Frage an Annette Widmann-Mauz von Nicola Marcus K. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrte Frau Widmann-Mauz,
zuerst einmal vielen Dank für Ihre Antwort zu TTIP, auf die ich nochmals zurückkommen werde.
Heute gilt mein Interesse TISA. Wie stehen Sie zu TISA? Inwieweit wird TISA Ihres Wissens nach in unsere gewachsenen Strukturen eingreifen? Was wird sich ändern? Werden Einschnitte in Arbeitnehmerrechte, bei den regionalen Dienstleistungen, im Gesundheitswesen und auch bei den Gewerkschaften befürchten müssen?
Warum wird dieses Abkommen wieder hinter verschlossenen Türen verhandelt? Warum darf die Öffentlichkeit darüber nicht informiert werden? Warum ist hier die Dienstleistungsindustrie eingebunden, aber keine Bürgerrechtler? Inwieweit werden Sie sich dafür einsetzen, dass TISA nicht zu einer Verschlechterung der Umstände führt.
Hier noch ein Link zu einer Sendung des bayrischen Rundfunks: https://www.youtube.com/watch?v=ZXYx3339F08&app=desktop
Im Voraus bedanke ich mich für Ihre Antwort.
mfg
N. Knapp
Sehr geehrter Herr Knapp,
das Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen („Trade in Services Agreement“/TiSA) ist ein plurilaterales Vorhaben zwischen 50 Staaten, darunter Mitglieder der Welthandelsorganisation und auch die EU. Die Verhandlungen knüpfen an der so genannten Doha-Welthandelsrunde an. TiSA soll auf dem bereits bestehenden „General Agreement on Trade in Services“ (GATS) aufbauen und hat das Ziel, Handelsbeschränkungen und Bürokratie im Dienstleistungsverkehr abzubauen. So sollen die Bereiche Lizensierung, Finanzdienstleistungen, Telekommunikation, elektronischer Handel, Seeverkehr und grenzüberschreitende Arbeitnehmermobilität im Dienstleistungssektor verbessert werden. Darüber hinaus sieht die Vereinbarung die Öffnung des Arbeitsmarktes für ausländische Dienstleister vor, wie es bereits innerhalb der EU der Fall ist.
Wichtig ist, dass kein Teilnehmer der TiSA-Verhandlungen dazu verpflichtet wird, den gesamten Dienstleistungsmarkt zu öffnen. TiSA führt demnach nicht zur Privatisierung der öffentlichen Dienstleistungen. Das veröffentlichte Verhandlungsangebot der EU schließt diese Verpflichtung ebenfalls kategorisch aus ( http://data.consilium.europa.eu/doc/document/ST-6891-2013-ADD-1-DCL-1/en/pdf ). Darum kann Deutschland nicht zu einer generellen Marktöffnung verpflichtet werden.
Die Verhandlungsrunden werden, wie auch bei TTIP und für internationale Abkommen üblich, vertraulich geführt. Allerdings informiert das involvierte Bundeswirtschaftsministerium den Bundesrat und Bundestag mit regelmäßigen Berichten aus dem Handelspolitischen Ausschuss, in welchem die EU-Kommission über den Fortschritt der Verhandlungen berichtet. Darüber hinaus gibt es einen breiten Dialog mit Wirtschaftsverbänden, Gewerkschaften und Nichtregierungsorganisationen (NGOs). Insofern ist auch die Beteiligung von Bürgerrechtlern gewährleistet. Vergleichbare Dialogplattformen bietet auch die EU-Kommission an.
Bereits 2013 hat das EU-Parlament bzgl. der Inhalte von TiSA eine Entschließung verabschiedet und Bedingungen von Seiten des Parlaments gestellt, die auch ich befürworte:
- Schaffung ausgewogener Wettbewerbsbedingungen.
- Verteidigung der für die EU sensiblen Anliegen im Zusammenhang mit öffentlichen Dienstleistungen und Dienstleistungen von allgemeinem Interesse (Bereiche der öffentlichen Bildung, öffentliche Gesundheit, Wasserversorgung und Abfallbewirtschaftung).
- Vermeidung von Zusagen und Regelungen zu den Finanzdienstleistungen, die den jüngsten Maßnahmen zur Regulierung von Finanzmärkten und Finanzprodukten entgegenstehen würden.
- Berücksichtigung, dass die EU ein offensives Interesse an hochqualifizierten Arbeitskräften hat.
- Bei der vorübergehenden Einreise von natürlichen Personen zur Erbringung von Dienstleistungen muss dem einzelstaatlichen Sozial- und Arbeitsrecht entsprochen werden.
- Jegliche Liberalisierung von Datenströmen in Bezug auf Datenschutz und Schutz der Privatsphäre muss im Einklang mit dem Besitzstand der EU stehen.
Da die Verhandlungen zum TiSA-Abkommen den Dienstleistungssektor betreffen, ist die EU seit Inkrafttreten des Lissabon-Vertrages grundsätzlich zuständig. Allerdings benötigt TiSA am Ende die Zustimmung durch die Mitgliedsstaaten im Handelsministerrat. Aufgrund der Regelungsbreite von TiSA könnte das Abkommen jedoch auch mitgliedstaatliche Zuständigkeiten berühren. Dann würde es sich, wie bei TTIP, um ein gemischtes Abkommen handeln, das eine Ratifizierung durch die Parlamente der Mitgliedstaaten erfordert. Ich kann Ihnen versichern, dass der Deutsche Bundestag in diesem Fall eine intensive und kritische Prüfung des Abkommens vornimmt und zu einer verantwortungsvollen Entscheidung kommt, die im Interesse des Allgemeinwohls und des Wirtschaftsstandorts Deutschland liegt.
Mit freundlichen Grüßen
Annette Widmann-Mauz MdB