Frage an Annette Widmann-Mauz von Karl E. bezüglich Gesundheit
Sehr geehrte Frau Widmann-Mauz,
Das neue Honorarsystem für die niedergelassenen Ärzte basiert auf praxisindividuellen Regelleistungsvolumina (RLV) plus sog. "freier Leistungen", die zusätzlich vergütet werden. Die RLV´s berechnen sich aus der Fallzahl der Praxis im Vergleichsquartal des Vorjahres multipliziert mit einem festgelegten "Fallwert". Dieser Fallwert liegt z.B. für mich als Nervenarzt in Bayern bei 55 € im Quartal (Vierteljahr). Für unsere Fachgruppe gibt es keine "freien Leistungen". Da dieser Fallwert in aller Regel bereits nach spätestens 1 bis 2 Patientenkontakten im Quartal aufgebraucht ist, bedeutet dieser Wert de facto ein Budget. Es ist also nicht zutreffend, daß die Budgetierung aufgehoben wäre!
Ich gebe Ihnen ein Beispiel aus der nervenärztlichen Praxis: Pat. 60 J., kommt zu Abklärung von Kopfschmerzen und Schwindel: lt. Gebührenordnung EBM ist abzurechenen: Zi. 21215 (Grundpauschale ab 59.Lj.): 38,84 €, Zi. 16310 (EEG): 24.85 € Zi. 33070 (Ultraschall Duplex hirnversorgende Gefäße) 46,74 € Summe: 110,43 Euro.
Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie sich vor Ort bei den Betroffenen, d.h. den Patienten und Ärzten Ihres Wahlkreises (gerne auch bei mir) selbst über die Realität informieren würden.
Unsere Patienten verstehen die Zusammenhänge sehr gut, und sind empört, wie wenig Geld die Politik bereit ist, für ihre fachärztliche Versorgung bereit zu stellen.
Ihre Äußerungen, so auch in der Plenardebatte zur Initiative der FDP am 12.02. im Bundestag legen den Schluß nahe, daß Ihre Position in der Gesundheitspolitik 100 % deckungsgleich mit der der SPD und Frau Ministerin Schmidt ist. Ist dies zutreffend? Wenn ja, vertreten auch Sie die Auffassung, daß die fachärztliche Versorgung künftig nur noch in Klinik-Ambulanzen und MVZ´s mit angestellten Ärzten, in der Hand von Kliniken und Kapitalgesellschaften, erfolgen soll.
Schließlich noch die Frage: haben Sie Verbindungen zur Bertelsmann-Stiftung, ggf. welche?
Dr. med. Karl Ebertseder
Augsburg
Sehr geehrter Herr Dr. Ebertseder,
haben Sie vielen Dank für Ihre Mail vom 14.02.2009, in der Sie die ärztliche Honorarreform ansprechen.
Die Auswirkungen in einigen Regionen unseres Landes führen zu einer großen Verunsicherung der betroffenen Ärzte und ihrer Patienten. Ihre Sorgen und Ängste nehme ich sehr ernst und ich selbst kann einige Veränderungen auch nicht nachvollziehen (z.B. in Bezug auf Nervenärzte). Ausdrücklicher politischer Wille war und ist, dass es in allen Regionen zu einem deutlichen Honorarplus in 2009 kommen soll im Vergleich zu 2007.
Daher fordern die Politik – und ich ganz persönlich - die gemeinsame Selbstverwaltung sowohl im Gemeinsamen Bewertungsausschuss als auch auf der Ebene der Kassenärztlichen Vereinigungen auf, den eindeutigen politischen Willen umzusetzen, dass das zusätzliche Honorarvolumen von mehr als 3 Mrd. Euro, das die Beitragszahler über höhere Krankenkassenbeiträge aufbringen, auch tatsächlich realisiert wird und in der ärztlichen Honorierung auch ankommt.
Das bedeutet für mich auch, dass es für alle Regionen in 2009 gegenüber 2008 ein Honorarplus oder zumindest ein gleiches Honorarvolumen geben muss. In diesem Sinne habe ich unsere Erwartungen an die nächste Sitzung des Bewertungsausschusses Ende Februar auch an die Beteiligten formuliert.
Transparenz, sachliche Information und Diskussion sind mir ein großes Anliegen. Daher habe ich beispielsweise auch die Ärzteschaft in meinem Wahlkreis zu einem Informations- und Diskussionsabend über die ärztliche Honorarreform und ihre Auswirkungen noch in diesem Monat eingeladen.
Im Gegensatz zur Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) lehne ich die Bürgerversicherung mit einem staatlichen Gesundheitswesen, Listenmedizin und Abschaffung fachärztlicher Strukturen strikt ab. Mir ist es ein großes Anliegen, dass wir in Deutschland weiterhin über eine wohnortnahe, qualitativ hochwertige Versorgung mit niedergelassenen, freiberuflich tätigen Ärzten und Fachärzten verfügen, die gerne und unter für sie guten und verlässlichen Bedingungen ihre Patienten in der Praxis versorgen können. Medizinische Versorgungszentren (MVZ) allein können dies gar nicht in diesem Maße leisten. Die Union hat im Übrigen durchgesetzt, dass MVZ’s nur von zugelassenen Leistungserbringern und nur im Rahmen der vertragsärztlichen Bedarfsplanung errichtet werden dürfen. Wirtschaftskonzerne an sich oder Krankenkassen scheiden daher als Träger von vornherein aus. Baden-Württemberg hat übrigens die geringste Anzahl an MVZs in ganz Deutschland.
Bezüglich der Bundestagsdebatte am 12.02.2009 zu den Reformvorschlägen der FDP verweise ich auf das Plenarprotokoll (http://dip21.bundestag.de/dip21/btp/16/16205.pdf), und möchte nur auf zwei Aussagen an der Stelle eingehen. Trotz insgesamt guter Ziele bleibt die Positionierung zur Kostenerstattung unklar. Eine Bürgerprämie mit Kontrahierungszwang heißt im Klartext: PKV-Basistarif für alle. Auch bleibt das von der FDP vorgestellte Konzept hinsichtlich seiner Finanzierbarkeit alle Antworten schuldig.
Lassen Sie mich nochmals zusammenfassen: Die Union ist überzeugt, dass die individuelle Verantwortung Vorrang vor staatlichem Handeln haben muss. D. h. die Akteure im Gesundheitswesen sollten in einem vertrauensvollen Miteinander zum Wohle des Patienten handeln. Eine patientenorientierte Versorgung in Deutschland ist nur möglich mit engagierten und motivierten Ärzten. Die Freiberuflichkeit, die freie Arztwahl und die Therapiefreiheit mit verlässlichen und leistungsgerechten Rahmenbedingungen sind für uns unabdingbar und gehören zum Kern eines freiheitlichen Gesundheitswesens.
Ihre Frage nach einer Verbindung zwischen mir und der Bertelsmann-Stiftung hat mich doch irritiert. Als Bundestagsabgeordnete suche ich das Gespräch mit allen gesellschaftlich relevanten Gruppen, um mir persönlich ein möglichst umfassendes Bild über die unterschiedlichen Sichtweisen und Standpunkte zu Sachfragen zu machen. Eine profunde Meinung kann sich nur der bilden, der auch „im Bilde“ ist. Scheuklappen, egal in welcher Richtung, verengen das Blickfeld. In einer besonderen Verbindung zur Bertelsmann-Stiftung stehe ich allerdings nicht.
Mit freundlichen Grüßen
Annette Widmann-Mauz MdB