Frage an Annette Widmann-Mauz von Jan L. bezüglich Umwelt
Sehr geehrte Frau Widmann-Mauz,
in Hinblick auf das Kohleausstieggesetz gibt es viel Widerspruch aus der Wissenschaft. Beispielsweise sprach sich schon Anfang des Jahres das Potsdammer Institut für Klimafolgenforschung (PIK) gegen den Gesetzentwurf des Kabinetts und für eine marktwirtschaftliche Lösung aus [1]:
Statt die Kraftwerksbetreiber per Entschädigung "aus dem Markt zu kaufen", wäre auch eine deutliche CO2-Bepreisung im Energiesektor möglich gewesen. Damit hätte man den Emittenten die Umweltfolgekosten in nach dem Verursacherprinzip in Rechnung gestellt. Ein angemessener Preis hätte nach Ansicht das PIKs die Kohleverstromung überall dort aus dem Markt gedrängt, wo sie sich nach Berücksichtigung der externen Kosten nicht mehr lohnt. Die Erlöse aus der Bepreisung hätte man Bürger*innen zurückgeben und damit evtl. steigende Strompreise abfedern oder durch grüne Investitionen die Energiewende weiter gestalten können.
Auch die von 27.000 deutschen Wissenschaftler*innen unterstützte Gruppe Scientists4Future lehnt die Gesetzesfassung ab, über die der Bundestag Ende der Woche abstimmen wird [2]. Neben den oben genannten Punkten wird dort kritisiert, dass am Tagebau Garzweiler II die sachlich für einen Austieg bis 2038 nicht mehr notwendige Umsiedlung von Dörfern fortgesetzt werden soll und die Einhaltung internationaler Zielvorgaben durch einen späten Kohleausstieg teurer und schwieriger wird.
Warum fanden diese gewichtigen und gut begründeten Einwände aus der Wissenschaft keinen Eingang in den vorliegenden Gesetzesentwurf? Welche Möglichkeiten gibt es aus ihrer Sicht, den Kohleausstieg doch noch auf 2030 vorzuziehen, wie Wissenschaftler einmütig fordern? Sollte dies nach der Einigung mit den Betreibern rechtlich nicht mehr möglich sein: In welchen anderen Branchen kann aus ihrer Sicht CO2 eingespart werden, um den verspäteten Kohleausstieg auszugleichen?
Herzlichen Dank und freundliche Grüße aus Tübingen,
J. L..
Quellen:
[1] https://www.pik-potsdam.de/aktuelles/nachrichten/das-abschalten-der-kraftwerke-haette-man-billiger-haben-koennen
[2] https://www.scientists4future.org/defizite-kohleausstiegsgesetz-kvbg-e/
Sehr geehrter Herr Lause,
mit dem vorletzte Woche verabschiedeten Gesetzespaket haben wir einen in meinen Augen guten und tragfähigen Kompromiss für die Umsetzung der gewaltigen struktur- und energiepolitischen Aufgaben gefunden, die bis 2038 vor uns liegen. Bei allen Diskussionen um die Einzelheiten des Kohleausstiegs geht es uns in der CDU in erster Linie darum, klima-, energie- und wirtschaftspolitische Verpflichtungen in Einklang zu bringen. Das ist eine sehr große Herausforderung. Dass die nun getroffenen Regelungen manchen Bürgerinnen und Bürgern nicht weit genug gehen und etwa der Fortbestand des Tagebaus Garzweiler II auf Unverständnis stößt, kann ich im Grundsatz nachvollziehen. Der schrittweise Ausstieg aus der Kohleverstromung ist jedoch nur dann möglich, wenn wir den davon betroffenen Regionen gleichzeitig Perspektiven geben und daneben auch eine sichere, bezahlbare und umweltverträgliche Energieversorgung gewährleisten. Dabei berücksichtigen wir selbstverständlich die wissenschaftliche Forschung und insbesondere die Entwicklung neuer Technologien. So soll etwa im Rheinischen Braunkohlerevier ein „Helmholtz-Cluster für nachhaltige und infrastrukturkompatible Wasserstoffwirtschaft“ entstehen. Wir haben zudem festgelegt, in den Jahren 2026, 2029 und 2032 die Folgen des Kohleausstiegs zu überprüfen. Dabei geht es vor allem darum, inwieweit die Reduzierung der Kohleverstromung vorgezogen und damit ein vollständiger Kohleausstieg bereits bis 2035 erfolgen kann.
Den schrittweisen Kohleausstieg haben wir mit zahlreichen Maßnahmen und Gesetzen zur Förderung Erneuerbarer Energien flankiert. Vorrangiges Ziel ist es, zukunftsgerichtete Umrüstungen der Kraftwerke durch gezielte Förderprogramme anzureizen, insbesondere durch den Kohleersatzbonus nach dem Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz (KWKG) sowie durch zwei neue Förderprogramme, die bis zum Jahresende konzipiert werden sollen. Das eine Programm zielt auf die Förderung der treibhausgasneutralen Erzeugung und Nutzung von Wärme, das andere Programm auf die Umstellung bestehender Kraftwerke auf hocheffiziente und flexible Gas- oder Biomasseverstromung aus nachhaltiger Biomasse. Für beide Programme soll jeweils eine Milliarde Euro aus dem Haushalt zur Verfügung gestellt werden. Auch im Erneuerbare-Energien-Gesetz werden die Ausbauziele angepasst: Im Jahr 2030 sollen 65 Prozent des Bruttostromverbrauchs durch erneuerbare Energien gedeckt werden. Damit setzen wir eine wichtige Vereinbarung des Koalitionsvertrags um. Der Kohleausstieg geht somit Hand in Hand mit dem beschleunigten Ausbau der Erneuerbaren Energien.
Im Zuge des Klimaschutzprogramms 2030 wird die Bundesregierung ab 2021 eine CO₂-Bepreisung für die Bereiche Gebäudewärme und Verkehr einführen. Hier fehlt bisher ein wirksames Preissignal, das die CO₂-Intensität durch den Verbrauch von fossilen Heiz- und Kraftstoffen abbildet. Denn das europäische Emissionshandelssystem (EHS) gilt nicht für diese beiden Sektoren. Eine CO₂-Bepreisung für Industrieanlagen, wie Sie es vorschlagen, lehne ich demgegenüber ab, da diese zu einer Doppelbelastung führen würde, da dieser Bereich bereits vom europäischen EHS erfasst ist.
Mit freundlichen Grüßen
Annette Widmann-Mauz MdB