Frage an Antje Claaßen von Helga W. bezüglich Bildung und Erziehung
Sehr geehrte Frau Claaßen, zuerst einmal möchte ich Ihnen meine Hochachtung aussprechen für alles, was sie bisher in ihrem Leben erreicht haben. Ich habe selbst eine Tochter mit einer Behinderung. Sie ist jetzt fast 20 Jahre alt und hat eine Tetraspastik. Sie besucht zur Zeit das Wirtschaftsgymnasium in Albstadt Ebingen. Es war für sie nicht leicht, immer auf eine Regelschule gehen zu dürfen und auch die entsprechende staatliche Unterstützung zu bekommen. In den ersten Jahren war unsere Tochter in der Umgebung ein Einzelfall, jetzt gibt es schon mehrere Behinderte die hier im Rahmen einer Einzelintegration Regelschulen besuchen.
Für mich ist es ein Unding, dass es nicht möglich ist,behinderte Kinder und Jugendliche in Regelschulen zu integrieren ohne dass sich deren Eltern dafür auf die Barrikaden begeben müssen. In anderen Bundesländern ist es noch schlimmer.
Was plant ihre Partei bzw. auch sie persönlich, um hier Abhilfe zu schaffen, denn Deutschland verstößt mit seiner Aussortiererei ja eindeutig gegen internationales Recht.
Ich selbst bin Mitglied in der CDU und wundere mich, wie wenig dieses Thema bei uns Beachtung findet. Obwohl unser Innenminister ja ein Rollstuhlfahrer ist, sehe ich hier auch von ihm keinerlei wirkliches Engagement.
Leider habe ich erst sehr spät, nämlich heute aus der Zeitung, von ihrer Kandidatur erfahren. Ich hätte sie sehr gerne unterstützt.
herzliche Grüße Helga Würz
Sehr geehrte Frau Würz,
vielen Dank für Ihre freundlichen Worte und Ihr Interesse. Zunächst möchte ich mich aber bei Ihnen entschuldigen, dass ich erst jetzt antworte.
Ich war bis Donnerstag genau zu diesem Thema, nämlich der europaweiten Umsetzung der UN-Konvention über die Rechte behinderter Menschen bei einer internationalen Fachkonferenz mit anschließender Demonstration im EU-Parlament in Strassburg.
Initiator war das "Europäische Netzwerk für Selbstbestimmtes Leben" ENIL, bei dem ich Mitglied bin.
Ich kann Ihre Verärgerung und das Unverständnis darüber sehr gut verstehen, dass bei uns ein gleichberechtigtes Leben von uns behinderten Menschen in der Gesellschaft immer noch keine Selbstverständlichkeit ist, sondern von jedem einzelnen Betroffenen erst hart erkämpft werden muss.
Es ist traurig zu beobachten, das ich vor 35 Jahren die gleichen Schwierigkeiten hatte eine Regelschule besuchen zu dürfen, wie Ihre Tochter und viele Andere auch heute noch. Erst nach heftiger Intervention meiner Eltern und Einschaltung des Kultusministeriums war mir der Besuch eines öffentlichen Gymnasiums möglich. Zuvor wurde ich gezwungen mit sechs Jahren mein Elternhaus, meine Familie und meine Freunde zu verlassen und eine ca. 100 Kilometer entfernte Sonderschule für Körperbehinderte mit Internatsunterbringung zu besuchen.
Diese immer noch gängige Praxis, die zum einen für alle Betroffenen unmenschlich und grausam ist und zum Anderen uns behinderte Menschen immer noch aus der Gesellschaft separiert ist nach internationalem Recht rechtswidrig.
Deutschland hat die UN-Konvention 2006 unterzeichnet und seit März diesen Jahres ist sie auch bei uns in Kraft getreten. D.h. Deutschland muss behinderten Menschen die vollständige Inklusion garantieren.
Ich kämpfe als selbstbetroffene seit über 25 Jahren in verschiedenen Organisationen für unsere Rechte und setze mich auch zukünftig zusammen mit meiner Partei und den Behindertenverbänden entschieden dafür ein, dass die Behindertenrechtskonvention vollständig bei uns umgesetzt wird.
Hierzu gehören:
- ein bundeseinheitliches, bedarfsdeckendes und vermögens-und einkommensunabhängiges Nachteilsausgleichsgesetz ohne Bedürftigkeitsprüfung z. B. für spezielle Hilfsmittel, die notwendige Assistenz für ein selbstbestimmtes Leben oder behindertengerechter Wohnungsumbau, hierdurch wird Chancengerechtigkeit erreicht.
- das Recht auf gemeinsame Bildung und Erziehung von Kindern und Jugendlichen mit und ohne Behinderung in allen Entwicklungsphasen
- gleiche Zugangschancen bei Ausbildung und im Berufsleben, Abschaffung der Ausgleichsabgabe und uneingeschränkte anteilige Beschäftigungspflicht von 5 % behinderter Mitarbeiter (entspricht dem Bevölkerungsanteil)
- das Recht auf persönliche Assistenz in allen Lebensbereichen für ein selbstbestimmtes Leben in Arbeit, Studium, Haushaltsführung und Freizeit.
- das uneeingeschränkte Recht auf Ehe und Familie, Abschaffung der Leistungsverpflichtung Angehöriger, das Recht auf Adoption
- die Umsetzung des „Design für Alle“ .Planungen und Bau unter dem Aspekt Barrierefreiheit in allen Bereichen - Bau, Verkehr, Kommunikation, Verbraucherpolitik etc.
Liebe Frau Würz, Sie sehen es gibt noch viel zu tun und es wäre schön, wenn wir auch über die Wahl hinaus in Kontakt blieben und wir gemeinsam unsere Ziele voranbringen könnten.
Mit freundlichen Grüßen
Antje Claaßenen begeben müssen.