt, was gerade deutschen Exporten Rückenwind verschafft. Die bilateral vergebenen Kredite an Portugal, Griechenland und Irland werden darüber hinaus verzinst wieder zurückgezahlt, so dass sich für den deutschen Steuerzahler ein akzeptables Geschäft ergibt.

Im Hinblick auf die Diskussion um die Einrichtung eines dauerhaften Euro-Stabiliätsmechanismus (ESM) werden wir darauf achten, dass der Gesetzgeber seine Haushaltsrechte nicht an Regierungs- oder supranationale Institutionen abgibt, sondern bei der Vergabe von Hilfskrediten weiterhin das letzte Wort behält.

Ich hoffe, Ihnen mit meinen Ausführungen geholfen zu haben.

Mit freundlichen Grüßen

Antje Tillmann

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